Als sich der Kunstkritiker und Monopol-Blogger Jerry Saltz kürzlich mit Larry Gagosian anlegte, stürzte er sich mit einem shakespeareschem Schlachtruf ins Gefecht: „Cry ‚Havoc‘ and let slip the dogs of war“, begann Saltz die Kriegserklärung, die er kürzlich auf Facebook veröffentlichte. Woher der martialische Groll? Gagosian London eröffnete eine Gruppenausstellung mit 34 Künstlern und nur einer einzigen Künstlerin. „Ich erkläre ihn zum Schleimaal, zu einer blinden Kreatur mit vier Herzen ohne Gebiss, die Unmengen von Schleim produziert und die in andere, tote Tiere durch den Anus eindringt, um sie von innen aufzufressen.“ Die toten Tiere, das sind für Saltz all die männlichen Künstler, die mitmachen beim System Gagosian. Lange hat feministischer Kampfgeist nicht mehr solchen Spaß gemacht.
Wo waren in Deutschland vergleichbare Reaktionen, als Georg Baselitz im Januar in einem „Spiegel“-Interview verkündete: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt“? In Österreich, Großbritannien und den USA löste der Ausspruch Wellen der Empörung aus. Hierzulande aber schüttelte man den Kopf über das wirre Gefasel und beschloss, es zu ignorieren. Bis auf ganz wenige Ausnahmen nahm die Öffentlichkeit Baselitz’ Äußerung schulterzuckend hin.
Es ertönte auch nicht mehr als ein leises Murren, als im September, im Rahmen der mehrteiligen Schau „Painting Forever!“, vier Maler in der Neuen Nationalgalerie ihre Ausstellung eröffneten. Mit „BubeDameKönigAss“ gab das Berliner Museum Martin Eder, Michael Kunze, Anselm Reyle und Thomas Scheibitz einen Auftritt, der auf einer jahrhundertealten Selbstverständlichkeit beruht: Männer forever.
Von naturgegebener männlicher Vormachtstellung zu sprechen wie Baselitz wäre für Kuratoren heute eine Ungeheuerlichkeit. Taten folgen trotzdem schleppend. Liegt es daran, dass sich ein Großteil der aufgeklärten Kunstwelt wünscht, über Gleichstellung müsse nicht mehr verhandelt werden? Wird, statt sich zu beschweren, lieber so getan, als sei das Thema Gleichberechtigung bereits abgeschlossen? Ein Grund dafür mag auch sein, dass man sich innerhalb der Kunst in einem Umfeld wähnt, das dem Rest der Gesellschaft weit voraus ist. In dem Dinge ausprobiert werden, die anderswo (noch) undenkbar sind.
Dazu will eine andere Realität absolut nicht passen: Laut einer aktuellen Studie des Berliner Instituts für Strategieentwicklung stellen deutsche Galerien für Gegenwartskunst nur zu 25 Prozent Künstlerinnen aus. Noch mehr aufzuholen gibt es in den Museen: Weiterhin stammen rund 90 Prozent der Werke, die von deutschen Häusern angekauft werden, von Männern. Das ermittelte kürzlich die in Bonn lehrende Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet. An den Kunstakademien studieren mehr Studentinnen als Studenten. Für das Fach Kunstgeschichte schrieben sich ungefähr 80 Prozent Frauen ein. Wie kann die Minderheit der männlichen Studentenschaft später mehr als drei Viertel der Direktoren an staatlichen Museen stellen? An der Berliner Akademie der Künste sitzen 15 Künstlerinnen unter mehr als dreimal so vielen Männern, damit steht die Sektion bildende Kunst noch gut da. Und wer bei den teuersten je versteigerten Kunstwerken sucht, wird unter den ersten 500 kein einziges von einer Frau finden.
Es gibt wenige Akteure auf dem Feld, die einen so tiefen Einblick in die zugrunde liegende Psychologie haben wie Philomene Magers. Die Galerie, die sie gemeinsam mit Monika Sprüth führt, vertritt einige solcher Künstler, die zu Spitzenpreisen gehandelt werden: Richard Prince und Andreas Gursky zählen dazu. Es gebe Künstler, sagte Magers Anfang des Jahres bei einem Symposium in Berlin, die willigten an einem bestimmten Punkt in ihrer Karriere ein, Werke in einem Umfang und mit einer Frequenz zu produzieren, die das Bedürfnis des Marktes nach Superlativen bedienten. Auch der große Bekanntheitsgrad von Jeff Koons und Damien Hirst beruht auf dieser strategischen Entscheidung. (Es ist kein Zufall, dass Prince und Baselitz genauso wie Hirst, Gursky und Koons bei Gagosian ausstellen.) Aber zugleich vertritt die Galerie Sprüth Magers Künstler, die auf solche Produktion verzichten und dennoch erfolgreich sind: die fast schon scheu zu nennenden Künstlerinnen Rosemarie Trockel, Cindy Sherman oder Louise Lawler.
Ist es also doch so: Männer preschen vor, Frauen warten bescheiden, bis sie entdeckt werden? Man müsse differenzieren, sagte Magers. Bei denjenigen, die zu einer Produktion und -distribution wie unter Steroiden bereit seien, handele es sich zwar ausschließlich um Männer. Doch es gebe eben auch andere, für die diese Haltung nicht infrage komme, und zu denen gehörten gleichermaßen Männer wie Frauen.
Die jahrhundertealte Selbstverständlichkeit, mit der Männer sich selbst und einander gegenseitig an die Spitze setzen, wird nicht mehr kritiklos hingenommen. Es entstehen Netzwerke wie die Gruppe FF, gegründet von Antje Majewski und Mathilde ter Heijne, die in Berlin viel beachtete Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. Oder die Künstlerinnengruppe Der Strich, die mit Guerilla-Aktionen Aufmerksamkeit erzeugt. Zuletzt schlichen sich die Aktivistinnen zur Eröffnung der Venedig-Biennale in die Giardini ein und installierten eine mobile Champagner-Bar, die von knienden Frauen auf dem Rücken getragen wurde. Die Sache mit Humor anzugehen heißt ja nicht, dass es gleich versöhnlich zugehen muss.
Auch die Museen merken jetzt, dass sie – auch rückblickend – die lange Tradition der Verleugnung von Frauen in der Kunst zum Thema machen können. In den Institutionen findet seit einigen Jahren jene Korrektur der Kunstgeschichte statt, die Künstlerinnen schon lange und zunehmend auch Kunsthistoriker fordern. Es gibt Schauen zu Impressionistinnen, Hilma af Klint wurde posthum als Erfinderin der Abstraktion entdeckt, Ausstellungen tragen Titel wie „Künstlerin sein!“ (Museum Giersch, Frankfurt am Main), „Der weibliche Blick“ (Kunst Archiv Darmstadt). Und „To Paint Is To Love Again“ in der Deutsche Bank KunstHalle in Berlin bildet das Gegengewicht zu „BubeDameKönigAss“. Antje Majewski, Katrin Plavcak und Giovanna Sarti, drei zeitgenössische Malerinnen, beziehen sich darin auf die zu Lebzeiten nie anerkannte Berliner Künstlerin Jeanne Mammen (1890–1976).
Ein begleitender Vortragsabend von FF erweiterte das Wissen um den Beitrag von Frauen zur Kunstgeschichte: Aus dem Barock könne man beispielsweise statt Rembrandt ebenso gut Rachel Ruysch nennen, eine Zeitgenossin des alten Meisters, die damals das 300-Fache verdient habe.
Interessant ist, dass es gerade die Malerei zu sein scheint, die sich für diese notwendige Neubewertung besonders eignet. War das Medium doch über Jahrhunderte eng verknüpft mit dem Mythos vom „Genie“, einer Konstruktion, die Frauen ausschloss und die sich in schlecht informierten, unreflektierten oder gewollt reaktionären Kreisen immer noch hält.
Aufstrebende Künstlerinnen wie suchen sich längst als Rollenvorbilder erfolgreiche Frauen wie Corinne Wasmuht, Monika Baer oder Katharina Grosse. Deren Werk dreht sich nicht ums Frausein, sehr wohl aber geht es um das utopische Potenzial der Kunst. Man dürfe sich gar nicht erst einlassen auf Spekulationen über eine weibliche oder männliche Ästhetik, findet Grosse. „Es ist Unsinn anzunehmen, dass alle Frauen, egal, woher sie kommen, welcher Nationalität sie sind, aus welchen Glaubenssystemen und wirtschaftlichen Situationen sie entstammen, eine Ästhetik teilen.“
Janneke de Vries, Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen, versucht gerade mit der Gruppenausstellung „Girls Can Tell“, einen neuen Tonfall in die feministisch motivierte Kunst zu bringen, gelassener, selbstverständlicher. Für Shannon Bool, Maria Loboda oder Nina Hoffmann sind feministische Fragestellungen eher der begleitende Unterton ihrer Arbeit. Dennoch muss sich de Vries von Kolleginnen anhören, mit so viel Nonchalance dürfe man Feminismus nicht behandeln.
In den Netzwerken, die sich gerade in der Kunst und in den Medien bilden, wird inzwischen ganz praktisch an den entscheidenden Stellschrauben gedreht. Dazu gehört auch dagegenzuhalten, wenn wieder einmal irgendwo erklärt wird, es gebe eben weniger gute Frauen als Männer oder Künstlerinnen als Künstler: mit Namen, mit Wissen, mit Gegenbeweisen. So lange, bis sich das Abkanzeln einfach nicht mehr gehört.
An dieser gesellschaftlichen Verschiebung arbeitet von New York aus auch Saltz mit seinem Wutausbruch, wenn er die Marginalisierung von Frauen nicht nur anprangert, sondern sie der Lächerlichkeit preisgibt. Eine Erwiderung zu formulieren dürfte Larry Gagosian schwerfallen. Die gesellschaftliche Akzeptanz wird sich verändern, und genau wie es einmal gängig gewesen sein mag, seinen Hund zu treten, Prostituierte aufzusuchen oder Spenden in die eigene Tasche zu stecken – heute will man damit wirklich nichts mehr zu tun haben.
„The Show is Over“ heißt die Ausstellung, die Jerry Saltz so zornig machte. Die Kuratoren meinten es nicht so, doch der Titel ist prophetisch. Bis dahin ist das Thema Gleichberechtigung in der Kunst in Deutschland nicht erledigt. So richtig erledigt wäre es genau genommen erst dann, wenn in der Neuen Nationalgalerie ganz selbstverständlich nur Künstlerinnen ausstellten. Und die Hälfte von ihnen weniger draufhätte als ihre männlichen Kollegen.