"Film is like a battleground", sagt der amerikanische Regisseur Samuel Fuller bei seinem Kurzauftritt in "Pierrot le fou" ("Elf Uhr nachts", 1965). Vordergründig dreht sich Jean-Luc Godards zehnter Spielfilm um die Amour fou zwischen Jean-Paul Belmondo und Anna Karina. Aber Godards wahre Obsession – das Kino – zersprengte die Story um einen verheirateten Mann, der in den Bann einer Frau und krimineller Machenschaften gerät.
Schreiende Farben, thematische Abschweifungen, kunsthistorische Zitate und Textfragmente: Es gehe Godard darum, "Film als ein Medium von Emotionalität in seine Bestandteile zu zerlegen und neu zusammenzusetzen – in einem offenen Prozess, an dem Godard das Ereignishafte betont (mit einem kunsttheoretischen Begriff: das Happening)", schreibt der Filmkritiker Bert Rebhandl in seiner Biografie "Jean-Luc Godard. Der permanente Revolutionär".
Godard, der im Dezember 90 wurde, bleibt der Unvollendete, Rastlose und mitunter auch Ratlose des Weltkinos. Er wird 1930 in Paris geboren, verbringt den Großteil seiner Jugend jedoch in großbürgerlichen Verhältnissen am Genfer See. Nach dem Zweiten Weltkrieg taucht er in Paris in die cinephile Kultur um die Cinémathèque française ein, schreibt Filmkritiken, lernt François Truffaut und andere Kino-Revoluzzer kennen und landet – ein Jahr nach Truffauts Nouvelle-Vague-Erstling "Sie küssten und sie schlugen ihn" mit "Außer Atem" 1960 einen Sensationserfolg. "Pop-Art", überschreibt Rebhandl ein frühes Kapitel: Zwischen dem Spielfilmdebüt "Außer Atem" und "Week End" (1967) bewegte sich Godard im kommerziellen System, das er zugleich herausforderte wie wenige andere Regisseure.
"Video, ergo sum"
Populär wollte Godard nie sein, und so wandte er sich 1968 vom Filmverleih-System ab, um "nicht politische Filme, sondern Filme politisch zu machen". Er wendet sich der Videotechnik und dokumentarischen Formen zu, setzt auf das Filmemachen im Kollektiv. "Video, ergo sum", überschreibt Rebhandl die Phase, in der Godard und Mitstreiter wie seine Partnerin Anne-Marie Miéville am "militanten Film" arbeiten und scheitern. 1976 bringen Miéville und Godard "Ici et ailleurs" heraus, der die palästinensische Revolution mit ihrer medial vermittelten Wahrnehmung (durch eine französische Familie, die TV guckt) zusammenbringt.
Polemisch wird die Besatzungspolitik Israels mit der Vernichtungspolitik der Nazis gleichgesetzt, Rebhandl verschweigt nicht, dass die Antisemitismusvorwürfe gegen Godard nie verstummt sind. "Der permanente Revolutionär" ist alles andere als eine Hagiografie. Rebhandl bleibt auf Distanz zu Godard. Persönliches thematisiert der Autor da, wo es das Werk erhellt. Das betrifft vor allem Godards Lebenspartnerinnen: Die Schauspielerin Anna Karina prägt seine Filme in den 1960er-Jahren. Nach der Trennung heiratet Godard Anne Wiazemsky, die dann in mehreren Filmen zu sehen ist. Mit Anne-Marie Miéville, deren filmischen Beitrag Rebhandl für deutlich unterschätzt hält, zieht Godard Ende der 1970er wieder in die Schweiz.
Ein unerstättlicher Geist
Ab 1980 entstehen neue Spielfilme, noch spröder, experimenteller als in der "klassischen Phase" der 1960er: "Rette sich, wer kann (das Leben)", "Passion", "Vorname Carmen". Nun wird es restlos unmöglich, einen GodardFilm zusammenzufassen. Vor den vielen Brüchen und Diskontinuitäten – der Filmhandlungen, des Lebenswerks – kapituliert Rebhandl nie. Auf knappen 288 Seiten schafft er es, die künstlerischen Stationen aufeinande zu beziehen und Themen und Vorlieben herauszuarbeiten: seine Germanophilie, seinen Unwillen, eine Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion zu ziehen.
Mit seinen für das Fernsehen produzierten, 1997 auf der Documenta X präsentierten "Histoire(s) du cinéma" realisierte Godard seinen lang gehegten Traum einer Filmgeschichte in Bildern und Tönen. Ähnlich verdichten sich Reflexion, Improvisation und Collage, von der Godards Schaffen seit jeher geprägt ist, in "Le Livre d’image" von 2018 zur alterswilden Assemblage aus Bildern, Texten, Tönen."Man wird Godards Werk am besten gerecht", schließt Rebhandl, "wenn man es tatsächlich als eine Universalpoesie begreift, die Bilder an die Stelle der Sprache setzt. Die Bilder stehen im Bann des Gewesenen, aber sie haben auch das Potenzial, diesen Bann zu lösen. Das ist ihre revolutionäre Kraft."