Eigentlich hätte da nichts sein sollen. Eine Lücke auf dem venezianischen Kunst-Pilgerweg durch die Giardini, wo sonst der massige Säulenbau mit der Aufschrift "Germania" steht. Glaubt man den Infotexten und dem kuratorischen Team, wollte die Künstlerin Maria Eichhorn zur Biennale 2022 den deutschen Pavillon verschwinden lassen. Keine künstlerische Magie oder reines Gedankenexperiment, sondern ein physischer Kampf mit der Architektur, die abgetragen, anderswo aufgebaut und nach Ende der Ausstellung wieder an ihren Platz gebracht werden sollte. Offenbar wäre der konzeptuelle Zaubertrick technisch möglich gewesen, wurde aber im Laufe der Vorbereitungen wieder verworfen.
Nun wissen wir spätestens seit Marcel Duchamp und Lawrence Weiner, dass nicht jede Idee in die Tat umgesetzt werden muss, um ein Kunstwerk zu sein. Auch Maria Eichhorn selbst betont immer wieder, dass es nicht der anfängliche Plan ist, der eine Arbeit ausmacht, sondern der Prozess, der zu ihr hinführt. Doch mit diesem großen Gedanken des verschwundenen Pavillons im Kopf wirken die Eingriffe, die die Künstlerin tatsächlich an Ernst Haigers Monumentalbau aus der NS-Zeit vorgenommen hat, geradezu bescheiden.
Für das Projekt "Relocating a Structure", kuratiert von Yilmaz Dziewior, hat sich Maria Eichhorn als Archäologin betätigt und unter anderem die Spuren des "Bayerischen Pavillons" freigelegt, der 1909 in den Giardini erbaut wurde.1938 wurde die Struktur von den Nationalsozialisten erweitert und zu dem monumentalen Herrschaftsklotz, der Künstlerinnen und Künstlern heute immer noch so viel Kopfzerbrechen bereitet.
Der Boden ist aufgegraben wie eine Fundstelle antiker Schätze
2022 zeigt sich der Koloss nun verletzlich. An den Wänden der ansonsten leeren Hallen ist an mehreren Stellen mit chirurgischer Präzision der Putz abgetragen. Die Streifen und Flächen aus hellrotem Backstein zeigen die Konturen des wesentlich kleineren Bayerischen Pavillons, legen das Gebäude im Gebäude frei. Auch der Boden mit seinen glänzenden Steinfliesen ist in der Mitte aufgegraben wie eine Fundstelle antiker Schätze. Darunter ist das Fundament des Pavillons zu erkennen - eine klaffende, gigantische Metapher, denn ganz offensichtlich geht es darum, auf welcher Geschichte diese Kunstinstitution, vielleicht die ganze deutsche Bundesrepublik steht.
Das Infragestellen der problematischen Architektur hat im deutschen Pavillon inzwischen eine Tradition von Joseph Beuys (1976) bis Natascha Süder Happelmann (2019). Auch Hans Haacke hat diesen Boden schon einmal splittern lassen und den Pavillon 1993 symbolisch in Trümmer gelegt. Doch während aus seinem Werk eine gewisse Zerstörungslust sprach, die schon wieder etwa Romantisches hatte, geht Maria Eichhorn mit der für ihr Werk typischen formalen Präzision vor. Ihr Ansatz ist ein forensischer, die nationalsozialistische Herrschaftsarchitektur wird einer Autopsie unterzogen.
Als weiterer Teil ihres Projektes erscheint ein Katalog mit Recherchen zur Geschichte des Gebäudes, außerdem sollen während der Biennale Stadtführungen zu Schauplätzen des Antifaschismus in Venedig stattfinden. Es ist gut möglich, dass niemand mehr einen deutschen Pavillon bespielen will, ohne vorher Eichhorns Publikation zur Hand zu nehmen.
Die Ordnung der Pavillons einmal durchlüften
Wie beispielsweise die Diskussion um das NS-Erbe der Documenta gezeigt hat, hat die Kunst durchaus Nachholbedarf, wenn es um die Aufarbeitung der eigenen Rolle während und nach der nationalsozialistischen Herrschaft geht. Auch in der Geschichte des Deutschen Pavillons gibt es Protagonisten, die einen geschmeidigen Übergang von der NS-Zeit in die BRD geschafft haben. Doch mit den neuen Erkenntnissen wird auch die Frage drängender, wie man mit diesem Erbe auch künstlerisch umgehen kann, wenn man nicht Institutionen wie die Biennale oder die Documenta an sich in Frage stellen will - und Interventionen an der Pavillonarchitektur nicht zur puren pflichtbewussten Geste verkommen sollen.
Insofern wäre ein verschwundener deutscher Pavillon ein interessantes und kraftvolles Projekt gewesen, nicht nur des Kühnheits-Faktors wegen, sondern weil es im wahrsten Sinne einen Raum geöffnet und das ganze Biennale-Gelände einmal durchgelüftet hätte. Eine solche Störung würde die ganze (geopolitisch motivierte) Ordnung der Pavillons verändern - genau wie Geschichte heute nicht mehr von einer Nation allein erzählt werden kann und Erinnerung mit der Zeit immer komplexer und heterogener wird.
Natürlich kann man sich diese Fragen auch stellen, wenn man am Standort von Germania nicht wirklich eine Leerstelle findet. Doch das Fundament der Institution, die Selbstverständlichkeit seiner Existenz, wird nun nicht angetastet. Hier zeigen sich die Grenzen von architektonischen Eingriffen, denn das kollektive Gedächtnis der Kunst ist bekanntlich kurz und bis zur nächsten Biennale muss der Pavillon wieder so aussehen wie vorher. So schnell wird er nicht weggehen.