Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie fand der Global Fashion Summit Anfang Juni wieder physisch in Kopenhagen statt. Als eine Art Weltwirtschaftsforum der Modeindustrie traf man sich in der königlichen Oper, um über Strategien für eine nachhaltige Zukunft zu debattieren.
"Sustainability" war dabei nicht nur ein Megatrend, der das Image der schmutzigen Bekleidungsindustrie aufpolieren soll. Organisiert wurde der zweitägige Kongress von der Non-Profit-Organisation Global Fashion Agenda. Das Gipfeltreffen dient als weltweit größtes Event, um die wichtigsten Branchenvertreterinnen und -vertreter an einen Tisch zu bringen und Nachhaltigkeitsbestrebungen gemeinsam festzulegen und umzusetzen.
Kollaboration ist dabei das entscheidende Element. Schließlich sprachen bei den Diskussionsrunden, Keynotes und Präsentationen diverse Akteurinnen und Akteure mit- und nicht über einander. Zu den 112 Vortragenden gehörten CEOs großer Luxuskonzerne, Designer, sowie Journalistinnen, Gewerkschafterinnen und Aktivisten. So breit aufgestellt, so divers, so gut.
"Eine Flut von ermutigenden Verbesserungen"
Doch gerade, weil die Initiative aus der Modebranche selbst kommt, ist deren Stichhaltigkeit zu hinterfragen. Für leere Versprechen in Form von Greenwashing hat niemand Zeit, weder die 75 Millionen Menschen (75 Prozent davon im globalen Süden), die laut Greenpace weltweit in der Textilindustrie arbeiten, oder unsere Umwelt, die durch die enorme Überproduktion unter Dauerbelastung steht. Global Fashion Agenda ist eine gemeinnützige Organisation, die gemeinsam die Branche besser machen will, jedoch kann sie die Dinge nur soweit voranbringen, wie die Modewelt selbst es zulässt.
Federica Marchionni, CEO von Global Fashion Agenda, drückt es so aus: "Bei Mode geht es um Veränderung, sie passiert oder man lässt sie passieren. Der Summit hat viele vielversprechende Allianzen ausgelöst, und wir haben gesehen, wie die wichtigsten Interessensgruppen eine Flut von ermutigenden Verbesserungen im Bereich Nachhaltigkeit ankündigen. Es wurde so viel Wissen geteilt, und die Teilnehmer müssen das Gelernte jetzt an andere weitergeben und – was am wichtigsten ist – fleißig umsetzen."
Anfang des Jahres hat die EU einen Entwurf ihrer Textilstrategie vorgelegt, der ein obligatorisches System der erweiterten Herstellerverantwortung vorsieht. Es würde Marken rechtlich für ihre Textilabfälle verantwortlich machen. Mit der bevorstehenden Gesetzgebung soll ein Wertewandel folgen.
Neue Gesetzgebung als Meilenstein
Das im Januar 2022 in New York vorgeschlagene Modegesetz würde Marken in die Verantwortung nehmen, sich zu wissenschaftsbasierten Zielen zu verpflichten und ihre Treibhausgasemissionen sowie ihren Energie-, Wasser-, Material- und Kunststoffverbrauch und ihr Chemikalienmanagement offenzulegen. Welche nachhaltigen Folgen eine solche Maßnahme für die Modebranche mit sich bringt, wird sich zeigen.
Das wohl am meisten vernachlässigte Thema der Konferenz war die Notwendigkeit nach Mehrstimmigkeit in Bezug auf Lieferketten. Insbesondere bei Arbeiterinnen aus dem globalen Süden fehle es an Repräsentation und Teilhabe. "Ich wünschte, die Textilarbeiterinnen und Personen, die im Anbau der Materialien tätig sind – die von unseren Entscheidungen betroffen sind – hätten mehr Präsenz", bemängelt der Designer und Pädagoge Rahemur Rahman.
Tatsächlich trifft auch die Coronakrise die schwächsten Glieder in der Kette wieder am stärksten. Große westliche Modeunternehmen haben Produktionsaufträge in Indien und Bangladesch storniert, wodurch Textilarbeiterinnen in die Armut abgleiten. Die Clean Clothes Campaign (CCC) schätzt, dass sich Marken weigerten, weltweit Waren im Wert von 16 Milliarden Dollar zu bezahlen. Dies bedeutet, dass sie den Textilarbeiterinnen und -arbeitern allein in den ersten drei Monaten der Pandemie zwischen 3,19 und 5,79 Milliarden US-Dollar schulden.
Krise und Chance
Eine Krise zeige aber nicht nur Probleme auf, sondern zwinge auch zur Transformation. Die Trendforscherin Lidewij Edelkoort prophezeit der Modeindustrie eine noch nie dagewesene globale Rezession im Hinblick auf die disruptive Kraft der Covid-19-Krise. Sie spricht von einer entfesselnden Kraft, welche die Konsummuster nachhaltig ändern werde.
Es sei jetzt an der Zeit, eine gemeinsame Idee von Zukunft zu entwickeln und diese auch umzusetzen. Mit allem Mut, mit aller Enttäuschung, mit allen Rückschlägen und mit allen Freuden, die Entwicklung nun mal beinhalte. Es sei an der Zeit für die Gesellschaft, zu wachsen.
Allerdings werde es wird viel Einsicht und Mut erfordern, eine Wirtschaft mit neuen Werten und einem neuen Zugang zu Produktion, Transport, Vertrieb und Einzelhandel aufzubauen, so Edelkoort. Sie hofft, dass die Akteure die Chance ergreifen und ein anderes und besseres System etablieren. Ein System, das mehr Respekt vor menschlicher Arbeit und menschlichen Bedingungen zeigt. Somit könne COVID-19 vom Entschleuniger unserer Gesellschaft und Wirtschaft zum Beschleuniger des positiven Wandels werden.
Lokale Produktion wird denkbar
Die meisten Modemarken operieren in "just-in-time"-Lieferketten. Sprich: Die Stoffe und das Zubehör treffen dann ein, wenn sie benötigt werden. Diese Zuverlässigkeit ist seit der Covidkrise nicht mehr gegeben. Brancheninsider sehen bereits einen "Corona-Effekt". Daher halten sie es für möglich, dass Unternehmen wieder auf die konservative Form der Lagerhaltung und lokale Lieferketten zurückkommen.
Doch um lokal zu produzieren, sind neue Produktionsmittel erforderlich. Die Entscheidung der dänischen Marke Ganni, den Kohlenstoffausgleich zu beenden und stattdessen in die eigene Lieferkette zu investieren, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, ist ein Anfang. "Marken müssen die Initiative ergreifen, anstatt darauf zu warten, dass sich das Verbraucherverhalten massenhaft ändert", appelliert Ganni-Gründer Nicolaj Reffstrup auf der Bühne und zitierte dabei den berühmten Slogan von Nike: "Just do it."