Wie konnte das passieren? Das ist die zentrale Frage, die auch zwei Jahre nach dem spektakulären Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe Dresden noch nicht beantwortet ist. Zwar konnten die Ermittler bei der Aufklärung des Verbrechens, das im November 2019 nicht nur die Museumswelt schockierte, Erfolge verzeichnen. Aber warum das Schatzkammermuseum nicht so sicher war wie geglaubt, bleibt unklar. "Niemand will Verantwortung übernehmen", sagt der Linke-Landtagsabgeordnete Rico Gebhardt. Auf seine Anfragen an die Regierung, schriftlich oder in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments, hat er bisher kaum erhellende Antworten bekommen.
Zwei Männer waren am 25. November 2019 in das berühmte Museum eingedrungen, hatten mit einer Axt Löcher in eine Vitrine geschlagen und Schmuckstücke aus Diamanten und Brillanten des 17. und 18. Jahrhunderts herausgerissen. Zum Verbleib der Beute mit einem Gesamtversicherungswert von mindestens 113,8 Millionen Euro gibt es weiterhin keine heiße Spur. Die Ermittler sind überzeugt, dass der Coup auf das Konto des bekannten Berliner Remmo-Clans geht, der auch für den Diebstahl einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum 2017 verantwortlich gemacht wird.
Sechs junge Männer aus der arabischstämmigen Großfamilie stehen unter Tatverdacht, vier sind in Untersuchungshaft und zwei verbüßen eine mehrjährige Jugendstrafe - wegen des Goldmünze-Falls. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass alle unmittelbar an dem Juwelendiebstahl Beteiligten gefasst und angeklagt sind: wegen schweren Bandendiebstahls, Brandstiftung und besonders schwerer Brandstiftung. Sie sollen auch einen Stromkasten in Schlossnähe sowie eines ihrer Fluchtautos in der Tiefgarage eines Wohnhauses in Brand gesetzt haben.
Einen Prozesstermin gibt es bisher nicht, mit dem Beginn der Hauptverhandlung am Landgericht Dresden wird frühestens im Januar 2022 gerechnet. Gebhardt erwartet davon aber keinen Aufschluss über Verantwortlichkeiten. Immerhin bestätigte das Kulturministerium Mitte Oktober, dass das Gitter des Einstiegsfensters zu dem Museum im Erdgeschoss des Residenzschlosses bereits Tage vorher durchtrennt und dann provisorisch zusammenklebt wurde. Die Aktion blieb unbemerkt, weil dieser Bereich zwischen Mauer und Fenster im toten Winkel liegt.
Der Scanner, der bei Erfassung einer Bewegung in diesem Bereich der Schlossfassade grundsätzlich Alarm auslöst, reagierte nicht - er war am Tattag gar nicht scharf geschaltet. Der Wachschutz habe das nach einem angenommenen Alarm am Vortag "unterlassen", schrieb das Ministerium. Gebhardt will nun wissen, ob das menschliches Versagen war oder "die Täter vielleicht doch Insiderwissen hatten". Diesem Verdacht geht auch die Staatsanwaltschaft nach. "Er konnte jedoch bislang nicht erhärtet oder auch nur gegen bestimmte Personen konkretisiert werden", sagt ein Sprecher. Die Untersuchungen gegen vier Wachschutzmitarbeiter dauerten an.
Die Auswertung der bei mehreren Razzien in Berlin beschlagnahmten Gegenstände ist laut Staatsanwaltschaft weitgehend abgeschlossen. Insgesamt werden knapp 2740 Spuren geprüft sowie rund 39 Terabyte Daten- und eine erhebliche Menge Videomaterial gesichtet. Zu Sicherheitslücken äußert sich die Staatsanwaltschaft nicht, sie prüfe den Sachverhalt nur auf strafrechtlich relevantes Verhalten.
Gebhardt beklagt, dass sich Ministerien und Behörden gegenseitig die Schuld zuwiesen und versuchten, "die Sache abzumoderieren". Fragen etwa nach Versäumnissen bei der Einrichtung des 2006 eröffneten Museums würden aus eben diesem Grund nicht beantwortet oder es hieße, Unterlagen dazu existierten nicht mehr.
Auch der Bericht einer internationalen Expertenkommission von 2020, auf deren Erkenntnissen nach Angaben von Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) das aktuelle spezifische Sicherheitskonzept für das Residenzschloss fußt, wird wie ein Geheimnis gehütet. Dafür wird ständig wiederholt, dass es stetig geprüft und optimiert wird.
"Der Schwarze Peter wird hin und her geschoben, das ist schon eigenartig", findet Gebhardt. "Dieses Nicht-Verantwortlich-Sein-Wollen" schreie nach Untersuchungsausschuss - dafür aber fehle die parlamentarische Mehrheit. "Die Regierung muss endlich mal für sich aufklären, woran es gelegen hat", fordert Gebhardt. "Es müssen keine Köpfe rollen, aber das darf nicht wieder passieren."