Punkt, Punkt, Komma, Strich. So hatte ihre Großmutter es ihr schon ganz früh gezeigt. "Und fertig ist das Mondgesicht", so geht der Reim weiter, während man einen Kreis um Augen, Nase und Mund zieht.
"Meine Großmutter war Bäuerin, sie zeichnete, wenn wir Kinder es wünschten", erzählt Maria Lucia Klöcker über ihre Kindheit in Rumänien. Gesichter sollten für sie das Faszinierendste überhaupt bleiben. Sie selbst zeichnete als Mädchen immer wieder Frauengesichter, mit Lippenstift und hin und wieder einer Zigarette. Denn das war selten, verrucht. Künstlerin werden wollte sie nie, aber mit den Bildern von Frauen leben.
Beim Betreten des Zuhauses von Maria Lucia und Ingo Klöcker wird spürbar, wie lang anhaltend diese Faszination ist, wie sie sich im Lauf der Jahre vertieft hat. Was gibt es schon Interessanteres als Gesichter? Auf dem Flügel im Erdgeschoss ruht ein schlafendes Frauengesicht. Es ist eine Skulptur von Leiko Ikemura, der Mund ist leicht geöffnet, damit der Atem austreten kann, der Ausdruck auf dem Gesicht ist zwischen verschlafen und entrückt. Die Figuren der weiblichen Fuchswesen aus Japan, erklärt die Sammlerin, haben Zugang zu irgendetwas, das den Rest der Welt verunsichert, der sie deswegen verrückt nennt.
"Die Kunstwerke sind alle Familienmitglieder"
An der Wand erwidert eine Kohlezeichnung von Katsura Funakoshi den Blick der Betrachterin, zwei Schritte entfernt steht eine lebensgroße Büste desselben japanischen Bildhauers und Malers. In ihrer stillen In-sich-Gekehrtheit hat sie eine ungeheure Präsenz. Die Büste einer jungen Frau mit bernsteinfarbenen Augen nimmt mit ihrem Schweigen den ganzen Raum ein. Die Augen, so Ingo Klöcker, seien aus von Funakoshi selbst bemaltem Marmor, es sind vollständige Augäpfel, die als Ganzes von hinten in die Skulptur eingelassen werden. Seit zehn Jahren besitzt das Ehepaar das Kunstwerk. Ist so eine Erwerbung nicht atmosphärisch sehr folgenreich, wie ein neues Familienmitglied? "Sie sind alle Familienmitglieder", sagt Maria Lucia Klöcker.
Das erste Bild ihrer Sammlung, berichtet ihr Mann, sei gewissermaßen eins gewesen, das sie nicht bekommen haben. Ein Frauenbildnis von Lydia Mandel aus den 1930er-Jahren, Umfeld von Sonia Delaunay. Die beiden Jungjuristen hatten damals gemeinsam ein Studienjahr in den USA verbracht und kaum Geld, als sie wieder nach Deutschland zurückkamen. Der Stich, den es ihnen versetzte, das Gemälde nicht haben zu können, war der Auftakt zu einer Sammlung, mit der sie inzwischen Museumsausstellungen bestreiten. 2013 war sie im Lehmbruck Museum in Duisburg, jetzt ist sie auf der Art Karlsruhe zu sehen, und anschließend werden die Frauenporträts der Sammlung Klöcker in den Opelvillen in Rüsselsheim gezeigt.
Vor Kurzem ist ein großartiges Gemälde von Eugen Schönebeck dazugekommen, es hängt jetzt im Treppenhaus. Eine Frauenfigur, natürlich, Schönebeck-gemäß abstrahiert, von eigentümlichen Gerüsten gestützt, halb defensiv, halb aggressiv. Hält sie eine Waffe in der Hand? Oder denkt man das nur, weil das benachbarte Gemälde eine nackte Medea mit Messer zeigt? Sie stammt von Michael Triegel, einem Schüler von Arno Rink in Leipzig. Bekannt wurde er mit seinem Porträt Papst Benedikts. Seine hyperrealistischen Darstellungen von vermeintlich bekannten Sujets faszinieren die Klöckers. Medea hat die Hand mit dem Messer unentschlossen erhoben, ihr Gesicht ist zweifelnd und verzerrt. Das Kind ahnt nichts, es hängt vertrauensvoll in ihrem Arm, und dieses Vertrauen ist das eigentlich Schockierende an diesem Gemälde, an dem jeder in diesem Haus täglich viele Male vorbeigeht.
Immer wieder Überraschungen
Die erwachsenen Söhne leben inzwischen selbst mit Kunst, die Motive der Gemälde waren immer Thema in der Familie. Ein intensives, großformatiges Doppelporträt von Katharina Sieverding füllt die ganze Rückwand des Wintergartens aus, im Treppenaufgang hängt eine todtraurige "Pietà" von Kiki Smith, eine hochformatige Zeichnung der Künstlerin selbst mit ihrer gestorbenen Katze auf dem Arm.
Es gibt immer wieder diese Überraschungen in der Sammlung Klöcker, sie ist – bis auf die Grundidee des weiblichen Gesichts – nicht vorhersehbar. Es finden sich Radierungen von Lucian Freud, die komplette Riege der DDR-Maler und erstaunliche Werke von Künstlerinnen, die man in Deutschland noch nicht angemessen kennt. Nina Sten-Knudsen zum Beispiel, eine 1957 geborene Dänin.
Aber es gibt noch etwas, auf das die beiden großen Wert legen: handwerkliches Können. Es muss gut gemacht sein, das steht für sie fest. Ansonsten geben die Klöckers nichts darauf, welches Image die Künstlerinnen und Künstler haben. Die düster fotorealistischen, technisch ausgezeichneten Gemälde von Gottfried Helnwein etwa konnten sich gegen die laute Selbstbehauptung der Wiener Aktionisten nie ganz durchsetzen. In einem kleinen Zimmer im Obergeschoss, Maria Lucia Klöckers Reich, hängt "The Disasters of War 12" von 2007, ein großes, dunkles Helnwein-Gemälde eines Mädchens in Uniformjacke. Ihr Blick ist unerbittlich und verletzlich zugleich. Die Klöckers stellen sich der herausfordernden Präsenz der Kunst voller Begeisterung. Die Werke sind Gegenüber, man stellt sie nicht infrage. Wie Familienmitglieder eben.