Cem A., "Freeze Magazine" gibt es seit 2019. Warum haben Sie den Instagram-Account gestartet?
Es gab keinen bestimmten Grund. Es war einfach ein Ort, an dem ich angefangen habe, mit dem Erstellen von Memes zu experimentieren und sie mit Freunden zu teilen. Meine Motivation hat sich seitdem ein paar Mal geändert. Im Moment bin ich daran interessiert, mehr "informierte" Memes zu machen, die die Leute dazu anregen, mehr über Memes zu herauszufinden. Am meisten Freude macht es mir, wenn ein Meme eine Konversation im Kommentarbereich auslöst, wie dieses hier:
Warum bleiben Sie selbst anonym?
Es hat nicht als anonymes Projekt begonnen, aber als der Account zu wachsen begann, hatte ich nicht das Bedürfnis, meine Identität preiszugeben. Gleichzeitig möchte ich aber auch nicht, dass meine Anonymität zu einem "PR-Gag" wird. Ich teile Details über meine Identität online, solange es relevant ist. Leuten, denen ich AFK (im physischen Leben) begegne, erzähle ich gerne, dass ich den Account betreibe.
Können Sie uns etwas über Ihren Hintergrund verraten?
Ich bin ein türkischstämmiger Künstler und Kurator, der derzeit im Internet lebt. Ich umarme langsam mein nicht-westliches Erbe und hoffe, dass ich das in zukünftigen Arbeiten und Projekten mehr einfließen lassen kann.
Wer ist Ihr Publikum?
Das Publikum des Accounts reicht von Kunststudenten über Kunstprofis bis hin zu allen, die sich für Kunst interessieren.
Hat die Pandemie die Meme-Kultur weiter beschleunigt?
Die Menschen streben nach mehr Wohlfühlinhalten als je zuvor. Dieser Drang zum Eskapismus trägt definitiv zur Meme-Kultur bei. Es ist wahrscheinlich ein Zeichen für die deprimierenden Zeiten, die wir gerade durchmachen.
Sie malen ein Bild von einer Kunstwelt voller Gier, Eitelkeit, Neid und Heuchelei. Warum kehren Sie dieser Welt nicht einfach den Rücken zu?
Das ist eine berechtigte Frage. Ich habe eine Menge meiner Frustrationen über die Kunstwelt vom ersten Tag an in den Account kanalisiert. Und ich war sehr nahe daran, sie ganz zu verlassen. Leider haben sich mit der Pandemie alle Möglichkeiten, die ich hatte, in Luft aufgelöst, so dass ich dieses Projekt als Vollzeitaufgabe annehmen musste. Sich selbst finanziell zu unterstützen und gleichzeitig kritisch gegenüber der Kunstwelt zu sein, ist ein Interessenkonflikt. Wenn es möglich wäre, würde ich hoffentlich weiterhin Kunstprojekte machen, ohne finanziell von der Kunstwelt abhängig zu sein.
Sind Sie persönlich verbittert über die Kunstwelt?
Ich fühlte mich besonders verbittert über die Kunstwelt, nachdem ich mein Studium in Großbritannien beendet hatte. Der Arbeitsmarkt für junge Kunstschaffende ist hart, aber für junge Nicht-EU-Bürger ist er nicht existent. Diese Verbitterung verwandelte sich dann in ein breiteres Gefühl der Skepsis. Ich sehe Skepsis nicht unbedingt als etwas Schlechtes an.
Welche Veränderungen bräuchte die Kunstwelt, um sie zu einem besseren Ort zu machen? Haben Sie Visionen?
Ich erinnere mich, dass James Bridle in seinem Buch" New Dark Age" über die "Glomar-Antwort" geschrieben hat. Die "Glomar-Antwort" bezieht sich darauf, dass Individuen oder Organisationen die Existenz von Informationen "weder bestätigen noch leugnen". Das gilt auch für Kunstinstitutionen. Sie müssen sich zu ihren problematischen Hinterlassenschaften bekennen, anstatt eine "Glomar-Antwort" zu geben. Die Sache wird dadurch verkompliziert, dass die Menschen, wie bereits erwähnt, nach "Feel good"-Inhalten suchen, aber mit "traurigen" Inhalten nicht auf die gleiche Weise interagieren. So wird es schwieriger, solche Themen in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Memes sind eine Möglichkeit, diese Themen zu visualisieren, indem sie ernsten Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen, einen aufmerksamkeitsstarken Spin geben.
Was können Memes leisten, was traditionelle Kunstkritik nicht kann?
Memes können unverblümter sein als traditionelle Kunstkritik und schneller auf aktuelle Ereignisse reagieren. Die Leute wissen das zu schätzen. Ich lese aber immer noch gerne ein gutes Stück Kunstkritik.
"Freeze Magazine" hat auch einen Artikel über Kunst-Memes in Auftrag gegeben. Warum ist es wichtig, Meme ernst zu nehmen?
Es gibt eine wachsende akademische Literatur über Meme-Kultur. Wir haben uns mit Open Space Contemporary, einer in Großbritannien ansässigen Non-Profit-Organisation, mit der Kunstkritikerinnen Aimee Dawson und dem Kunstkritiker Dorian Batycka zusammengetan und das Thema erweitert. Memes sind ein unbestreitbarer Teil unserer visuellen Kultur. Sie verdienen es, beachtet zu werden. Ein besseres Bewusstsein für die Meme-Kultur kann auch den digitalen Bürgern helfen, ihre Technologiekompetenz zu verbessern. Es kann sie kritischer gegenüber dem machen, was sie auf ihren Telefonen konsumieren. Das würde das Internet zu einem egalitäreren Raum machen.
Betrachten Sie Ihre Meme-Arbeit als Kunst, als Kunstkritik oder als etwas ganz anderes?
Ich betrachte Memes in erster Linie als Kunst. Allerdings können verschiedene Memes unterschiedliche Züge tragen, die sie auch als Kunstkritik qualifizieren könnten.
Was ist Ihr Lieblingsmeme, und was ist Ihre Lieblingsmeme-Vorlage?
Zwei aktuelle Lieblings-Memes:
Und die "They don’t know"-Meme-Vorlage ist wahrscheinlich eine meiner Favoriten. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ein Meme, das ich mit diesem Format gemacht habe, schon einmal in einem Artikel vorgestellt.
Was ist "Freeze Dating" und wie funktioniert es?
"Freeze Dating" war ein Projekt, das wir mit zwei Freunden für den 14. Februar 2021 gemacht haben. Wir haben Follower von @freeze_magazine auf der Grundlage ihres Geschmacks für Memes zusammengebracht. Das Projekt erhielt 800 Bewerbungen aus 60 Ländern in zwölf Stunden und wir mussten es vorzeitig schließen. Wir würden auf jeden Fall gerne eine zweite Runde "Freeze Dating" machen, brauchen aber einen technischen Partner, um diesmal mehr Bewerbungen zu akzeptieren. Wenn also jemand dies liest, bitte melden Sie sich bei uns.
Welche Vision haben Sie mit Ihrem Account noch vor?
Ich bin sehr dankbar, dass der Account zu dem geworden ist, was er jetzt ist. Die nächsten Schritte für den Account sind der Übergang vom "Freeze Magazine" zu Cem A. als meine "künstlerische Identität" und mehr physische Projekte zu machen. Im August werde ich zum Beispiel eine Einzelausstellung in der Weserhalle in Berlin machen. Außerdem veröffentlichen wir zusammen mit dem Meme Studies Research Network ein Zine mit dem Titel "The Meme Kit" und planen dazu Veranstaltungen in Europa und den USA. Weitere Ausstellungs- und Buchprojekte sind ebenfalls in Arbeit. Und, wie schon immer, hoffe ich, mit mehr Leuten bei der Herstellung von Memen zusammenarbeiten zu können.
Das Interview wurde per Mail geführt