Selbst die Wände der Toiletten sind mit Marmor verkleidet. Das neue Nationalmuseum für Kunst, Architektur und Design am Hafen von Oslo ist kein gläserner, skulpturaler Neubau. Breit und schwer, wie eine Festung – sagen manche – thront es halb versteckt hinter dem Nobel-Friedenszentrum. "Ein Gebäude, das viele hundert Jahre überdauern kann", meint der deutsche Architekt Klaus Schuwerk vom Architektenbüro kleihues + schuwerk. Am 11. Juni wird es eröffnet.
Schon in der Eingangshalle spürt man, dass es hier nicht um Effekthascherei, sondern um solide Qualität geht: Der Boden ist mit Krensheimer Muschelkalk ausgelegt, die Wände sind mit vertikal geschnittenem Schiefer und dunklen Eichenpaneelen verkleidet. "Ein Gebäude sollte für immer reparierbar sein", sagt Architekt Schuwerk. Die Materialien sollten das Recht haben, in Würde zu altern. Der norwegische Staat hat sich das umgerechnet rund 600 Millionen Euro kosten lassen.
Die 6500 Werke, die im neuen Nationalmuseum ausgestellt sind, haben damit eine würdige Kulisse bekommen. Die Sammlungen von fünf Osloer Institutionen – Nationalgalerie, Kunstindustriemuseum, Museum für zeitgenössische Kunst, Architekturmuseum und Reichsausstellungen – sind nun erstmals unter einem Dach gebündelt. Insgesamt umfasst das Inventar 400.000 Gegenstände. Norwegens Nationalschatz auf 55.000 Quadratmetern.
Alle(s) unter einem Dach
Die Sammlungen sind so vielfältig, dass sie an einem Tag nicht zu schaffen sind: In den 86 Räumen finden sich nicht nur Gemälde aller Epochen, sondern auch chinesische Vasen der Ming-Dynastie, antike Büsten römischer Herrscher, die Garderobe der norwegischen Königinnen Maud und Sonja und Skulpturen des Bildhauers Gustav Vigeland. Wie in alten Schlössern, die heute als Museen fungieren, sind die Säle aneinandergereiht.
Dem Maler Edvard Munch ist ein eigener Raum gewidmet, in dem 18 seiner Bilder ausgestellt sind, darunter eine Ausgabe des berühmten "Schrei". Insgesamt verfügt das Museum über 57 seiner Werke. Die Farben der Wände sind den Malereien angepasst.
Auch zeitgenössische Künstler haben ihren Platz. In der Eingangshalle hängt ein Vorhang aus 200 Schädeln von Rentieren. Alle haben ein Einschussloch, denn die Rentiere starben nicht eines natürlichen Todes, sie wurden erschossen. Das Werk der samischen Künstlerin Máret Ánne Sara ist ein Protest gegen die 2013 von der norwegischen Regierung angeordnete Zwangstötung von Rentieren, um die Bestände zu begrenzen. 2017 stellte sie ihr Werk auf der Documenta in Kassel aus.
"Ich nenne es Kunst"
Auch in der Lichthalle, die dem steinernen Gebäude aufgesetzt ist, wird Zeitgenössisches gezeigt. "Ich nenne es Kunst" lautet der Titel der Eröffnungsausstellung, die junge Leute zwischen 19 und 24 Jahren zur Zielgruppe hat. Zu sehen sind die Werke von 147 Künstlerinnen und Künstlern, die in Norwegen arbeiten, und vieles hat bereits vor der Eröffnung Diskussionen ausgelöst. So das humorvolle Porträt der norwegischen Königsfamilie von Lena Trydal, auf dem König Harald im Unterhemd auf dem Thron sitzt und König Sonja nach einer Joggingtour das Handy ans Ohr hält.
Architekt Schuwerk bezeichnete die Ausstellung als einen "Flohmarkt", Museumsdirektorin Karin Hindsbø aber begrüßt es, dass sie heiß diskutiert wird: "Unsere Vision ist es, Kunst für alle zugänglich zu machen und die Gesellschaft und Zeit, in der wir leben, zu reflektieren." Bei der Eröffnung am Samstag wird die Königsfamilie sich ein Urteil bilden können.
Die Halle, die Schuwerk Alabasterhalle nennt, ist das i-Tüpfelchen des massiven Museumsbaus. Ihre sieben Meter hohen Wände sind aus Glas und Marmor, der so dünn geschnitten ist, dass er das Licht durchlässt. Hier werden Wechselausstellungen präsentiert, was für die Kuratoren eine Herausforderung darstellt, denn in die Wände kann man keine Nägel schlagen. So hängen viele Werke von der Decke und schweben im Raum.
Oslo als neue Kulturdestination
Von der Halle aus führt eine Tür auf die Dachterrasse, von der man einen wunderbaren Blick auf die Nachbarn hat: das rote Rathaus der Stadt, das Nobel-Friedenszentrum, die mittelalterliche Festung Akershus in der Ferne und den Oslofjord.
Das Nationalmuseum ist der dritte Kulturbau, der in den vegangenen zwei Jahren in Oslo eröffnet wurde. Neben der spektakulären Oper entstand 2020 eine neue Stadtbibliothek, die Deichman Bibliothek. Außerdem wurde im vergangenen Jahr ein neues Munch-Museum eröffnet. "Oslo und Norwegen präsentieren sich als eine neue Kunst -und Kulturdestination", meint Museumsdirektorin Hindsbø. "Die Augen der Welt sind jetzt auf uns gerichtet."