Maler David Ostrowski

"Jede Farbe ist aufgeladen mit Emotionen"

In seinen neuen Arbeiten widmet sich der Künstler David Ostrowski der Farbe "Neutralgrau" aus dem Baumarkt. Ein Gespräch über den malerischen Nullpunkt, Musik im Studio und Neid auf Kinderbilder


David Ostrowski, seit einigen Jahren haben Sie Ihre Malerei auf das absolute Minimum der Komposition und Farbe reduziert und dabei vor allem weiße Bilder mit wenigen blauen Spray-Elementen und tiefschwarze Bilder produziert. Was reizt Sie so sehr an der bildlichen Reduktion?

Der Versuch, mit den geringsten Mitteln die größtmöglichen emotionalen Affekte auszulösen. Ich habe mir oft die Frage gestellt: Warum malen Künstler eigentlich so viel auf die Leinwand?

Ihre neuen Arbeiten, die aktuell in der Ausstellung "So kalt kann es nicht sein" in der Berliner Galerie Sprüth Magers zu sehen sind, haben Sie erstmals mit Grau bedeckt. Wie kam es zu dieser Veränderung?

Grau erschien mir als logische Konsequenz, den malerischen Nullpunkt weiter auszuloten. Das fand ich aber erst mit der Zeit heraus. Zunächst malte ich ein paar kleinere Formate grauer Bilder mit größeren Entstehungsabständen. Es fiel mir schwer, einen Zugang zu den Arbeiten zu finden – so als würde mir die Türe vor der Nase zugeschlagen. Grau ist ein Farbton, der aus sich heraus keine Tiefe erzeugt. Er bedeckt, ist geschlossene Fläche. Wenn man die grauen Bilder zum ersten Mal sieht, wirken sie monochrom, das Bild kommt von hinten, es schleicht sich langsam an. Für mich lag der Reiz im Herauskitzeln, was noch geht.

Viele der Arbeiten sind Übermalungen älterer Malereien. Haben diese eigentlich noch eine Bedeutung für Sie?

Alte Leinwand-Arbeiten sind aufgeladen mit Historie und Nostalgie. Diese Bilder übermale ich zwar größtenteils, aber es bleiben immer Farbreste, Bildschichten oder vergilbte Fußleisten zurück. Ich habe im Jahr 2008 bereits einen figürlichen Rod Stewart gemalt, allerdings hat das Bild nicht überdauert, und so habe ich es dieses Jahr grau übermalt. Man kann noch Umrisse von Rod Stewart erkennen, aber heute ist die Arbeit nach Garth Brooks benannt.

Sie übermalen nicht nur ältere Arbeiten, sondern verarbeiten zusätzlich auch Tapeten-artige Streifen, Kleber, schwarz und weiße Farben in mehreren Schichten. Warum sind diese Schichten als Textur Ihrer Bilder notwendig?

Die zahlreichen Schichten sind eine meiner Herangehensweisen, ein Bild zu aktivieren.

Sie benutzen für die neuen Arbeiten eine günstige, fertig gemischte Farbe aus dem Baumarkt: Sie heißt "Neutralgrau". Warum wollten Sie bewusst keinen Einfluss nehmen auf die genaue Farbgebung?

Weil ich Optionen meiden will und gerne mit den neutralsten jeweiligen Farben aus dem Baumarkt arbeite. Es sollen handelsübliche Farbtöne sein, die für jeden zugänglich sind.

Warum ist das wichtig?

Mir ist weniger der Zugang wichtig, vielmehr der Fakt, dass die Materialien, mit denen ich arbeite, nichts Besonderes sind.

Für die Ausstellung "The Thin Red Line" in London haben Sie 2018/2019 zum ersten und vielleicht einzigen Mal, eine Ausstellung mit Malereien gemacht, die sich der Farbe Rot widmeten. Nähern Sie sich systematisch einzelnen Farbgruppen?

Jede Farbe ist aufgeladen mit Emotionen und in der Psychologie spielen Farben eine wichtige Rolle. Mit diesem Bewusstsein setze ich ganz bestimmte Farben ein und untersuche sie. Bei meiner Ausstellung "The Thin Red Line" habe ich mich nach langer Abstinenz vollkommen auf die Farbe Rot konzentriert, weil ich herausfinden wollte, wie und ob ich eine solch alarmierende und aufgeladene Farbe unter Kontrolle bekomme. Zudem untersucht der Ausstellungskatalog der Show die Komplexität der Farbe Rot durch Texte von Wissenschaftlern und Schriftstellerinnen.

Und wie haben die Autorinnen und Autoren diese Aufgabe umgesetzt?

Tenzing Barshee hat sich einen fiktionalen Dialog zwischen drei Protagonisten ausgedacht, die sich über abstrakte Kunst unterhalten. Elisa Linn hat die Farbe unter dem Aspekt ihrer gesellschaftlichen und sozialen Bedeutung beleuchtet. Gregor Quack hat ein Interview mit einer Farbwissenschaftlerin geführt und Lennart Wolf hat einen Text im Kontext zur Architektur und Leere geschrieben. Außerdem hat Torsten Schmidt eine fiktionale Erzählung, die von einem Autounfall handelt, spontan bei mir im Atelier geschrieben.

Vor dem Kunststudium an der Akademie in Düsseldorf haben Sie Grafikdesign studiert. Hat diese frühe Ausbildung heute noch Auswirkungen auf die Gestaltung Ihrer Einladungskarten und Kataloge, die Sie regelmäßig produzieren und die einen festen Bestandteil Ihrer künstlerischen Praxis ausmachen?

Es war eine Grafikausbildung mit Hochschulreife. Ehrlich gesagt hat die Grafikausbildung keine Rolle gespielt, alles innerhalb eines Lehrplans habe ich damals verweigert. Erst während meines Kunststudiums hat das grafische Medium für mich an Bedeutung gewonnen und wurde Teil meiner Arbeit.

In Ihren "Political Paitings" tauchen über den reduzierten Schichten bunte Eulen auf. Das erinnert mich an sehr frühe Bilder. Wofür stehen die Eulen?

Das Tier interessiert mich nicht. Die Eulen sind für mich reine Form. Sie können aber auch als Platzhalter für Personen aus der Kunst, Sport und Wirtschaftswelt verstanden werden. Bereits 2009 entstanden die ersten Eulen. Ich empfand es als amüsant, während des Malens selbst beäugt und beobachtet zu werden. Der richtige Zeitpunkt, um sie zu zeigen, erschien mir dann zehn Jahre später. Das Ziel der Arbeiten ist es, hohe Ämter zu stürzen.

Ihre Bilder heißen oft "F". Das interpretiere ich im Kopf immer als "Fehlermalerei", weil Sie mir einmal sagten, dass Sie absichtlich versuchen, malerische Gesten zu verlernen. Nun ist das schon viele Jahre her. Was bedeutet "F"?

Es geht in erster Linie um die Form des Buchstaben "F" und das darf alles bedeuten. Die Eulen Arbeiten tragen zum Beispiel jeweils einen individuellen Titel sowie den Zusatz "Political Paintings".  Das "F" steht als Oberbegriff für eine bestimmte Werkgruppe von Bildern.

In den Klammern Ihrer Titel, wie zum Beispiel hinter dem "F", stehen manchmal ganze Sätze – in Ihrer aktuellen Ausstellung sind es die Namen von Musikerinnen und Musikern - Toni Braxton, Michael Bublé, Faith Hill, Simply Red und andere. Ist ihre Musik für Sie ebenso neutral wie die Farbe der Bilder?

Die meisten der Interpreten höre ich mir gerne im Atelier auf CD an. Ich muss die Lieder aber nicht laut hören, ein bisschen peinlich ist es mir schon. Statt ins Fitnessstudio zu gehen, kaufe ich CDs bei Saturn – das entspannt mich. Es geht mir um diese unwiderstehlichen, zeitlosen Harmonien, die so manch einer für gefällig hält. So kam es dann, dass ich die grauen Arbeiten nach Musikerinnen und Musikern benannt habe. Was das Bild und den Hit verbindet, sind ein Studiobesuch.

Als Teenager haben Sie selbst Musik gemacht. Beeinflusst Musik heute Ihre künstlerische Arbeit?

Musik spielt eine wichtige Rolle bei meiner Arbeit. Sie ist es, die mich motiviert und ablenkt. So ein Tag im Atelier kann ja richtig beschissen sein. Musik bietet da eine stabile Konstante. Musik ist aber auch eine Hassliebe, weil ich mir früh eingestehen musste, dass Malerei nicht annährend so stark, so schnell und so einfach Emotionen erzeugt.

Kann es nicht auch etwas Beruhigendes haben, sich als Künstler nicht den Wünschen der Massen hingeben zu müssen – so wie es sicherlich für die gefällige Popmusik gilt, deren Interpreten in den Titeln Ihrer Bilder auftauchen?  

Das kann ich nicht beurteilen. Das kann, glaube ich, kein lebender Künstler.

Ist eine gute Arbeit ausschließlich eine, die Emotionen erzeugt?

Nein. Eine gute Arbeit könnte auch einfach nur formal und technisch gut gelöst sein.

Ihre aktuelle Ausstellung bei Sprüth Magers heißt "So kalt kann es nicht sein". Wie sind Sie auf diesen Titel gekommen?

Intuitiv und sachlich zugleich. Worum geht es? Was ist Phase?

Sie haben ein vierjähriges Kind - stellen Sie seine Fragen zu Ihrer Arbeit eigentlich manchmal vor Herausforderungen?

Er malt längst spannendere Bilder, die mich neidisch machen. Da kommt bei mir eher die Frage auf: Warum male ich nicht mehr so frei und unmittelbar?