Mit menschlichen Schwächen lassen sich nicht nur Witzbücher füllen, man kann auch Skulpturen daraus machen. Erwin Wurm beherrscht das sehr gut. Die Unzulänglichkeit ist sein Bereich. Mit tiefen Sitzmulden in Designermöbeln bringt er plumpe, bleibende Dellen in das über jeden Zweifel Erhabene. Mit übergewichtigen Sportwagen erzählt er eine pervertierte Geschichte der unstillbaren Bedürfnisse.
Im kleinbürgerlichen Milieu ist die Entlarvung noch einfacher. Wenn zum Beispiel aus einem spießigen Kartenspiel- und Trinktisch eine düstere Riesengurke wächst, dann ist es, als hätten sich der kommende Hangover, das schlechte Gewissen und alle alkoholentfesselten niederen Beweggründe zusammengetan, um die Rechnung zu bringen.
Das Sympathische daran ist, dass Erwin Wurm sich in seine Variationen über das Peinliche anfangs immer selbst mit einschloss. Früher stand er für seine One-Minute-Sculptures Modell, die auf Bildern wie alberne, amüsante Kopf-im-Eimer-Aktionen wirken mögen, aber in der Ausführung beispielsweise im Ausstellungsraum Mut erfordern und gewisse überraschende Erfahrungsräume bieten. Zusammengehalten wird dieses Œuvre – ob Auto, Gurke, Möbel, Wurst, lebende Skulpturen – von Erwin Wurms eigentlichem künstlerischen Material, der Scham.
Und hier kommt Lars Eidinger ins Spiel, als Schauspieler fast grenzenlos bereit, sie auszuhalten oder erst gar nicht zu empfinden. In der Ausstellung "Two in One" in der Kölner Galerie Ruttkowski68 (derzeit coronabedingt geschlossen) treffen die beiden jeweiligen Meister ihres Fachs aufeinander.
Eidinger und Wurm haben viel gemeinsam. Ein Interesse am Absurden im Alltäglichen, eine Freude am Deplatzierten. Wenn Lars Eidinger in Erwin Wurms One-Minute-Sculptures nun einen Pullover trägt, der von mehreren Besenstielen durchquert wird, oder den Kopf auf eine Tischplatte legt, sodass zwei Orangen auf ihm ruhen können, dann füllt er die Rolle des Lächerlichen so zufrieden, so vollkommen aus, dass gar kein Platz für Zweifel oder Scham ist. Slapstick funktioniert nicht ohne Perfektion.
Lars Eidinger selbst ist seit langem Experte für One-Minute-Sculptures. Seine Alltagsfotografien zeigen sein außergewöhnlich gutes Auge für beiläufige Seltsamkeiten. Eine Plastiktüte in einem asiatischen Restaurant, die aussieht wie ein am Tisch sitzendes Gespenst. Eine kreisrund durchbrochene Mauer, durch die sich eine seltsame Rucksack-Gesäß-Kombination schiebt. Die nahezu rorschachtesthafte Vollkommenheit, in der sich ein Mensch in einer Schaufensterscheibe spiegelt. Eidinger konstruiert oder baut die Dinge nicht, um sie zu entlarven, er findet sie einfach. Und statt Schwächen nachzuweisen, kann er auch noch im Abgewirtschaftetsten, im Kaputtesten, Langweiligsten, Egalsten eine glitzernde, gutartige Pointe, einen Funken der Begeisterung entdecken.
Schön ist die ansteckende Freude der beiden aneinander. Erwin Wurm verewigt den Schauspieler in einem Körperabguss, seitlicher Torso. Diese unzulängliche Hülle ruht auf unterschiedlich großen Farbflaschen, deren Höhe genau so bemessen ist, dass der Abguss in einer perfekten Horizontalen darauf schwerelos gebettet scheint. Der Körper, Werkzeug der Schauspieler, thront über den Farben, dem Werkzeug der Künstler. Vielleicht erklärt Erwin Wurm Lars Eidinger hier zum Künstlerkollegen. Vielleicht ist Eidinger schon längst da.