Filmfestival Venedig

Starkes Polit-Kino aus Polen

"Żeby nie było śladów" ("Leave No Traces") zeigt im Wettbewerb des internationalen Festivals in Venedig, wie im Polen des Jahres 1983 die Menschrechte mit Füßen getreten wurden. Ein Film, dem man ein großes Publikum wünscht

Michael Myers, der verrückte Killer mit der Maske, treibt auch nach 40 Jahren noch sein Unwesen. "Halloween Kills", mit der unverwüstlichen Jamie Lee Curtis in der Hauptrolle, delektiert sich auch im zwölften Teil am Grausamkeitsarsenal des Slasher-Genres. Die Waffen bleiben die gleichen, Messer, Beile, alles, was der Werkzeugkasten so bietet, aber ein bisschen hat sich die Gruselreihe durchaus der gesellschaftlichen Wirklichkeit angepasst: Ein homosexuelles Paar lebt in Myers’ verfluchtem Elternhaus, zu den erwartbaren Opfern des Massenmörders gehört auch ein junger Mann, der gerne Frauenkleider trägt. Wie üblich müssen die Guten dran glauben, nur Laurie Strode, gespielt von einer in Ehren ergrauten Curtis, muss weiterleben und weiter auf die Vernichtung des Leibhaftigen hoffen (die nie erfolgt, solange man die Halloween-Kuh noch melken kann).

"Halloween Kills" läuft in Venedig natürlich außer Konkurrenz, ein Preis für die gut abgehangene Schlachtplatte ist nicht zu erwarten. Der wahre Horror liegt bei der Mostra in der Vergangenheit. Der polnische Beitrag "Żeby nie było śladów" ("Leave No Traces") zeigt, wie im Polen des Jahres 1983 – die kommunistischen Behörden haben das Kriegsrecht verhängt – die Menschrechte mit Füßen getreten werden. Seine unmittelbare Wirkung entfaltet der Film durch das schmutzige 16-mm-Filmmaterial, mit dem er gedreht wurde, und durch das intensive Spiel seiner Darsteller. Nach einer Romanvorlage von Cezary Łazarewicz erzählt der Film die wahre Geschichte des von einer Polizeistreife zu Tode geprügelten Grzegorz Przemyk – Sohn der vielbewunderten Dichterin und Regimekritikerin Barbara Sadowska – und seines Freundes Jurek Popiel (Tomasz Zietek), der die Tat bezeugen kann und trotz Drangsalierungen seitens der Behörden nicht von seiner Version abweicht.

Der Film des polnischen Regisseurs Jan P. Matuszyński widmet sich eindringlich den Bemühungen des korrupten Staatsapparats, den Fall herunterzuspielen. Als eine große Anzahl Trauernder hinter Przemyks Sarg durch die Straßen Warschaus marschieren, beschließen die Behörden, mit allen Mitteln gegen den Zeugen und die Mutter des Verstorbenen vorzugehen. Es geht den Machthabern darum, die Hinterbliebenen zu diskreditieren und Jurek an einer Aussage vor Gericht zu hindern. Während die Dichterin Sadowska am Ende kleinbei gibt, lässt sich Jurek bis zum Schluss nicht einschüchtern.

Zu den stärksten Szenen zählt Jureks Kreuzverhör vor Gericht durch die Staatsanwältin (so durchtrieben wie stark geschminkt: Aleksandra Konieczna), die mit allen Wassern der psychologischen Kriegsführung gewaschen ist. Der Titel "Leave No Traces" besagt, dass die Schläger angewiesen werden, dem Deliquenten keine sichtbaren Verletzungen zuzufügen. In einer Zeit, in der in Polen Recht und Meinungsfreiheit erneut wenig geachtet werden, wünscht man dem überaus gelungenen Stück Politkino eine große Zuschauerschaft.