Anwalt als Katze

Gregor Samsa wäre heute in digitalen Filtern gefangen

Ein Zoom-Mitschnitt, in dem sich ein Anwalt versehentlich mit einem Katzen-Gesichtsfilter in eine Online-Gerichtsanhörung zuschaltete, ist die perfekte Verbildlichung von Boomer-Cringe

Als Rod Ponton eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in einer Zoom-Konferenz zu einer verlegenen Katze verwandelt. Wer Franz Kafkas "Verwandlung" für das 21. Jahrhundert umschreiben will, sollte an digitale Gesichtsfilter denken. So wie Kafkas Figur Samsa sich unversehens zu einem Insekt verwandelt sah, ist heute der technikunkundige Boomer unversehens in einem Gesichtsfilter gefangen.

Der Anwalt Rod Ponton hatte sich in Texas in einer Online-Verhandlung eingeschaltet, allerdings mit einem Katztenfilter über seinem Gesicht. "Mr. Ponton, ich glaube, Sie haben einen Filter eingeschaltet in den Video-Einstellungen", ist die Stimme von Richter Roy Ferguson im Hintergrund zu hören.

Das Kätzchen stöhnt auf, verdreht mehrmals wie in schamvoller Pein die Augen, öffnet das Maul und sagt schließlich: "Ja, so ist es. Ich weiß nicht, wie ich ihn wegbekomme", und fügt hinzu: "Ich bin live hier, ich bin keine Katze". Ferguson beruhigt ihn: "Das kann ich sehen."

Der Richter des 394th Judical District Court in Texas stellte den Videoausschnitt später online mit der Bemerkung: "Wichtiger Zoom-Tipp: Wenn ein Kind Ihren Computer benutzt hat, bevor Sie einer virtuellen Anhörung beitreten, überprüfen Sie die Video-Einstellungen, um sicherzugehen, dass die Filter ausgeschaltet sind."


Das Video ist eine perfekte Verbildlichung von Boomer-Cringe, also dem Schamgefühl beim Anblick eines Vertreters der bislang dominierenden Generation, der durch eine neue, ihm fremde Zeit stolpert – und strauchelt. So wie sich Gregor Samsa über Nacht in ein anderes Wesen verwandelt und dabei sein Bewusstsein behalten hat, haben männliche, weiße Boomer durch die Thematisierung ihrer sozialen und politischen Voraussetzungen ihre unmarkierte Identität verloren und fallen jetzt schneller mit Hilflosigkeit auf – was zum Beispiel digitale Medien angeht. Rührend!

Die Coronakrise hat die Anzahl der digitalen Räume dramatisch erhöht und damit auch die Gelegenheiten, seine Nicht-Kompetenz unter Beweis zu stellen. Sie sichtbar zu machen. Oder sind die Boomer vielleicht doch weiter ganz vorne dabei, indem sie nun auch noch die Verspieltheit und die fluiden Identitäten der "Digital Natives" gekapert haben und selbstironisch als Fleisch gewordener cat content die verstaubten Institutionen sprengen?

Rod Ponton führt jedenfalls eindrucksvoll vor, wie man mit einer plötzlich offenbarten Verletzlichkeit und Entfremdung umgehen kann: Sie umarmen, statt weiter zu behaupten, alles im Griff zu haben. Liebe dein Symptom! "I'm prepared to go forward with it", sagte der Anwalt bei dem Zoom-Call Gegenüber CNN erklärte er später: "Die Katze war einfühlsam. Sie war genauso aufgebracht wie ich."

Mit Quellmaterial von dpa