Das 1914 entstandene Gemälde wurde im ersten Saal in einer Reihe mit vier weiteren Kirchner-Gemälden an die Wand gebracht. Es wird für Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, einer der Höhepunkte der Ausstellung "Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945. Sammlung der Nationalgalerie", mit der das Museum am 22. August wieder öffnet.
Die Neue Nationalgalerie war Ende 2014 geschlossen und fünf Jahre lang grundlegend saniert worden. Mit dem ikonischen Bau schuf der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) Ende der 60er Jahre ein prägnantes Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts.
Kirchners "Potsdamer Platz" hängt nun wenige hundert Meter von seinem realen Gegenstück entfernt. Allerdings ist das Motiv kein direktes Abbild der Wirklichkeit des Platzes in jener Zeit. "Es ist eine expressionistische Variante davon", sagt Jäger. Kirchner verdichtet dafür Vergnügungspalast, Bahnhof und Bierhaus zu einem architektonischen Rahmen.
Zentral dazwischen ziehen zwei Frauenfiguren die Aufmerksamkeit auf sich. Kirchner stattet die beiden Prostituierten mit Symbolen aus. Sie stehen auf einer Verkehrsinsel und sind damit ebenso Mittelpunkt wie zugleich isoliert von der umgebenden Gesellschaft. Der Trauerflor einer der Frauen lässt sich als Hinweis auf Gelegenheitsprostitution vieler Kriegswitwen interpretieren. Gleichzeitig ist er Tarnung, Prostitution ist in der Zeit verboten. Deutlich kleiner fasste Kirchner die männlichen Figuren. Ihre Vielzahl lässt das Wimmelige des damaligen Verkehrsknotenpunktes erahnen, vor allem aber zeugt ihr dynamisches Streben zu den Frauen vom Potsdamer Platz als Hotspot des abendlichen Vergnügens.