Shortlist für die "Fourth Plinth"

Rauf auf den Sockel

Kunst im öffentlichen Raum genießt nicht den besten Ruf, dabei kann sie viel bewegen. Die Shortlist für die "Fourth Plinth" in London zeigt gerade, wie gut neue Denkmäler sein können

Kunst im öffentlichen Raum genießt nicht eben den besten Ruf. Den einen ist sie zu pädagogisch, den anderen zu abgehoben. Vielen ist ihr Auftraggeber, die "öffentliche Hand", suspekt. Oft wird sie vernachlässigt, häufig vandalisiert, und manchmal wird sie auch versehentlich von der Stadtreinigung entsorgt, dann ist die Häme groß und der gute alte Schenkelklopfer stets zur Stelle: Ist das Kunst oder kann das weg?

Dabei kann die Begegnung mit Kunst außerhalb der gängigen Ausstellungsräume etwas ganz Großartiges sein. Sie ist ja nicht nur umsonst und draußen, sie geht prinzipiell auch jede und jeden etwas an - und sorgt so dafür, dass sich Menschen mit Kunst, der Gesellschaft und der Stadt, in der sie leben, auseinandersetzen. Bestes Beispiel ist die Bespielung des "Fourth Plinth" auf dem Londoner Trafalgar Square. Seit 1998 wird auf einem leeren Denkmalsockel vor dem Eingang der britischen National Gallery wechselnde Gegenwartskunst gezeigt, die zuverlässig Debatten lostritt.

Marc Quinns Marmorskulptur der nackten, körperbehinderten und schwangeren Künstlerin Alison Lapper etwa sorgte 2005 für heftige Diskussionen. 2009 gab Anthony Gormley mit "One and Other" 2400 Briten die Chance, auf dem Sockel zu stehen. Auch der doppeldeutig betitelte "Hahn/Cock" von Katharina Fritsch aus dem Jahr 2013 begegnete dem männlich-heroischen Imponiergehabe auf dem Trafalgar Square, der traditionell für Skulpturen von Generälen und Königen reserviert ist, mit subtiler Ironie. Und Hans Haackes bronzenes Pferdeskelett prangerte 2015 die Übermacht des Geldes in der Finanzmetropole London an.

Es dürfte ziemlich großartig werden

Soeben wurde die Shortlist für die kommende "Fourth Plinth Commission" bekannt gegeben. Wer auch immer von den sechs Kandidatinnen und Kandidaten sich durchsetzt, es dürfte wieder einmal ziemlich großartig werden. Die US-Amerikanerin Nicole Eisenman - ohnehin eine der interessantesten Malerinnen und Bildhauerinnen derzeit - hat einen Schmuckbaum entworfen, an dem einige bedeutungsvolle Stücke hängen (Medaillen von Lord Nelson, die Pfeifen der Demonstranten vom "Bloody Sunday") und einige weniger bedeutsame (ein Plastikkaffeedeckel und eine zerdrückte Bierdose): ein sehr urbaner Mix aus Historie, Politik, Spaß und Trash.

Goshka Macugas interpretiert den Sockel als Abschussrampe für eine Weltraumrakete. Die Werke der Polin verweisen oft auf Utopien - auch ihr Spaceshuttle mit dem Titel "Go No Go" könnte den Beginn einer neuen Ära markieren. Der aus Malawi stammende Samson Kabalu stellt eine Fotografie des Baptistenpredigers und Panafrikanisten John Chilembwe und des europäischen Missionars John Chorley als Skulptur nach. Das Foto wurde 1914 bei der Eröffnung von Chilembwes neuer Kirche in Nyasaland, dem heutigen Malawi, aufgenommen. Chilembwe hat seinen Hut auf und trotzt damit der Kolonialregel, die es Afrikanern verbot, vor Weißen Hüte zu tragen.


Auch der Entwurf des Ghanaers Ibrahim Mahama führt zurück in die Kolonialzeit, allerdings zur Ära des Kalten Krieges: Seine Skulptur aus übereinander geschichteten Pflanzenbehältern erinnert an brutalistische Getreidesilos aus den frühen 60er-Jahren, die von osteuropäischen Architekten in den frühen 1960er Jahren in Ghana gebaut wurden - und nach dem Militärputsch gegen Kwame Nkrumah, den ersten Präsidenten Ghanas, aufgegeben wurden.

Eine Mauer des Widerstands als Skulptur

Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles schlägt ein Werk vor, das die Zahl der Morde an Trans-Personen auf der ganzen Welt beleuchtet. Ihre Skulptur mit Gips-Abgüssen der Gesichter von 850 Trans-Personen, von denen die meisten in der Sexarbeit tätig sind, versteht sie als eine "Mauer des Widerstands". Mit der Zeit werden die Gesichter durch das Londoner Wetter verfallen und verblassen und "eine Art Anti-Monument" hinterlassen, so Margolles.

Einen Anti-Helden möchte die Deutsche Paloma Varga Weisz auf dem Helden-Platz installieren: den "Bumpman". Die Figur des Buckligen ist inspiriert von der deutschen Tradition der "Wundergestalten", Pamphleten aus dem frühen 16. Jahrhundert, die außergewöhnliche menschliche Anatomien darstellen. Die deutsche Künstlerin beschreib ihn als "stillen Anti-Helden" mit Beulen an seinem Körper, die eine Manifestation menschlicher Unsicherheiten sind. Alle Vorschläge werden noch bis zum 4. Juli in der National Gallery in London ausgestellt; die beiden Siegerentwürfe werden 2022 beziehungsweise 2024 auf dem Trafalgar Square realisiert.

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