"Wir schreiben Ihnen, weil wir alarmiert sind davon, dass die Stadt Berlin bzw. deren Funktionsträger sich ohne Not mit der räumlichen und finanziellen Unterstützung einer sogenannten 'Kunsthalle Berlin' von privaten Vereinen, Unternehmen und Personen rund um den 'Kulturmanager' Walter Smerling haben instrumentalisieren lassen", heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem über die Plattform E-Flux verbreitet wurde. Er wurde von der Künstlerin Hito Steyerl, dem Künstler Clemens von Wedemeyer und dem Kunstkritiker und UdK-Professor Jörg Heiser verfasst und inzwischen von dutzenden Protagonistinnen und Protagonisten des Kunstbetriebs unterzeichnet - darunter die Künstlerinnen Maria Eichhorn, Natascha Sadr Haghighian und Rosa Barba, dem Künstler und Kurator Kader Attia und Institutionsleitungen wie Krist Gruijthuijsen (KW Berlin), Bettina Steinbrügge (Hamburger Kunstverein/Mudam Luxemburg) und Kathrin Becker (Kindl Zentrum Berlin).
Der Protestbrief richtet sich an den Berliner Senator für Kultur und Europa, Klaus Lederer (Die Linke), die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), den Regierenden Bürgermeister a.D. Michael Müller (SPD), die Mitglieder des Aufsichtsrats der senatseigenen Tempelhof Projekt GmbH, den Berliner Rechnungshof, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) sowie an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der als Schirmherr der Ausstellung “Diversity United” im Flughafen Tempelhof auftrat. Diese wurde genau wie die Kunsthalle Berlin vom Verein Stiftung Kunst und Kultur Bonn e.V. organisiert, dem der Kurator und Manager Walter Smerling vorsteht. In ihrer Erklärung schreiben die Verfasser nun, "die Gefährlichkeit des Systems Smerling" schon seit Jahren zu kennen und im aktuellen Fall zu sehen, "wie leichtgläubig bis verantwortungslos man sich in Berlin hat vor den Karren spannen lassen."
Im repräsentativen Ort Tempelhof, der dem Land Berlin gehört, sei nicht nur "das leider vielerorts übliche Spiel" zu beobachten, "sich private Vernetzungs-, Repräsentations- und Profitinteressen aus öffentlichen Mitteln alimentieren zu lassen", sondern auch eine fehlgeleitete Kulturdiplomatie. Diese äußere sich vor allem dadurch, "dass man Wladimir Putin zum Schirmherr der einen Ausstellung macht ('Diversity United') und am Vorabend der Eröffnung der anderen (Bernar Venet) das designierte Gazprom-Aufsichtsratsmitglied Gerhard Schröder als Hauptredner aufbietet – in den Ausstellungsräumen, beim Firmen-Neujahrsempfang des Hauptsponsors, des Bauunternehmers Christoph Gröner."
Umdenken im Umgang mit "ethisch und politisch fragwürdigen 'Partnern'"
Ende Januar hat in zwei Hangars des Flughafens Tempelhof die private Kunsthalle Berlin mit einer Retrospektive des französischen Künstlers Bernar Venet eröffnet. Nachdem der Senat zunächst nur davon gesprochen hatte, dass der Verein die Räumlichkeiten für zunächst zwei Jahre mietfrei nutzen könne, bestätigte die Tempelhof Projekt GmbH inzwischen, dass auch ein Betriebskostenzuschuss gezahlt wird. Zahlen nannte die Stadt bisher nicht, aufgrund des maroden Zustands des Flughafens sollen die Betriebskosten jedoch bis zu 100.000 Euro pro Monat betragen. Seit Veröffentlichung eines Artikels in der "FAZ" regt sich in der Kulturszene heftiger Protest gegen das private Projekt, das sich durch den Namen Kunsthalle Berlin einen offiziellen Anstrich verleihe. So riefen Künstlerinnen und Künstler wie Candice Breitz, Tobias Zielony und Zoë Claire Miller zu einem Boykott des Ausstellungshauses auf, auch ein offener Brief existiert bereits.
In der neuen Veröffentlichung fordern die Verfasserinnen, die Vergabe der Räume an die Stiftung Kunst und Kultur Bonn und die Zuschüsse aus öffentlichen Geldern sofort zu beenden. Außerdem müsse die Vereinbarung zwischen der Tempelhof Projekte GmbH und dem Verein offengelegt und der Vorgang finanz- und steuerrechtlich überprüft werden. Zudem heißt es: "Wir fordern, dass die Berliner Kulturpolitik endlich die Kunst und die Kunstszene ernst nimmt und aufhört zu versuchen, die chronische Unterfinanzierung der bestehenden Institutionen dadurch zu kompensieren, dass man auf private Player setzt." Insgesamt müsse ein Umdenken mit "ethisch und politisch fragwürdigen" Partnern stattfinden.
Walter Smerling hat als Reaktion auf die Protestwelle wiederholt Gesprächsbereitschaft mit der Berliner Kunstszene signalisiert. Die Kunsthalle Berlin sieht er offenbar als eine Möglichkeit, mehr Raum für Kunst und Kultur in der Hauptstadt zu schaffen. "Es ist eine Win-Win-Situation für die Kulturlandschaft und die Stadtkasse Berlins", schrieb er kürzlich in einer E-Mail an Beteiligte der Ausstellung "Diversity United", die Monopol vorliegt. Inzwischen haben mehrere Künstlerinnen und Künstler ihre Werke aus der Gruppenausstellung abgezogen, die nach der Station in Berlin gerade in Moskau zu sehen ist. Danach soll die Schau eigentlich nach Paris weiterziehen. Laut Smerlings Mail ist inzwischen jedoch fraglich, ob das passieren wird - nach seinen Angaben wegen der Corona-Pandemie.