Für das Projekt "Relocating a Structure", kuratiert von Yilmaz Dziewior, hat sich die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn als Archäologin betätigt und Spuren der Vergangenheit in dem von denn Nazis umgebauten Gebäude freigelegt. "2022 zeigt sich der Koloss nun verletzlich", schreibt Monopol-Redakteurin Saskia Trebing in ihrer Kritik. Das Fundament der Institution, die Selbstverständlichkeit seiner Existenz, werde mit diesem Eingriff nicht angetastet: "Hier zeigen sich die Grenzen von architektonischen Eingriffen, denn das kollektive Gedächtnis der Kunst ist bekanntlich kurz und bis zur nächsten Biennale muss der Pavillon wieder so aussehen wie vorher. So schnell wird er nicht weggehen."
"FAZ"-Kritiker Niklas Maak hält den Pavillon für "sehr intelligent dekonstruiert" – auch wenn er wie Saskia Trebing bedauert, dass es nicht zu dem ursprünglichen Plan kam, den Bau ganz abzutragen. "Der Unterschied zwischen dem Mauerwerk von 1909 und dem von 1938 ist dramatisch. Das alte wurde mit ruhiger Hand ausgeführt – aber 1938 musste der Pavillon offenbar in großer Hektik aufs gewünschte NS-Repräsentationsformat gebracht werden", beobachtet Maak. "Die Geschichte flüstert den Besucher sozusagen an."
"FAZ"-Kollege Stefan Trinks findet den Beitrag "enorm sinnlich": "Gerade weil Eichhorn mit der Akribie einer Historikerin unter Putz verborgene Zeitspuren freilegt (inschriftlich benannt), gibt das entstehende Palimpsest wie eine auf Tierhaut geschriebene Chronik seine Geschichte preis – und den Geruch des braunen Erdreichs inmitten des Saals frei."
Jason Farago von der "New York Times" ist hingegen wenig begeistert – auch wenn er eine Begründung schuldig bleibt: "Großartige Künstler wie Maria Eichhorn, eine scharfe Analytikerin der Kunstinstitutionen, und das japanische Theater- und Technologiekollektiv Dumb Type zeigen einige der uninteressantesten Arbeiten ihrer Laufbahn."
Sandra Danicke von der "Frankfurter Rundschau" langweilte sich im deutschen Pavillon: "Man starrt also auf Steine und Erdkrümel, schaut auf Fundamente (letzteres ist naturgemäß doppeldeutig gemeint) – und kann sich ein Gähnen nicht verkneifen. Was hier sichtbar wird, ist Geschichte, ja, man erkennt (sofern man sich zusätzlich informiert), dass der Pavillon, der einst ein bayerischer war, von den Nationalsozialisten erweitert wurde. Man erkennt auch die Überreste einer Arbeit – ein U-Bahn-Eingang –, die Martin Kippenberger 2003 an diesem Ort installiert hat. Und dann geht man hinaus und denkt: Ach."
Catrin Lorch geht in der "Süddeutschen Zeitung" auf die Kritik an der deutschen Obsession mit dem Nationalpavillon ein: "Vor allem internationale Besucher kritisierten während der ersten Tage, dass die deutsche Kunst den Blick nicht hebt, dass man an der NS-Geschichte klebe wie an einem Unique Selling Point. Diese Kritik übersieht, dass 'Relocating a Structure' modellhaft gedacht ist, eine universal gültige Anleitung zum Umgang mit allen auf Ewigkeit angelegten Architekturen."
Auch Tobias Timm schreibt in der "Zeit": "So luzide und scharf wurde die Kunstveranstaltung und ihre Bedeutung für die hiesige Immobilienwirtschaft und den dramatischen Bevölkerungsrückgang in Venedig lange nicht mehr kritisiert. Es ist eine Art Grundlagenforschung auch im Dienste all der Künstlerinnen und Künstler, die Maria Eichhorn an diesem Ort noch folgen werden."
"Der deutsche Beitrag hätte auch einer Architekturbiennale alle Ehre gemacht", schreibt Marcus Woeller in der "Welt". Und blickt wie Tobias Timm voraus auf folgende Biennalen: "Bleibt zu hoffen, dass die archivarische Fleißarbeit von Eichhorn nun auch eine Teufelsaustreibung war. Denn man könnte den Pavillon natürlich auch mal wieder für eine Ausstellung nutzen."
Andrew Russeth von "Art News" lobt den Pavillon: "Inmitten des frenetischen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit während der Biennale muss man Eichhorns Zurückhaltung zumindest zähneknirschend bewundern. Sie weigert sich, dieses Spiel mitzuspielen." Damit aber nicht genug: Russeths freut sich vor allem über das Begleitprogramm: Während der gesamten Laufzeit der Biennale finden in ganz Venedig Führungen zu antifaschistischen "Orten des Widerstands". "Im Inneren des Pavillons gibt es nur wenig zu sehen, stattdessen lenkt die Ausstellung den Blick nach draußen, in die Stadt, um an die Kämpfe und Verluste zu erinnern, die dort stattfanden."
Auch "Frieze"-Kritikerin Chloe Stead sieht in diesen Touren großes Potenzial gerade auch mit Blick auf Eichhorns Vorgänger Hans Haacke, der 1993 für seine Arbeit "Germania" den Boden des deutschen Pavillons aufgebrochen hat: "Während der Schockwert von Eichhorns zerstörerischer Geste durch Haackes frühere Intervention unweigerlich abgeschwächt wird, dürfte das größere Projekt der Künstlerin, das sich um zweimal wöchentlich stattfindende Touren zu Stätten des antifaschistischen Widerstands dreht und das am 28. April anlässlich des 77. Jahrestags der Befreiung Venedigs von den Nazis durch die Alliierten im Jahr 1945 beginnt, immer noch rechte Politiker verärgern, die glauben, dass die deutsche Erinnerungskultur das Land zurückhält."