Eingestürzt ist Arno Brekers ehemaliges Atelier in Berlin-Dahlem nie. Und auch abgerissen hat man das heutige Kunsthaus Dahlem, das von 1939 bis 1942 nach Entwürfen von Hans Freese errichtet wurde, glücklicherweise nicht. Das Gebäude sollte Breker, einem der meistbeschäftigten Bildhauer des "Dritten Reiches", als Atelier dienen. Aufgrund zunehmender Kriegsschäden erfüllte das imposante Gebäude jedoch nur für kurze Zeit seinen ursprünglichen Zweck. Nach dem Krieg wurde das Haus von den Amerikanern genutzt, diente später als Atelier von Bernhard Heiliger und Antonio Vedova sowie als Residenz für DAAD-Künstlerinnen und Künstler. Seit 2015 ist das Kunsthaus Dahlem Ausstellungshaus mit Schwerpunkt auf Werken der deutschen Nachkriegsmoderne.
Einen passenderen Ort hätte sich Henrike Naumann für ihre Einzelausstellung "Einstürzende Reichsbauten" wohl kaum aussuchen können. Die in Zwickau geborene Künstlerin untersucht in ihrer Arbeit die Ästhetik von (zeitgenössischem) Faschismus und die Frage, wie durch (Innen-) Architektur politische Macht inszeniert werden kann. In der geschichtsträchtigen Kulisse des Kunsthauses Dahlem beweist Naumann, auf welchen Ebenen uns Propaganda im Alltag umgibt. Dafür hat sie sich rückwärts an das "Dritte Reich" herangearbeitet: Nach der Möbelkultur der 1990er-Jahre und der ehemaligen DDR thematisiert sie nun explizit das Wohnen im Nationalsozialismus und zeigt, inwiefern "deutsche Identität" auch im Inneren sichtbar wird.
Wie eine mächtige Orgel thront ein wuchtiges Möbelensemble auf der Empore im Kunsthaus Dahlem. Aus dem erhabenen Aufbau dröhnt Friedrich Rückerts "Der alte Barbarossa", musikalisch vertont von Bastian Hagedorn. Die festungsartigen Schrankwände symbolisieren das Alpenpanorama, das Adolf Hitler beim Blick aus dem Fenster des Berghofs in Obersalzberg hatte, der ab 1936 sein privater Wohnsitz war. Gleichzeitig spielt die Sound-Installation auf die Verklärung nationaler Mythen wie den Barbarossamythos an, in dem Naumann Parallelen zu Adolf Hitler und seiner Inszenierung als Volksheld sieht.
Das Politische im Privaten
Gleich beim Betreten des Kunsthauses Dahlem trifft man auf eine Kaminsitzgruppe neoklassizistischer Polstermöbel, die einst Teil des Empfangssaals von Adolf Hitlers Residenz in Obersalzberg waren. Naumann orientiert sich für ihre Arrangements an ebensolchen Machtzentren faschistischer Ideologie. Im Kunsthaus Dahlem hat die Künstlerin das Interieur eines Wohnraumes inszeniert und dafür teilweise auf Originalmöbel aus dem ehemaligen Haus der Deutschen Kunst in München zurückgegriffen. Das heutige Haus der Kunst wurde in den 1930er-Jahren nach Plänen von Paul Ludwig Troost als NS-Repräsentationsbau errichtet. Nach dem Krieg lagerte ein Großteil der Möbel aus dem "Dritten Reich" im Keller des Hauses. Nachdem der Troost-Nachlass freigegeben wurde, zeigte Naumann im Haus der Kunst schon 2019 ihre Installation "Ruinenwert" mit Originalmöbeln der Innenarchitektin Gerdy Troost.
Naumann hat Troosts Möbel mit Designobjekten aus den 1980er- und 90er-Jahren kombiniert. Gefunden hat sie die bei Ebay-Kleinanzeigen. Vielleicht scheinen die Hinterlassenschaften deshalb allesamt mit persönlichen Erinnerungen aufgeladen zu sein. Naumann wertet die Möbel, die von ihren Vorbesitzerinnen oder -besitzern nicht mehr gebraucht werden, zu Ausstellungsstücken auf. Im ganzen Raum hat sie sie zu Ensembles der Geschmacklosigkeit arrangiert: Ausladende Kommoden, anheimelnde Holzstühle und postmoderne Tafelservices stehen zwischen Couchgarnituren, Glastischen und wuchtigen Spiegelschränken. Silbern bemalte Zeichenpuppen mimen den Eröffnungs-Festzug zum Haus der Deutschen Kunst.
Jede Möbelinsel besitzt ihre ganz eigene Ästhetik: Von Hasenfellen, über Bundeskanzler-Matrjoschka bis hin zu Horn-Bierkrügen ist alles dabei. Ein Stilmix aus Modernität und Urwüchsigkeit, dazu Designobjekte, die man aus den Wohnzimmern der eigenen Eltern oder Großeltern kennt. German Gemütlichkeit with a Twist. Neben heimeliger Beklemmung aktiviert Naumanns Installation ein assoziatives Herantasten an Vergangenheit und Kontext der Objekte. Da die Möbel nicht beschriftet sind und es keine expliziten Hinweise auf Herkunft oder Epoche gibt, beginnt man, allem Gesehenen mit Misstrauen zu begegnen. Selbst die kleine Milka-Kuscheltierkuh verliert auf diese Weise ihre Unschuld. Die Aufladung der Objekte macht deutlich, dass auch der private Raum politisch sein kann.
Gegen die Idylle anarbeiten
Viele der ehemaligen Reichsbauten lagen nach 1945 in Schutt und Asche oder wurden in den Nachkriegsjahren abgerissen. Im Kunsthaus Dahlem hingegen ist heute eine Auseinandersetzung mit dem historischen und politischen Kontext von (Innen-)Architektur möglich. Naumanns begehbare Installation bedingt eine Positionierung der Besucherinnen und Besucher im Ausstellungsraum. Das bedeutet auch, dass eine Betrachtung aus sicherer Distanz nicht möglich ist. Automatisch ist man selbst Teil der Inszenierung. Eine gute Möglichkeit, in Revision mit der eigenen Familiengeschichte zu gehen. Der Hashtag #MeinNazihintergrund, der seit einiger Zeit in den sozialen Netzwerken kursiert und zur Selbstreflexion anregt, verdeutlicht die Aktualität dieser Debatte. Für Naumann stellen die Möbel aber nicht nur eine Möglichkeit dar, vom Staatskontext ins Private zu blicken, sondern auch einen Weg, mit möglichst vielen Personen ins Gespräch zu kommen: "Zu Möbeln hat schließlich jeder eine Meinung!"
Aber lässt sich am Design politische Überzeugung erkennen? Können Möbelstücke mit einer Negativaura aufgeladen sein? Betrachtet man die Objekte isoliert, kommt man ideologisch nicht weit. Statt im Design selbst, ist die Gewalt in der Salonfähigkeit faschistischer Gesinnung zu finden: Für wen sind diese Möbel gemacht - und für wen nicht? Wem sind diese Räume zugänglich? Und wer wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen? All diese gesellschaftlichen Strukturen gilt es auf Gewalt zu untersuchen.
Naumann werde oft gefragt, warum sie als junge Künstlerin mit "solchen" Themen arbeite und wo die Relevanz liege, erzählt sie. Der Faschismus sei kein abgeschlossenes Kapitel, jede Generation müsse sich immer wieder neu hinterfragen. Wie nah das alles an uns dran ist, erkennt man spätestens dann, wenn man sich die Einrichtung der eigenen Familie ansieht: "Die Möbel, die ich benutzt habe, stehen woanders noch in den Räumen. Das ist nicht der dunkle Keller der Geschichte, sondern unser Alltag", so Naumann. Sie beschäftige sich hauptsächlich mit der Vergangenheit, um der Gegenwart ein Stück näher zu kommen. "Und um gegen die hiesige Idylle anzuarbeiten", lacht sie mit Blick auf all die Menschen, die im charmanten Garten des Kunsthauses bei Kaffee und Kuchen sitzen.