Natürlich ist schon der Titel eine Lüge: Nichts an Rafael Horzons "Das Neue Buch" ist neu. Nach seinem 2010 erschienenen Debüt "Das Weisse Buch" hat der Berliner Autor, Unternehmer und Designer, der seine vielfältigen Produkte und Geschäftsideen keinesfalls als Kunstperformance oder gar als Satire verstanden wissen will, wieder einen Roman über eine kleine Szene rund um die Berliner Torstraße geschrieben. Wieder handelt es sich um einen autobiografischen Schelmenroman, wieder möchte man das Buch nach den ersten Sätzen weglegen und rufen: "Irony is over, Berlin-Mitte is over, wen interessiert’s?" Aber das weiß Horzon natürlich alles selbst. Koketterie ist der Motor seines Buches.
Schelmenromane eröffnen mit der Desillusionierung des Helden. Im "Neuen Buch" beschleicht unseren Protagonisten die bittere Erkenntnis, dass er selbst die Zeit für einen neuen Rafael-Horzon-Geniestreich unbedingt gekommen sieht, seine Mitmenschen aber weit weniger. Was also tun? Die Neinsager widerlegen, oder zumindest ein wenig Spaß haben beim Versuch. Hinausreiten in die Welt und Ankämpfen gegen Windmühlen!
Stimmiger als jede Berlin-Doku im Fernsehen
Diese Windmühlen sind der halbe Berliner Kulturbetrieb, von Künstlern bis zu Literaturagenten, von DJs bis zu Restaurantbesitzern, von Udo Kittelmann bis zu Moritz von Uslar. Das Tolle an Horzons Stil ist dabei, dass er bei aller Überdrehtheit liebevolle Porträts und zeitgeschichtliche Miniaturen zeichnet, die stimmiger sind als jede Berlin-Doku im Kulturfernsehen. Die Mitte-Bubble erweist sich als immer noch interessanter als viele andere Blasen, lustiger ist sie eh. Und bald schon geht es für unseren Helden weit hinaus, auf Abenteuerreisen nach Baku, Karlsbad und Syrakus, auf Trips, die vermutlich genauso stattgefunden haben.
Bei allem Spaß: In Horzons Nabelschau verbergen sich die kleinen, großen Fragen des Lebens, geht es um Freundschaft, die Liebe, das Älterwerden, Verluste. Was ist das Neue, gibt es das überhaupt? Kommt es, weil das Leben sich verändert, Menschen gehen? Findet es uns oder müssen wir es suchen? Selbstverständlich ist auch das Ende dieses Buches eine Lüge: Die auf dem Klappentext zitierten Großautoren Daniel Kehlmann ("Bewegend!"), Christian Kracht ("Erhebend!") und Florian Illies ("Belebend!") haben sich mit einiger Sicherheit nie zum "Neuen Buch" geäußert. Und dennoch ist jedes Zitat wahr.