Ist das jetzt das Ende der Welt oder ein neuer Anfang? Nachdem man sich sich als Besucherin oder Besucher einen Weg durch die schier endlose Abfolge von Kunstwerken in der Biennale-Hauptausstellung im Arsenale in Venedig gebahnt hat, landet man zum Schluss in einem verzauberten Garten. Kleine Bächlein rinnen durch die Halle, man klettert zu außerirdisch anmutenden elektronischen Klängen über Findlinge und Felsen, immer beäugt von gesichtslosen Figuren aus Wolle und Blutstropfen und umflattert von lebendigen Schmetterlingen. Man kann sich nicht ganz sicher sein, ob es ein guter Zauber ist, der hier am Werk ist.
Wenn man sich während der ersten Tage der Venedig-Biennale im Publikum umgehört hat, nennen viele die Installation "To See The Earth Before the End of the World" von Precious Okoyomon als einen Höhepunkt der Kunstschau. Das Konzept der Hauptausstellung, mit neuen Zugängen zur Natur und unserer Umwelt zu experimentieren, wird hier sinnlich erfahrbar.
Okoyomon (geboren 1993 in London, lebt in New York) macht nicht nur Kunst, sondern beschäftigt sich auch mit Poesie und Kochen. So ist auch der Kunstgarten in Venedig (eine ähnliche Installation war 2020 auch im MMK Frankfurt zu sehen) einerseits von Naturlyrik inspiriert, andererseits geht es auch um die politische Dimension von Nutzpflanzen. So wachsen im Arsenale unter anderem Zuckerrohr und Kudzu - eine Kletterpflanze aus der Familie der Hülsenfrüchtler, die eigentlich aus Ostasien kommt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie in die USA importiert, um die vom Baumwollanbau erschöpften Böden im Süden zu stabilisieren. Dort breitete sie sich jedoch rasend schnell aus und gilt heute als Synonym für eine invasive Art.
Precious Okomoyon erinnert mit der Wahl der Vegetation einerseits an die Auswirkungen der Sklaverei auf Ökosysteme in Nordamerika und zeigt andererseits, wie sich die Natur mit ihrer Anpassungsfähigkeit immer wieder durchsetzen kann. Auch die Installation "To See The Earth Before the End of the World" wird während der Laufzeit der Biennale von Kudzu-Ranken überwuchert werden. Die Kunst ist hier ihr eigenes Biotop - und braucht die Menschen nicht.