Regina Selter, Florence Thurmes, im Frühling wurden Sie beide zum Führungsduo des Museums Ostwall ernannt. Kannten Sie sich bereits davor?
Regina Selter: Wir haben uns in diesem Prozess kennengelernt und bei Gesprächen sofort gemerkt: Da springt ein Funke über. Wir haben ähnliche inhaltliche Ziele.
Aber es war von Anfang an klar, dass es eine Doppelspitze geben wird?
RS: Das war ein offener Prozess und eine gelungene Lösung. Wir sind dankbar, dass die Stadt Dortmund diese Doppelspitze unterstützt hat.
Florence Thurmes: Die Ausschreibung bezog sich auf eine Einzelstelle. Der Rest hat sich im Prozess gefügt. Wir haben uns beide für die Stelle beworben, und die Verantwortlichen kamen zu dem Schluss, dass dies eine schöne Konstellation sei. Zudem befindet sich das Museum im Dortmunder U, einem Gebäude, in dem noch andere städtische und nicht-städtische Partner sitzen, wie die Technische Universität, die Fachhochschule in Dortmund oder der Hartware MedienKunstVerein. Dort wird sehr kollaborativ gearbeitet. Das Modell passt also sehr gut zu uns – und zu Dortmund.
Gibt es bereits konkrete Vorhaben, mit anderen Institutionen zu kollaborieren?
RS: Es ist ein Grundsatz von uns, über die Etagen des Dortmunder U hinweg miteinander zusammenzuarbeiten. Das kann sich in konkreten Projekten widerspiegeln, aber auch in einem diskursiven Austausch, der für uns sehr wichtig und ein Vorteil des Hauses ist. Bei "Flowers", unserer aktuellen Ausstellung, ist das ein großes Thema. Obwohl der Fokus auf der Blume in der Kunst liegt, war es uns wichtig auch auf die Blumen in der Natur einzugehen und im Austausch mit der TU Dortmund aus einem kunsthistorischen und naturwissenschaftlichen Diskurs einen Blick darauf zu werfen.
Was ist daraus geworden?
RS: Adolf Winkelmann, Filmregisseur und ehemaliger Professor an der Fachhochschule Dortmund, war ganz begeistert von dem Thema und hat dieses Sujet dann in verschiedenen Filminstallationen umgesetzt. Es ist uns ein Anliegen, als Museen in die Stadtgesellschaft einzuwirken. Insofern gab es zusätzlich eine Kooperation mit dem Botanischen Garten Rombergpark. Sichtbarwerden und mit anderen Institutionen aus einer sinnvollen Perspektive zusammenarbeiten liegt uns am Herzen. Wir fragen uns immer wieder, wo ist eine Kooperation wirklich für beide Seiten unterstützend? Momentan haben wir vor dem Dortmunder U Blumenbeete. In der direkten Umgebung befinden sich verschiedene Schulen. Die Blumenbeete haben sich bei jungen und älteren Menschen zu einem beliebten Fotomotiv entwickelt. Für uns ist das großartig, dass ein Ausstellungsprojekt in den Alltagsbereich der Menschen eindringt.
Um nochmal auf die Kollaboration zwischen Ihnen beiden zurückzukommen. Wie sieht Ihre Arbeitsaufteilung aus?
FT: Am Anfang haben wir alle Arbeitsbereiche gemeinsam ausgeführt, auch um mich stärker in alle Details einzuführen. Wir teilen uns das Büro und arbeiten grundsätzlich bei allem sehr eng zusammen. Nach drei Monaten haben wir, in gemeinsamen Abstimmungsprozessen mit der Leitung des Dortmunder U, die Bereiche mit konkreteren Verantwortlichkeiten hinterlegt. Zum einen nach Projekten, da ist Aufteilung meist sehr einfach, und zum anderen nach Bereichen, in denen wir in Rotation arbeiten, wie zum Beispiel im Bereich Personal, für den Regina momentan zuständig ist, und Finanzen, für den ich zuständig bin. Durch klare Aufteilung hat das Team eine Ansprechpartnerin im Haus, trotzdem stimmen wir uns immer ab. Das Strategische, Programmatische und Inhaltliche gestalten wir gemeinsam. Wir möchten von Anfang an alle Inhalten gemeinsam besprechen; dies gibt uns die Möglichkeit, uns direkt zu korrigieren und einzubringen.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten in Ihren Ansätzen, wo die Unterschiede?
RS: Wir haben ein gemeinsames Verständnis von einem Museum und wo Perspektiven von Museen liegen. Um effizient zu arbeiten, müssen wir aber wie gesagt eine gewisse Aufteilungen vornehmen.
FT: Wir hatten uns beide mit der Idee eines Bürger:innenbeirats beworben. Dortmund ist eine Stadt, die sehr divers ist. Einige Stadtteile haben einen hohen Zugezogenen-Anteil. Hier wollen wir als Museum auch ansetzen. Unser Anliegen ist, das Museumsprogramm so vielfältig wie unsere Stadtgesellschaft zu gestalten. In unserem Verständnis ist das Museum ein dritter Ort, der für alle Bürgerinnen und Bürger, für die Stadtgesellschaft, aber auch für die ländlichen Räume offen ist und Programm anbietet. Das Museum soll kein elitäres Haus sein, wo Menschen sich nicht trauen, hineinzugehen - aus Sorge, nicht zu verstehen, was da gezeigt wird. Wir verfolgen ein Verständnis von Kunst und Leben und wie beides eng zusammenwirkt. Zum einen ausgehend von der Gründung des Museums, zum anderen auf Grund des Fluxus-Schwerpunkts unserer Sammlung.
RS: Die Sammlung ist für uns ein wichtiger Faktor, wie eine DNA. Da gilt es kritisch zu fragen: Welche Ziele verfolgen wir mit unserer Sammlungspolitik? Wo sind die weißen Flecken der Sammlung? Wir stehen mittendrin in den Diskursen, die allgegenwärtig stattfinden. Wir überlegen gemeinsam mit dem Team, welcher Diskurs wann wo geführt wird.
Wie möchten Sie das Museum zugänglicher machen?
FT: Wir planen wie gesagt diesen Bürger:innenbeirat. Dieser soll auf mehreren Ebenen greifen. Zum einen für die Sammlung, wo es darum geht neue Themen zu finden, die die Menschen interessieren. Diese sollen auch bei Ankäufen berücksichtigt werden. Außerdem versuchen wir, transkulturell zu denken. Hier überlegen wir, langfristig internationale Partnerschaften mit bestimmten Ländern ins Leben zu rufen. Alles in allem wollen wir die Themen Transkulturalität, die Rolle von Frauen, und Inklusion stärker mitdenken.
RS: Wenn die Sammlung unsere DNA ist, dann sind die großen Sonderausstellungen eine Art Pulsschlag. Dort drücken sich diese verschiedenen Themen, Diskurse und Überlegungen aus.
Wo sehen Sie die Herausforderungen einer Doppelspitze?
FT: Ich hätte jetzt geantwortet: Bei den anderen, weil wir immer zu zweit auftreten und mit geballter Stimme in Diskussionen gehen. Ansonsten kann Terminfindung manchmal eine Herausforderung sein, weil wir zu zweit schauen müssen. Letztendlich ist es jedoch ein absoluter Vorteil.
Frau Thurmes, Sie sind mehr oder weniger neu in die Stadt gekommen. Wie nehmen sie Dortmund wahr? Was ist hier nötig, und was ist unter Umständen hier eher möglich als in anderen Städten?
FT: Ich mag Dortmund sehr. Es ist eine schöne und lebhafte Stadt, die eine sehr gute Lebensqualität hat. Baulich wird die "City" sich in den kommenden Jahren noch verändern und attraktiver werden. Außerdem verfügt die Stadt über 50 Prozent Grünfläche und hat gute Ansätze bezüglich Nachhaltigkeit und Digitalität. Was mich immer erstaunt, ist, wie die Menschen ihre Stadt selbst wahrnehmen. Die Menschen können stolz auf Dortmund sein und die Stadt als Großstadt ansehen, immerhin ist es die neuntgrößte Stadt Deutschlands. Ich habe das Gefühl, dass das noch nicht so selbstverständlich und präsent ist. Das sind Themen, zu denen wir als Museum etwas beitragen können, indem wir zum Beispiel international wirken.
Sie legen in Ihrem Programm also viel Wert darauf, Menschen aus der lokalen Bevölkerung mehr einzubeziehen und Bereiche der Digitalität und Nachhaltigkeit voranzutreiben.
RS: Wir sind uns einig, dass es notwendig ist, weiterhin ein ästhetisches Empfinden zu fördern und zu unterstützen. Wir leben in einer hochbrisanten Weltlage. Fragen, wie man Schönheit und Verstörtsein in Ausstellungen oder in der Sammlung zusammenbringt, beschäftigen uns.
FT: … ja, und auch, wie wir positive Werte vermitteln können. Für uns sind die demokratischen Aufgaben, die eine Kulturinstitution innehat, wichtig. Der demokratische Auftrag steht in unserem Gründungsvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir möchten positive Effekte erzielen, positive Werte vermitteln und über Fragestellungen diskutieren. Diskussionsmöglichkeiten, Debattenfähigkeit und Empathie werden eine immer größer werdende Rolle in unserer Gesellschaft spielen. Wir können als Museum unseren Teil beitragen und versuchen, solche Werte zu verhandeln.
RS: Dies ist zur Zeit bei den Diskussionen um die Documenta zu sehen. Die Documenta macht deutlich, dass es Themen gibt, die unbedingt besprochen werden müssen. Wir für uns sehen das positiv. Am Anfang der Ausstellung "Flowers", als uns zeitgleich eine schreckliche Nachricht nach der anderen vom Krieg in der Ukraine erreicht hat, haben wir uns natürlich auch gefragt: Wie passt das zusammen? Wir merken durch Besucherinnen und Besuchern, dass auch das Thema Schönheit und Ästhetik weiterhin ein guter Wert ist.