Reden wir über das Scheitern! Es gibt schließlich wunderbar kuriose, tragikomische, vermeidbare und schlichtweg dumme Arten zu scheitern – manche sind auch die Folge von Kleingeist oder Größenwahn. Andere Kunstwerke blieben unvollendet, weil die Kräfte versagten, Projekte ausfransten, der schöpferische Motor ins Stocken geriet.
Was für ein Glück also, dass der Romanautor, Essayist und Journalist Thomas von Steinaecker dieses fantastische, über 600 Seiten starke Großwerk über unvollendete künstlerische Projekte zum Abschluss bringen konnte. Denn seine Untersuchung zu Fragment gebliebenen Gemälden, Romanen, Filmen, Symphonien und Pop-Alben verbreitet alles andere als Trübsinn. Im Gegenteil: Es ist lustvoll, den erzählerischen, fakten- wie anekdotenreichen Ausführungen des Autors zu folgen. Wie er Licht ins Dunkel des Unfertigen bringt und die Faktoren des jeweiligen Scheiterns seziert.
Doch welche Ausgangsfragen haben eigentlich von Steinaecker auf das Thema seines neuen Buchs "Ende offen" gebracht? Dazu gibt er selbst Auskunft: "Dass ein Kunstwerk gelingt und das heißt in erster Linie: dass es überhaupt fertig und veröffentlicht wird, ist ja eher die Ausnahme als die Regel. Das vergisst man immer angesichts unserer Kulturgeschichte, die mit Meisterwerken reich bestückt ist. Was ist aber mit all der Masse von Werken, die nie fertig wurden? Und warum blieben sie unvollendet? Was ist da passiert? Und was bedeutet das überhaupt: scheitern?"
Wer vermisst hier einen Schluss?
Vier Kapitel teilen seine Forschungsergebnisse auf, und ihre Titel geben bereits Aufschluss über die häufigsten Gründe, warum manche Werke unabgeschlossen blieben: "Utopien", "Tod", "Größenwahn" und "Der Zufall möglicherweise". Oft sind es bestimmte Konstellationen, die der Fertigstellung einer Arbeit von Beginn an entgegenstehen. Etwa wenn die Stadtväter von Florenz auf die glorreiche Idee kommen, gleichzeitig Leonardo und Michelangelo mit der Erstellung von Fresken im Sitzungssaal des Großen Rats zu betrauen – diese beiden sich aber nicht ausstehen können und das ihnen gestellte Thema (militärische Erfolge der Vergangenheit) einfach nichts hergibt.
In anderen Fällen reicht es nur für ein einziges Opus magnum – und der Versuch, ein weiteres Meisterwerk zu vollenden, führt geradewegs in die Depression. Zwei Beispiele: Nach dem gefeierten Pop-Album "Pet Sounds" machte sich Brian Wilson, Mastermind der Beach Boys, an den Nachfolger "Smile" – und ging daran fast zugrunde. Und nach "Unendlicher Spaß" begann der Autor David Foster Wallace das Romanprojekt "Der bleiche König" – der Ausgang dieser Geschichte ist so traurig wie bekannt.
Thomas von Steinaecker schildert in "Ende offen" solche Abstürze mit Empathie und Respekt für das, was uns Künstlerinnen und Künstler trotz aller Schwierigkeiten hinterlassen haben. Denn oft sind diese Bruchstücke von großer Kraft und Qualität. Man denke nur an die sämtlich unabgeschlossenen Romane Kafkas oder Musils "Mann ohne Eigenschaften". Wer bitte vermisst hier einen Schluss?