Es war vielleicht wirklich Liebe, doch nicht unbedingt auf den ersten Blick. In Ridley Scotts Film "House of Gucci" fängt das so an: Patrizia Reggiani (Lady Gaga) trifft Maurizio Gucci (Adam Driver) 1970 auf einer Kostümparty der Mailänder Haute-Volée. Sie ordert einen Drink bei ihm, weil sie den fein bezwirnten Enkel des legendären Firmengründers Guccio Gucci für den Barkeeper hält. Dabei hatte Maurizio bloß das Kostümgebot verschusselt und war im Anzug gekommen. Er gibt sich im Disco-Licht als Gucci-Erbe zu erkennen, Patrizias Interesse ist geweckt. Geschickt fädelt sie ein weiteres "zufälliges" Treffen mit dem Gutbetuchten ein, bald darauf wird geheiratet.
Senior Rodolfo Gucci (blasé: Jeremy Irons), der sich seinem nicht allzu fernen Ende entgegenhustet, ist über die Verbindung seines Sohnes mit der Adoptivtochter eines Transportunternehmers – viel Geld, wenig Klasse – nicht amüsiert. Dass Patrizia und Maurizio zusammenkommen, erscheint aber dennoch zwingend: Die Tochter einer Kellnerin und eines unbekannten Erzeugers sehnt sich nach Glamour und Tradition, der Firmenerbe will sich von Vater und Familie eher lösen, strebt eine Anwaltskarriere an. Es kommt anders – woran die ehrgeizige Patrizia nicht unschuldig ist.
Die reale, heute 73-jährige Patrizia Reggiani darf den Namen Gucci nicht mehr tragen. 1998 wurde sie zu 29 Jahren Gefängnis verurteilt (wovon sie nur 18 absitzen musste), weil das Gericht es als erwiesen ansah, dass die Witwe Killer auf ihren Gatten angesetzt hatte. Reggiani beteuert nach wie vor ihre Unschuld. Der 27. März 1995, Maurizios letzte Minuten und die tödlichen Schüsse auf ihn bilden die Rahmenhandlung des Films.
Ehedrama mit tödlichem Ausgang
Wie der Tatsachenroman "House of Gucci: A Sensational Story of Murder, Madness, Glamour, and Greed" von Sara Gay Forden, auf dem Roberto Bentivegnas Drehbuch basiert, fokussiert der Film auf das Ehedrama mit tödlichem Ausgang. Das ist gut geschrieben und überzeugend inszeniert. Diverse Familienmitglieder sind ausgelassen, nur die zweite Gucci-Generation – verkörpert von Irons und Al Pacino – sowie Maurizios Cousin Paolo (Jared Leto) sind mit tragenden Rollen vertreten.
Nach Patrizias Verurteilung ist Ende. Die beginnende Ära von Tom Ford (Reeve Carney) bei Gucci ist aber noch im Film. Somit wird von der Endphase des Hauses Gucci im Familienbesitz erzählt. 1993 verkauft Maurizio seinen Anteil an die Investcorp, ansässig in Bahrain. Damit haben die Guccis Gucci aus der Hand gegeben.
"House of Gucci" wirkt über weite Strecken wie eine geglückte Parodie auf Thomas Manns "Buddenbrooks" mit einem Schuss "Der Pate"-Trilogie. Verfall einer Familie, vor allem im geistig-moralischen Sinn. Wer nicht mehr nützlich ist, wird ausgezahlt und damit kaltgestellt. Der wie immer großartige Adam Driver heimst zunächst Sympathiepunkte als linkisch-verknautschter Gucci-Spross ein. Ohne Zweifel scheint Maurizio der richtige Mann dafür zu sein, das Mode-Imperium in die Zukunft zu führen. In Wahrheit fährt er den Laden fast an die Wand.
Ein Spiel, in dem keine Gewinner übrigbleiben
Maurizos jovialer Onkel Aldo holt den Neffen und Patrizia in den 1970ern zum Firmensitz an der Fifth Avenue. In nahezu jeder New-York-Einstellung ist das Chrysler Building zu sehen, mehr Gucci-Style geht wolkenkratzermäßig ja auch nicht. Den eigenen Sohn, der in Italien vor sich hin schneidert, hält Aldo für eine Niete. Fatsuit, verlebte Maske, Halbglatze mit verschwitzten Strähnen: Jared Leto ist als durchtriebener, aber ungeschickt intrigierender Couture-Zausel nicht wiederzuerkennen, aber eine Wucht. Paolo und Aldo sind die ersten Verlierer im Spiel, in dem keine Gewinner übrigbleiben.
Ein grandioser Al Pacino ist als Patriarch Aldo Gucci zu erleben. Ein Besetzungs-Coup. Nur die echten Guccis regten sich darüber auf, dass Pacino angeblich "fett, klein und wirklich hässlich" aussehe, wie eine Cousine von Maurizio bemerkte. "Mein Großvater war ein hübscher Mann, wie alle Guccis war er sehr groß, hatte blaue Augen und war sehr elegant", so Patrizia Gucci weiter (nicht zu verwechseln mit der "Schwarzen Witwe" Patrizia).
Das Zitat stammt vom vergangenen April, als noch gedreht wurde. Jetzt sieht man Pacino in der Rolle, und er ist goldrichtig darin. Rührender als seine Patriarchen-Performance lässt sich das kaum spielen. Aldo Gucci prägte die Firma. Er war es auch, der das ineinandergreifende Doppel-G erfand, das sich bis heute an Schuhschnallen, Handtaschen und Halstüchern zeigt. Die University of New York ehrte ihn als Philanthropen und "Michelangelo of the merchandising world".
Vom Träumer zum Mode-Machiavelli
Pacino gibt Aldo als gefühlsbetonten und redseligen Lebemann. In einer späten Szene verschlägt es ihm die Sprache. 1986 hatte Paolo seinen Vater an die Steuerbehörden verpfiffen, wegen Hinterziehung saß Aldo ein Jahr im US-Gefängnis. Er kehrt nach Mailand zurück, willig, sich mit Spross Paolo zu versöhnen, der ihm in seiner abgeranzten Schneiderwerkstatt etwas beichten muss. Er habe seine Gucci-Anteile an Maurizio verkauft. Aldos eigene Anteile genügen nicht, um Maurizios Macht zu brechen. Jetzt sagt Pacino-Aldo gar nichts mehr, fuchtelt mit den Händen, stößt schaurige Klagelaute aus. Ein unvergesslicher Moment.
Und Maurizio? Entwickelt sich vom Träumer zum Mode-Machiavelli. Gegenüber dem extrovertierten Pacino legt Driver seine Rolle undurchsichtig an. Bedauert er seine rücksichtslosen Schachzüge? Zeigt sein Stirnkräuseln Mitgefühl oder Verärgerung angesichts eines geschlagenen Kontrahenten oder seiner Gattin, die Maurizio schließlich ohne viele Umstände abserviert? Patrizia wiederum wird keineswegs nur als berechnendes Biest gezeichnet, sondern als liebende (wenn auch kontrollsüchtige) Frau, die am Ende auch um das Glück der Tochter kämpft, die Maurizio bei der Trennung mehr oder weniger mit verstößt.
Patrizia wächst eine zentrale Rolle im Drama zu, weil sie die einzige Mutter ist, die in Erscheinung tritt. Maurizio wie Paolo haben ihre Mütter früh verloren. Die Männer dominieren ohnehin. Das entspricht den Tatsachen: den Gucci-Frauen war es nicht erlaubt, Firmenanteile zu erben. Als Maurizio sich von Patrizia abwendet, weil er eine andere liebt, wird Patrizias Schmerz auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer fühlbar.
Mordpläne im Moorbad
Die darstellerische Bandbreite einer bauernschlauen Intrigantin, die in Verzweiflung und blanken Hass abdriftet, hätte man Lady Gaga kaum zugetraut. Nach einer durchwachsenen Leistung in "A Star Is Born" scheint aus ihr eine richtige Schauspielerin geworden zu sein. Herrlich etwa ihre Szenen mit Salma Hayek als Giuseppina "Pina" Auriemma, einer Wahrsagerin, die Patrizia mit Rat und Tat zur Seite steht. Rachepläne in Sachen Maurizio schmieden die Freundinnen schlammverschmiert in einem Moorbad. Mit den Auftragsmördern treffen sich Patrizia und Pina an einem heruntergekommenen Trinkschuppen, gruftig geschminkt und als Biker-Ladies lederkostümiert. Welch Kontrast zur klassischen Gucci-Linie!
Wenn das Mitgefühl des Publikums überhand zu nehmen droht, tritt Ridley Scott immer wieder auf die Ironiebremse. Er inszeniert "House of Gucci" mehr als Farce denn als Drama. Nie hat man das Gefühl, hier würde das Leben der wirklichen Guccis nachgespielt. Ein durchweg US-amerikanischer Cast spricht Englisch mit italienischem Akzent, was für ein ernsthaftes Dokudrama eine Katastrophe wäre, hier aber sehr lustig wirkt. Auf Distanz halten uns auch die farb-entsättigten Bilder des Kameramanns Dariusz Wolski. Vielleicht ist es sogar ganz passend, dass die Digitalkamera atmosphärische Stimmungen nicht gerade unterstützt.
Die von Harry Gregson-Williams verantwortete Musik ist der einzige Wermutstropfen: Statt eines originären Scores erklingen Hits der jeweiligen Zeit von den Monkees oder Donna Summer abwechselnd mit Opernmusik von Rossini, Verdi und Puccini. Musste da gespart werden? Die Summchor-Begleitung aus "Madama Butterfly" zu Maurizios Finale als "Dead Man Walking" ist aus Peter Jacksons "Heavenly Creatures" entlehnt, wo Puccinis Intermezzo eine ähnliche Quasi-Hinrichtung untermalt.
Ganz makellos kommt der heiße Stoff also nicht auf die große Leinwand, aber der Hausbesuch bei den Guccis wird nie langweilig, trotz nahezu drei Filmstunden und einem Ende, das aus der Regenbogenpresse sattsam bekannt ist .