Künstler Willem Oorebeek

"Ein Kommentar über Kunst, die politisch eindeutig sein will"

Der niederländische Künstler Willem Oorebeek wollte eigentlich aus dem Kunstbetrieb verschwinden. Doch nun leuchtet sein irritierender Slogan "Free China From Tibet" am Berliner Ernst-Reuter-Platz. Warum? 

Seit einigen Wochen begegnet den Passanten am Erst-Reuter-Platz im Berliner Stadtteil Charlottenburg ein seltsamer Slogan: "Free China From Tibet", in einer Fensterfront und in riesiger Frakturschrift gedruckt. Dahinter steckt der Künstler Willem Oorebeek, der 1997 mit Aernout Mik die Niederlande auf der Venedig-Biennale vertrat und mit seinen Bearbeitungen von Magazin- und Werbebildern Erfolge feierte. Er leitete das Residency-Programm des Brüsseler Kunstzentrums Wiels, aber im Corona-Lockdown entdeckte er die Arbeit mit der Druckerpresse neu. Dabei plante der 1953 geborene Künstler eigentlich etwas, das der Aufmerksamkeitsökonomie zuwiderläuft: Er wollte der Kunstwelt entwischen. Das hat nicht geklappt. Im Interview erklärt er seinen Schriftzug, spricht über Kunstmagazine, die Choreographie von Bildern und gibt Tipps zum erfolgreichen Verschwinden

Willem Oorebeek, ich habe gehört, dass Sie mit dem Kunstmachen aufgehört haben.

Das stimmt nicht ganz. Ich habe mich von der Lehre zurückgezogen, nach zwölf Jahren. Im ersten Lockdown habe ich dann mein Studio wiederentdeckt. Mir schien aber auch ziemlich interessant, als Künstler zu verschwinden. Tenzing Barshee von der Galerie Efremidis war der erste, der mich daran hinderte. 

Ja, das hat nicht so gut geklappt. Ihre Arbeit "Schmale Anzeige" mit dem Slogan "Free China From Tibet" ist jetzt weithin am Berliner Ernst-Reuter-Platz zu sehen. Aber wie haben Sie sich Ihr Verschwinden vorgestellt?

Man darf nicht darüber reden, wenn man verschwinden will. Ich würde deshalb jetzt lieber darüber schweigen. Aber wenn Sie fragen, ob ich mich von der Kunst zurückgezogen habe, muss ich sagen: im Gegenteil. Ich habe mein Studio wieder in Betrieb genommen, und ich arbeite wie verrückt. Nur habe ich nicht das Verlangen, das zu zeigen. Die Arbeit bei Efremidis entstammt meinem Plan, einen Raum irgendwann einmal mit dem gleichen Text zu füllen, aber immer unterschiedlich geschrieben. Das Schreiben ist ein wichtiger Teil davon, aber auch das Lesen. Das Lesen zu behindern, gehört zur Intention.

Was hat es mit der Fraktur-Schriftart auf sich? Das würde man normalerweise nicht für einen Slogan benutzen.

Ich interessiere mich für Graffiti. Ich habe einmal den Text des Philosophen Jean Baudrillard gelesen, in dem es darum geht, dass Graffiti die erste akzeptierte unlesbare Schreibweise ist. Ein toller Gedanke! Ich habe diesen Slogan deshalb erst in PU-Schaum geschrieben. Das ist extrem unvorhersehbar, und ich habe ein wenig damit experimentiert. Es wird skulptural, sehr dick, schwer lesbar. Und dann habe ich mich Katalogen von Frakturschriften auseinandergesetzt. Viele dieser Schrifttypen tragen die Namen von Orten: Münchner, Berliner, Hamburger. Dann gibt es eine, die heißt Schmale Anzeige. Die war genau richtig, eine sehr starke Frakturschrift, und dann noch mit so einem Namen.

Wissen Sie, wofür sie ursprünglich verwendet wurde?

Ich weiß nicht viel darüber, außer dass die Schrift in den Medien benutzt wurde. Viele Menschen sehen Fraktur auch als eine Referenz zur Nazizeit, aber dazu kann ich nichts sagen.

Mal abgesehen von den politischen Konnotationen, Frakturschriften werden oft in Subkulturen benutzt, im Metal oder Hip-Hop, zum Beispiel. Das scheint dann elitär, es sagt: Du kannst das nicht lesen, das ist nichts für dich. Als würde das Lesen verlangsamt und das Verstehen erschwert.

Das ist auch meine Absicht, ebenso mit allen anderen Varianten dieses Slogans. Ich muss aber auch zugeben, dass ich keine klare Intention damit habe. Politisch ist diese Situation in Tibet ja unlösbar. Das kommunistische China hat Tibet okkupiert, aber unter dem Vorwand, das Land vom Feudalismus zu befreien. Der Slogan geht auf meine Erfahrungen zurück, als ich 2006 nach Lhasa gereist bin, und als ich die Unterdrückung durch die Chinesen gesehen habe. Dann dachte ich, man müsste das Verhältnis von Macht und Eroberung umdrehen, ohne jedoch allzu sarkastisch zu sein.

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob da im Kern eine politische Botschaft steckt.

Sie können das als einen Kommentar über Kunst sehen, die politisch eindeutig sein will.

Betrachtet man Ihre Arbeit in der Vergangenheit, geht es oft darum, Bilder fast unsichtbar zu machen. Ich denke an Ihre "Blackout"-Serie, in der Sie gefundene Bilder beinahe zum Verschwinden bringen.

Meine älteren Arbeiten basieren auf ikonoklastischen Gesten – ich drucke in Schwarz über andere Bilder. Deswegen interessiert mich auch diese Unlesbarkeit. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind für mich strategische Ausgangspunkte.

Wie wählen Sie die Bilder für Ihre "Blackouts"?

Das ist erst einmal eine Geste der Nähe. Ich muss eine gewisse Affinität zu den Bildern spüren, über die ich drucke, denn das ist eine paradoxe Art, sie vor dem Abfall zu bewahren. Das ganze Bild bleibt noch zu entdecken, ohne dass es ein kommunikatives Ziel hat. Ich interessiere mich seit vierzig Jahren für alles Gedruckte und die Mechanismen seiner Produktion. Deshalb benutze ich dafür Druckerschwärze. Wenn die getrocknet ist, bleibt das Ausgangsbild sichtbar, wie bei einer Daguerreotypie – ein neuer Anfang für das Bild. Die Schichten von Tinte schaffen ein glänzendes, reflektierendes Gebilde. Eine Choreografie des Sehens rekonstruiert dann das Bild.

Das ist ja ein interessanter Begriff.

Das bedeutet, dass die Betrachterinnen und Betrachter selbst ein bisschen arbeiten müssen. Diese Bilder konsumiert man nicht in einem Sekundenbruchteil.

Legen Sie damit auch ein Archiv an?

Ich sammle Bilder, die mich interessieren. Ich habe eine Riesenmenge davon. Seit ich die "Blackouts" 1999 entdeckt habe, sind über 1000 davon entstanden. Man könnte schon sagen, dass das ein Archiv ist. Daran gehe ich mit der gleichen Methode: Ich drucke mit einem Farbschema darüber, das an bürokratische Kategorisierung angelehnt ist.

Ursprünglich haben Sie Druck in Rotterdam studiert. Was bedeutet das Drucken für Sie, warum sind Sie all die Jahre dabei geblieben?

Als ich begann, mich für Druck zu interessieren, dachte man noch nicht in solchen Begriffen wie Medium. Mit meiner Lithografie-Presse kann ich so arbeiten, dass das Ergebnis nach ganz simplen Druck aussieht. Es soll bloß nicht so künstlerisch wirken.

Sie meinen, weniger elaboriert?

Furchtbar! Ich kann eine Fotokopie als Grundlage nehmen, sie drucken. Das Ergebnis ist irgendwo zwischen Kopie und einer einfachen Drucksache.

Dieser Look des Unfertigen, Provisorischen kommt gerade wieder, im Layout von Kunst- und Modemagazinen zum Beispiel. Auch da wird das Lesen mit Absicht ein bisschen erschwert.

Ich habe in den 90ern aufgehört, Kunstmagazine zu lesen.

Warum?

Ich interessiere mich eher für Magazine allgemein.

Wenn man sich beispielsweise die "Vogue" anschaut, denken die Grafiker wahrscheinlich nicht so viel darüber nach, wie sie die Lektüre erschweren können.

"Vogue" hat mich eine Weile beschäftigt, bis mir klar wurde, dass das Interesse fast statistisch wurde: Wie unterscheiden sich die Länderausgaben des Magazins voneinander?

Was reizt Sie stattdessen?

Wenn ich etwas mit Schwarz überdrucke, nehme ich das aus der massenhaften Zirkulation von Bildern. Das erfolgreichste Werk dieser Art wäre, wenn ich es produziere, in eine Galerie hänge, und niemand sieht es. Man würde nichts merken von der enormen Prozedur, die nötig war, um es unsichtbar zu machen. Dann braucht es ein aktives Publikum.