Frau Jeßulat, der Präsident der UdK Berlin hat mit einem offenen Brief gegen das neue Berliner Landeshochschulgesetz protestiert, das im September in Kraft treten soll. Was sind die Kritikpunkte?
Es geht darum, dass in der Novelle, die Anfang September im Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll, eine Formulierung steht, die sich mit dem Promotionsrecht an den Berliner Universitäten beschäftigt. Im Gegensatz zur alten Fassung wurde dort ein Wort eingeschoben, nämlich dass die Universität der Künste Berlin das Promotions- und Habilitationsrecht "NUR" für ihre wissenschaftlichen Fächer hat. Die Entwicklung eines künstlerisch-wissenschaftlichen Promotionsformats wäre damit explizit ausgeschlossen.
Was würde daraus folgen?
Es bedeutet, dass aktuell die Politik in wissenschaftliche Entwicklung eingreift, indem sie vorab den Raum zwischen Wissenschaft und Kunst als juristische Grenze bestimmt. Wir sehen hier eine Übersteuerung der Politik in die ureigenen akademischen Belange einer Universität, ein Vorgehen, das auch über Berlin hinaus kritisch wahrgenommen wird.
Was sind die fachlichen und institutionellen Hintergründe und Auswirkungen dieser Regelung?
Konkret geht es darum, dass die Eigenständigkeit und Spezifik künstlerischen Forschens auch institutionell adäquat abgebildet und gefördert wird. Dazu gehören auch äquivalente Abschlüsse im "dritten Zyklus", wie zum Beispiel die Promotion – so wie es der Wissenschaftsrat in seinen "Empfehlungen zur postgradualen Qualifikationsphase an Kunst- und Musikhochschulen" vorschlägt. Der Wissenschaftsrat hat seinen Empfehlungen die Einschätzung zu Grunde gelegt, dass sowohl im internationalen als auch im nationalen Vergleich der fachliche Diskurs im Bereich artistic research soweit in der dynamischen Entwicklung der letzten Jahrzahnte gereift ist, sodass die hybriden Räume zwischen künstlerischer oder praxisbasierter Forschung und den traditionellen Wissenschaftlichen Standards einer Neubestimmung bedürfen. Wenn nun die Universität der Künste Berlin politisch in ihrer institutionellen Ausdifferenzierung beschnitten wird – durch dieses "NUR" – konserviert dies willkürlich einen vergangenen Ist-Zustand und vergibt enormes Potenzial. Die innovative Entwicklung dieses Forschungsfeldes geht damit auch dem aktuellen Wissenschaftsstandort Berlin verloren.
Was heißt das genau?
Unsere Projekte mit internationalen Partner:innen und Nachbarbundesländern, aber auch Kooperationen zur Grundlagenforschung oder angewandten Forschung wären unmittelbar betroffen. Und hinzukommt: es ist unbegründet. Die politisch letztendlich Verantwortlichen haben trotz mehrfach eingebrachter Kritik seit Bekanntwerden des Entwurfs der Novelle keinen Austausch von Argumenten mit uns gesucht.
Also gibt es für Sie keine wirklichen Anhaltspunkte, warum das Gesetz in diesem Punkt verändert wurde?
Nein. Das Gesetz insgesamt zeigt ja deutliche Weiterentwicklungen in den Feldern von Diversität, Nachhaltigkeit, aber gerade auch bezüglich der Teilhabemöglichkeiten aller Statusgruppen an der Hochschulpolitik und für die Förderung des Mittelbaus. Es reagiert damit sinnvoll auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse und lässt diese auch in den hochschulpolitischen Strukturen zu, wodurch natürlich auch inhaltliche Diskurse durch die Gesetzgebung befördert werden. Deswegen ist es tatsächlich sehr irritierend, dass der vorliegende Entwurf gerade im Bereich von Forschung und Qualifikation seine akademischen Innovationsversprechen an dieser Stelle nicht einlöst.
Betrifft das auch andere Kunsthochschulen?
Ja, mittelbar: Wenn es schon der Universität der Künste, die das Promotions- und Habilitationsrecht hat, nicht möglich ist, dieses durch wissenschaftlich-künstlerische Selbstbestimmung den internationalen Standards anzupassen, betrifft dies natürlich auch die anderen Berliner Kunsthochschulen in ihren jeweiligen Forschungszusammenhängen und ihrer überragenden Expertise in künstlerischer und künstlerisch-wissenschaftlicher Praxis, die es im Verbund weiter auszubauen gilt. Das Konzert der Berliner Wissenschaftseinrichtungen, seien es Universitäten, Kunsthochschulen, Fachhochschulen, aber auch außeruniversitäre Einrichtungen, ist Resultat komplexer und spannender Kommunikationen – die Gesetzgebung darf hier nicht künstliche Hindernisse durch Überdetermination errichten.
Wie betrifft diese Veränderung dann letztlich die Studierenden?
Es betrifft den dritten Zyklus, also zunächst Studierende, die sich nach dem Masterstudium international konkurrenzfähig weiterqualifizieren wollen. Es betrifft damit aber auch die strukturelle Weiterentwicklung neuer Forschungsfelder und Methoden, deren institutionelle und überinstitutionelle Entwicklungen und internationale Netzwerke. Die Gesetzgebung hemmt an dieser Stelle die Bildung zukunftsweisender Forschungsparadigmen.
Gibt es noch weitere Beschlüsse, mit denen Sie Probleme haben?
Ja: Große Sorgen machen wir uns wegen der künftigen Studierbarkeit von weiterbildenden Masterstudiengängen wie zum Beispiel Sound Studies, Musiktherapie und Kunst im Kontext. Die neue Regelung sieht eine verpflichtend kostendeckende Bemessung der Studiengebühren vor. Für die an der UdK Berlin Studierenden stellen die gegenwärtigen Studienbeiträge schon jetzt eine große Herausforderung und persönliche Investition dar, ohne dass sie die Sicherheit hätten, dass sich nach der Weiterbildung die Einkommenssituation grundlegend ändert. Darüber hinaus kommen sie in der Regel nicht von Arbeitgeber:innen, die diese Gebühren der weiterbildenden Studiengänge übernehmen, sondern sind oft selbständig Tätige, die für ihre Existenzsicherung eine Weiterbildung anstreben. Ein weiterbildendes Studienangebot, welches sich ausschließlich an eine finanziell privilegierte Studierendenschaft richtet, widerspricht dem inklusiven Charakter der Gesetzesnovelle. Diese heute durch die UdK Berlin angebotenen Qualifizierungsmöglichkeiten müssten dann wohl eingestellt werden, was sicher nicht im Sinne aller Beteiligten wäre und was es zu verhindern gilt. Denn neben ihrer wichtigen universitären Bedeutung wäre ihr Verlust auch für die Stadt Berlin schmerzhaft, liefern diese Absolvent:innen doch wichtige Impulse für das kulturelle Leben Berlins und für andere innovative Sektoren.
Wie empfinden Sie gerade die allgemeine Lage für Studierende?
Die Berliner Studierendenschaft ist traditionell politisch informiert, engagiert und sensibel für gesellschaftliche Dynamiken, Gefälle und die damit verbundenen Diskurse. Diese werden in Teilen auch kämpferisch geführt, wie es die öffentlichkeitswirksamen #exitracismUDK - Proteste von Studierenden und Lehrenden im letzten Jahr in großer Deutlichkeit gezeigt haben. Darin brach sich die Forderung nach einer diskriminierungskritischen Institution den Weg. In dieser Hinsicht vermag die Novelle des Berliner Landeshochschulgesetzes wichtige strukturelle Anpassungen einzuleiten.
Wie geht es nun weiter?
Auch Forschungsparadigmen sind zeitsensibel, denn wissenschaftliche und künstlerische Entwicklungen werden nicht von einzelnen Institutionen gelenkt, sondern im internationalen Diskurs gestaltet. Wenn bestimmte Fragen jetzt aktuell sind, ist es fatal, wenn sie durch die Eigenzeitlichkeit politischer Prozesse empfindlich verspätet behandelt werden. Als größte Kunstuniversität Europas ist die UdK Berlin ein internationaler Referenzpunkt, dem eine besondere Rolle in der Entwicklung relevanter Fragen von Kunst und Wissenschaft obliegt. Auch deshalb gilt es, dem Selbstverständnis Berlins als progressivem Forschungsstandort mit internationaler Relevanz gerecht zu werden. Die fraglichen Paragraphen müssen zwingend und zeitnah nachgebessert werden.
Haben sie schon eine Rückmeldung vom Senat erhalten?
Nein, noch nicht.