Merkel-Dialog mit der Kultur

"Es wurde zu viel gewollt"

In dieser Woche hat Kanzlerin Angela Merkel mit Kulturschaffenden über ihre Situation in der Krise gesprochen. Museumsleiterin Heidrun Derks war eine von ihnen. Wir haben sie gefragt, wie sie das Treffen erlebt hat


Frau Derks, wie haben Sie sich auf das Gespräch mit der Bundeskanzlerin vorbereitet?

Es wurde betont, man möge inhaltlich bei sich bleiben, wir sollten nicht aus der Verbandsperspektive argumentieren. Es war klar, dass jeder nur wenig Zeit haben würde. Der Teilnehmerkreis war für eineinhalb Stunden schlicht zu groß. Die Verbindung zwischen den freischaffenden Schauspielern und den Musikern ist natürlich evident, aber dann war da auch die Buchhändlerin, die Galeristin, ein Museumsvertreter, dazu die Clubbesitzer und Veranstaltungsmanager. Das war viel zu divers besetzt, und das hat man der Veranstaltung auch angemerkt, dass sie unter einem erheblichen Zeitdruck stand. Ich hab meine wichtigen Punkte vorbereitet, aber ich saß wie auf Kohlen und merkte, dass ich gezwungen war, meinen Kommentar anzupassen, weil die Zeit immer knapper wurde.

Glauben Sie, das war einkalkuliert?

Nein, das glaube ich nicht. Das Bundeskanzleramt ist nicht verpflichtet, solche Dialoge zu führen, also warum sollten sie dann ein Scheitern oder ein unbefriedigenden Zustand einkalkulieren? Ich glaube, man ist da Opfer der eigenen Ambitionen geworden, sie wollten der Kultur ein Sprachrohr eröffnen, haben wahrscheinlich mit Solokünstlern angefangen und dann im Zuge der internen Diskussion festgestellt, dass es auch noch die Tänzer gibt, die Bildende Kunst, und so wurden es immer mehr. Es wurde zu viel gewollt an der Stelle.

Haben Sie schließlich die Möglichkeit gehabt, Ihre Situation darstellen zu können?

Ich hatte am Ende zwei Minuten Zeit, da stellt man dann nichts mehr dar und vor, dann kann man nur noch die Reste auffangen und die wichtigsten Punkte formulieren. Auch die Bundeskanzlerin hatte, auch durch den Zeitmangel, keine Zeit mehr für einen Austausch. Ob aus dem Gespräch etwas Konkretes folgt, kann ich nicht sagen. Dafür ist es noch zu früh.

Haben Sie denn das Gefühl, dass die Punkte bei Angela Merkel angekommen sind?

Ja, das glaube ich in der Tat. Vorher ist niemand auf den Bildungsaspekt von Kultur eingegangen, was ich eigentlich viel früher in der Diskussion erwartet hätte. Denn wenn wir 30.000 Schülerinnen und Schülern kein Bildungsangebot im letzten Jahr machen konnten, dann ist das weniger Bildung für 30.000 Kinder, es ist weniger Lernen über Geschichte, es ist weniger Wissenschaftsverständnis, es sind weniger Möglichkeiten für Kinder, die aus Elternhäusern kommen, wo kein Zugang zu Kultur besteht. Wir reden nicht über den Kindergeburtstag mit sechs Teilnehmern, sondern über eine Generation in einer Region. Dieser Generation ist nicht nur die Schule reduziert worden, sondern auch die außerschulischen Lernorte, die Zugänge zu Kultur bieten, die kulturelles Wissen verbinden, wie es Schule nicht kann und dadurch ganz andere Lernerlebnisse schafft.  

Inwiefern ist Ihr Museum betroffen?

Wir haben seit langem geschlossen. Das heißt, wir hatten zwei Drittel weniger Besucher, also 500.000 Euro weniger Einnahmen. Dieser Betrag ist ungefähr ein Viertel unseres Gesamtbudgets. Da hängen auch Gehälter dran, wir haben Verträge nicht verlängern können, wir haben offene Stellen nicht besetzen können, wir mussten 25 freiberufliche Honorarkräfte auf der Strecke lassen, die ein ganzes Jahr lang keine Betätigung und somit keine Einnahmen hatten. Denen konnten wir auch nicht helfen, weil deren Betätigungsfeld komplett weggebrochen ist. Wir sind eine GgmbH, und hätten wir nicht so tolle Träger, hätten wir im Oktober die Zahlungsunfähigkeit beantragen müssen und dann auch in Folge die Insolvenz.

Denken Sie, dass mittlerweile genug geredet wurde und jetzt gehandelt werden muss?

Das ist natürlich schwierig, denn ich spüre auch bei uns mittlerweile den Frust, aber mit dem Handeln ist das ja so eine Sache. Es will ja auch keiner, dass jetzt vermehrt Menschen erkranken, und die Zahlen sind nach wie vor erschreckend hoch. Ich bin gestern Abend mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und habe überall Gruppen zusammensitzen sehen. Jetzt verstehe ich auch, wie diese Zahlen zustande kommen könnten. Alle suchen sich Schlupflöcher und aus dieser Fülle resultieren nach wie vor, für mein Empfinden, viel zu hohe Infektionsraten. Ich finde, es ist zu einfach sich zurückzulehnen und zu sagen, die Politik soll es richten. Ich möchte nicht in deren Haut stecken und die Verantwortung tragen für die Bundesbürger. Aber es besteht ja Grund zur Hoffnung, und ich gehe davon aus, dass wenn das Impftempo jetzt so weitergeht, dass wir im Laufe des Mais auch Perspektiven bekommen.

Wie empfinden Sie die Vernetzung innerhalb der Kulturbranche? Kämpft da jeder für sich oder gibt es Solidarität und werden da die Kräfte gebündelt?

In der Museumszene sind wir sehr gut vernetzt. Wir sind über 6000 Museen in Deutschland, und über 3000 davon sind in unserem Verband. Ich bin im Vorstand vom Deutschen Museumsbund, und wir nutzen jede Möglichkeit um allen musealen Einzelstimmchen eine große Stimme zu geben. Wir haben auch die entsprechenden Kontakte in die politischen Kreise hinein. Auch regional arbeiten wir gut zusammen und haben die Zeit genutzt. Ich glaube, das Problem der Vereinzelung trifft tatsächlich eher die Solokünstler. In einer Pandemie wird deutlich, ob und wie man sich organisiert.