"Arbeiten", "Kunst", "Ausstellungen", "Museen" - diese Begriffe führen das Ranking der häufigsten Wörter in zeitgenössichen Texten zu Kunst an. Nicht ganz überraschend; doch eine Liste der meistgebrauchten 10.000 Wörter beim Schreiben über Kunst fördert auch andere Erkenntnisse zutage. Zum Beispiel, dass der am häufigsten gebrauchte Vorname in den untersuchten Texten Thomas ist.
Christoph Thomessen ist der Begründer des Projekts "Textmining" und forscht seit 2017 zu Wörtern aus dem aktuellen Diskurs über Kunst. Die namensgebende Methode Textmining ist ein algorhitmus-basiertes Analyseverfahren zur Entdeckung von Bedeutungsstrukturen. Man nimmt eine Auswahl an Texten und speist ein Programm damit, das die Wörter erkennt, zählt und dann nach Häufigkeit sortiert. Ähnliche Methoden werden auch für automatische Plagiats-Überprüfung und für Übersetzungsprogramme verwendet.
Christoph Thomessens Motivation ist nach eigenen Angaben, die Möglichkeiten der Digitalisierung zur Verbesserung der Textanalyse zu nutzen, denn "Ordnungssysteme befördern Sinn und je nachdem wie man die Dinge ordnet entstehen neue Aspekte". Seinen eigenen Bezug zur Digitalisierung fand er über die Teilnahme an einem Projekt von Google und der Stanford University zur Grundlage der Computerwissenschaften.
Er schrieb die Skripte für die Textmining-Analyse und speiste sie mit Texten der Websites "Art-in" und "Art-in-Berlin". Die beiden Online-Portale werden von der von ihm begründeten Kunstagentur Thomessen betriebenen und veröffentlichen täglich Nachrichten zur Kunstwelt, Ausstellungsreviews und Berichte über junge Kunstschaffende von verschiedenen Autorinnen und Autoren. Die Analyseergebnisse finden sich auf der Homepage "Art-in". Neben den 10.000 Wörtern stellt das Projekt auch Analysen der Verwendung verschiedener Begriffe, wie "Autonomie", "Krise" oder "Transzendenz" zur Verfügung.
Ein Lieblingssatz von Broodthaers
Hier finden sich schöne Schachtelsätze, wie beispielsweise unter "Narrativ": "In der Ausstellung und der mit ihr einhergehenden Beschäftigung mit dem Authentischen soll das postmoderne Narrativ der Konstruktion und des Nicht-Substantiellen jedoch keineswegs zur Debatte gestellt werden." Der Lieblingssatz von Christoph Thomessen ist übrigens: "Broodthaers' Kritik gründet in einer tiefgreifenden Beschäftigung mit den Ordnungssystemen des Alltags, den Mechanismen der Sinnproduktion und ihrer Verankerung in einem kollektiven, kulturellen Gedächtnis. "
Aber das Ganze ist nicht nur linguistisches Vergnügen. Christoph Thomessen beschreibt, wie Texte aus unterschiedlichen Jahrzehnten mit dem Programm gefiltert und durch die unterschiedlichen Wortwolken Diskurse verglichen werden können. Auch der Kontext, in dem Wörter verwendet werden, geht zwischen den Texten aus der Kunstwelt und anderen Bereichen stark auseinander.
Beispielsweise hat Thomessen den Textkorpus german model, der auf Wikipedia-Einträgen und einem Nachrichtenpaket basiert, sowie die Texte über Kunst nach dem Begriff "Identität" durchsucht. Im german model wurde das Wort "Identität" am häufigsten zusammen mit den Begriffen "Herkunft", "Nationalität" und "Identität des Mannes" genutzt. Bei der Analyse von Texten aus der Kunstwelt ergab die Suche Zusammenhänge zu den Begriffen "kulturelle Identität", "Differenz", "künstlerische Identität" und "Identitätsstiftung".
Die Frage, wie wir über Kunst sprechen
Die Textmining-Analyse bietet also neben Sprachspaß auch ernsthafte Analyse-Methoden für Diskurse und die Art, wie wir über Sprache reden. Was auch auffällt: Die 10.000 Wörter zur Kunst bergen eher wenige Überraschungen. Sie zeigen, wie redundant die Beschreibung von Kunst oft ist. Auch die geringe Verwendung von leichter Sprache fällt auf und zeigt, wie elitär wir immer noch über Kunst sprechen.
Thomessens Analyse macht entgegen der üblichen Praxis nicht die Kunst zum Mittelpunkt der Interpretation, sondern die Art, wie sie durch Sprache beschrieben wird. Er hält uns als Menschen, die über Kunst sprechen, quasi einen Spiegel vor. Diese so geschaffene Meta-Ebene mag zunächst erschrecken, legt sie doch offen, wie die einzelnen Begriffe durch häufigen Gebrauch entleert werden. Sie regt aber auch dazu an, bewusster mit Sprache umzugehen.