Eine der erbittertsten Debatten des jungen Kunstjahres 2022 findet ihr vorläufiges Ende in einem kleinlauten Statement. "Aktuell sind keine weiteren Projekte der Stiftung für Kunst und Kultur in Tempelhof geplant", teilte eine Sprecherin der umstrittenen privaten Kunsthalle Berlin in der vergangenen Woche mit. Über die Gründe machte sie auf Nachfrage keine Angaben. Damit ist eines der bestfinanzierten und meistkritisierten Berliner Ausstellungshäuser nach gut vier Monaten schon wieder Geschichte. Am heutigen Montag endet in den Hangars 2 und 3 des ehemaligen Hauptstadtflughafens Tempelhof die Retrospektive des französischen Bildhauers Bernar Venet.
Dass von der ursprünglich angekündigten Laufzeit von bis zu zwei Jahren nun keine Rede mehr ist, dürfte auch am wenig herzlichen Empfang liegen, den die Berliner Kunstszene dem Projekt des Kulturmanagers Walter Smerling und seines Vereins Stiftung für Kunst und Kultur Bonn e.V. bereitete. In mehreren offenen Briefen und Boykottaufrufen protestierten Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende gegen die selbsternannte Kunsthalle - aus ihrer Sicht ein "zynisches, neoliberales Vehikel", das sich durch seinen Namen als öffentliches Haus getarnt habe, um mit den Tempelhof-Hallen einfach einen der größten und repräsentativsten landeseigenen Räume mit privaten Interessen zu besetzen.
Smerling, dessen Verein unter anderem das Museum Küppersmühle in Duisburg betreibt, ist für seine hervorragenden Kontakte in Wirtschaft und Politik bekannt. Am Vorabend der Venet-Eröffnung Ende Januar sprach Altkanzler Gerhard Schröder in der Kunsthalle Berlin auf einem Firmenempfang des Immobilienunternehmers Christoph Gröner - einem der Hauptsponsoren der Ausstellung in Tempelhof. Während sich der öffentliche Unmut zu Beginn der Debatte vor allem gegen die privaten Träger des Projektes richtete, geriet im Verlauf der Debatte auch der Berliner Senat unter Beschuss, der dem Verein die Räume nicht nur mietfrei zur Verfügung stellte (in diesen Genuss kamen auch andere Kulturprojekte), sondern zunächst auch noch die Hälfte der Betriebskosten beisteuerte. Die Initiative zur Kunsthalle Berlin soll außerdem nach Aussage von Walter Smerling von Berlins ehemaligem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) gekommen sein - eine Äußerung, die von der Stadt nie wirklich bestätigt, aber auch nicht dementiert wurde.
Für welche Art von Kunst hat Berlin Platz?
Die Debatte um die Kunsthalle steuerte auf die Frage zu, für welche Art von Kunst Berlin Platz hat, und wer in Zeiten von Ateliermangel, Corona-Nöten und explodierenden Mieten über die Nutzung von Raum in öffentlichem Besitz entscheidet. Die Ankündigung Smerlings, die Betriebskosten künftig allein zu tragen, besänftigte die Stimmung nicht merklich. Gut möglich, dass auch der Senat angesichts der massiven Kritik wenig Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. gehabt haben könnte. "Für die Retrospektive des französischen Bildhauers, Malers, Performance- und Konzeptkünstlers Bernar Venet am Flughafen Tempelhof, sowie für alle vergleichbaren Ausstellungen davor, wurden jeweils einzelne Veranstaltungsverträge geschlossen", heißt es trocken von der landeseigenen Tempelhof Projekt GmbH. Weitere Verpflichtungen bestünden also nicht.
Den eher diskreten Abgang der Kunsthalle Berlin kann man sicherlich als Erfolg der Kritikerinnen und Kritiker bezeichnen. Doch war die Diskussion mehr als ein Strohfeuer, das mit der Schließung der privaten Kunsthalle als gelöscht betrachtet werden kann? Auch in der Kunstwelt ist die Social-Media-getriebene Empörung oft recht kurzlebig, und im Nachrichtenstrudel der vergangenen Monate ging das Thema ein wenig unter.
Fragt man bei denen nach, die den öffentlichen Einspruch initiiert haben, hört man durchaus die Einschätzung, dass von der Diskussion etwas bleiben wird. So sagt beispielsweise die Künstlerin Zoë Claire Miller, Sprecherin des Berliner bbk (berufsverband bildende künstler*innen berlin): "Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die Berliner*innen, Kulturschaffende, Aktivist*innen und Presse schließlich beim Senat Gehör finden konnten: dass Smerling jetzt gehen muss. Und was noch wichtiger ist: Es ist sehr gut, zu wissen, dass wenn nur der Wille da ist, Flächen des ehemaligen Flughafens Tempelhof umsonst und mit Subventionierung von Betriebskosten vergeben werden können. Nun sollten diese Flächen auch an die Zivilgesellschaft übergeben werden - für sinnvolle Nutzungen und zur Entwicklung fairer und transparenter Vergabeprozesse vor Ort und von innen heraus."
"Halle für Alle" statt Kunsthalle Berlin?
Nach Millers Einschätzung sei es unwahrscheinlicher geworden, dass die Öffentlichkeit und das Parlament weiterhin hinnähmen, wie landeseigene Gesellschaften wie die Tempelhof Projekt GmbH "vollkommen intransparent und gegen die Interessen der Bevölkerung" agierten. Gleichzeitig sei auch niemandem geholfen, wenn in den Flughafenhangars - über deren Nutzung seit Jahren gestritten wird - nun wieder Leerstand herrsche. Deshalb fordert ein neues Bündnis aus Kulturschaffenden, Stadtentwicklerinnen und Geflüchteten-Initiativen, für das sich auch Zoë Claire Miller engagiert, eine Transformation des Ortes in eine "Halle für Alle".
Zur Schließung der Bernar-Venet-Ausstellung planen die Mitglieder am 30. Mai unter anderem eine symbolische Schlüsselübergabe. "Ziel des Transformationsbündnis THF ist es, einen kooperativen, transparenten Prozess im Sinne einer Public-Common-Partnership für den gesamten Gebäudekomplex zu etablieren – anstelle des korruptionsanfälligen Modells Public-Private-Partnership", heißt es in einem Statement der Initiative. "Die enormen Flächen müssen der Stadtgesellschaft zugänglich gemacht werden."
Auch Jörg Heiser, Udk-Professor und Mitinitiator eines offenen Briefes gegen die Kunsthalle Berlin, stimmt der Einsatz des Transformationsbündnisses Tempelhof optimistisch. Zugleich beklagt er jedoch die mangelnde Reaktion der Politik auf den Appell, den er zusammen mit der Künsterin Hito Steyerl und dem Künstler Clemens von Wedemeyer verfasst hat. "Von den Adressaten hat allein der Berliner Rechnungshof – mit einer Form-Antwort, dass die Eingabe an die zuständige Stelle gehe – geantwortet. Ansonsten: Schweigen im Walde", sagt Heiser auf Monopol-Nachfrage. Neben einer politischen Richtungsänderung in der Zukunft fordert er auch eine selbstkritische Rückschau auf Seiten der Behörden: "Es muss aufgearbeitet werden, wie es zur krassen Fehlentscheidung kommen konnte, die Halle und deren Nutzung überhaupt so zu vergeben."
Kunst steht nicht immer auf der "guten Seite"
Genauso, wie aktuelle Ereignisse ein Thema in Vergessenheit geraten lassen können, ist auch das Gegenteil möglich, und Vergangenes erscheint plötzlich in neuem Licht. So hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Probleme der Kulturdiplomatie offengelegt und verleiht auch der Ausstellung "Diversity United" neue Brisanz. Für die Gruppenschau über zeitgenössische europäische Kunst hatte die Stiftung Kunst und Kultur Bonn e.V. bereits 2021 die Hallen in Tempelhof genutzt - man kann sie wohl als "Probelauf" für die längerfristig angedachte Kunsthalle Berlin sehen. Schirmherren der Ausstellung, die danach in die Moskauer Tretjakow-Galerie wanderte, dort von Außenministerin Annalena Baerbock besucht wurde und auch nach Paris weiterziehen sollte, waren der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der russische Präsident Wladimir Putin.
Auch im letzten Jahr gab es daran bereits Kritik, allerdings schien die Erzählung von der Völkerverständigung durch Kunst noch sehr viel plausibler. Wer Ausstellungen macht, schießt nicht - dass das nicht unbedingt stimmt, hat sich auf brutale Weise gezeigt. Als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine gab Steinmeier die Schirmherrschaft zurück, "Diversity United" in Moskau (der Titel klang inzwischen wie blanker Hohn) wurde geschlossen. Die Station in Paris, die schon vorher auf der Kippe stand, weil Künstlerinnen und Künstler ihre Werke zurückzogen, entfällt komplett.
Es ist zu erwarten, dass die Erkenntnisse, die der Krieg erzwungen hat, Folgen für die Verflechtungen von Politik und Kunst im Allgemeinen haben werden. Denn wieder einmal wurde deutlich, dass sich die Kultur nicht pauschal auf der "guten Seite" wähnen kann. Wenn öffentliches Geld für Kooperationen mit autokratischen Regimes genutzt wird, besteht immer die Gefahr, dass diese dadurch symbolisch aufgewertet und legitimiert werden. Wenn der Putin-freundliche Gerhard Schröder heute eine Rede im Rahmen einer Ausstellungseröffnung halten würde, wäre das auch außerhalb der Kunstwelt ein Skandal. Jörg Heiser fordert, dass sich nach dem Ende der Kunsthalle Berlin dauerhaft neue Strukturen bei Vergabeverfahren der öffentlichen Hand etablieren. "Es müssen Überprüfungsmechanismen wie ethische und rechtliche Leitlinien und checks and balances etabliert werden, beispielsweise in Form von Expert*innen-Jurys oder öffentlichen Anhörungen. Diese könnten für die Zukunft solchen Fehlentwicklungen vorbeugen", sagt der Kunsthistoriker und -kritiker.
Die nächsten Streitfälle zeichnen sich ab
Im Monopol-Interview sagte der Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert (Die Linke) im Februar, die Raumsicherung für Kunst und Kultur sei ein zentrales Anliegen der rot-rot-grünen Regierung in Berlin. Wie dieser Anspruch jedoch umgesetzt und die Berliner Szene vor der fortschreitenden Gentrifizierung geschützt werden soll, ist jedoch unklar. Auch wenn sie vielleicht nicht die Dimension der Tempelhof-Frage erreichen: Die nächsten Streitfälle, in denen Kunst vor allem ein Mittel zur Aufwertung von Investorenprojekten zu sein scheint, zeichnen sich bereits ab.
So hat das Immobilienunternehmen Signa kürzlich den temporäre Kunst- und Musikort Pop Ku'Damm in Charlottenburg eröffnet. "Wo Stadtentwicklung künstlerisch entwickelt wird und kreativ erfahren werden kann", heißt es auf der Website des Projekts. Wer der Meinung ist, dass kreative Stadtentwicklung nicht unbedingt in die Hand von privaten Firmen gehört, den dürfte es bei diesen Worten gruseln. Die "FAZ" sprach angesichts des Investments im Kunst-Pelz kürzlich von Kultur als "trojanischem Pferd". Auch die Bürgerintiative BerlinerInnen gegen Signa protestiert gegen den Pop-Up-Veranstaltungsraum.
Und auch im ehemals besetzten Künstlerhaus Tacheles in Mitte, das derzeit als Teil eines Luxus-Wohnquartiers saniert wird, kommt der Kunst zumindest eine zwiespältige Rolle zu. Eigentlich sollte dort Ende des Jahres ein Ableger des privaten schwedischen Fotomuseums Fotografiska einziehen, das bereits Dependancen in New York und Tallin hat, und das nicht nur Kunst-, sondern auch Erlebnisort mit Partys und Bar-Atmosphäre sein will. Nun ist die Berliner Eröffnung für Anfang 2023 geplant. Das Ausstellungshaus wurde von den Brüdern Jan und Per Broman gegründet, inzwischen ist der Unternehmer Yoram Roth der größte Anteilseigner, dem auch das nahe gelegenen Traditionslokal Clärchens Ballhaus gehört.
Welche Kunst im Fotografiska ausgestellt wird und wie die neue Institution mit der lokalen Szene interagiert, muss sich noch zeigen. Auf der Website wird ein "inklusiver Stil" versprochen, ohne diesen Begriff weiter auszuführen. Doch auch hier zeigt sich ein bekanntes Muster: Die Immobilienfirmen werben mit den "vielfältigen kulturellen Angeboten" in der Umgebung für ihre hochpreisigen Apartments und Penthouses, dabei ist die Vielfalt durch genau diese Bauprojekte gefährdet. Oft bleiben nur die Kunsträume übrig, denen durch privates Mäzenatentum eine großzügige Finanzierung gesichert ist. "Liberal, offen, voller Möglichkeiten" - von diesem Werbeslogan fürs Tacheles-Quartier könnte dann bald nichts mehr übrig sein. Dieses Problem harrt weiter einer politischen Antwort - auch nach der Schließung der Kunsthalle Berlin.