Nicht nur eines, sondern gleich drei: Die Abtei St. Mauritius zu Tholey rühmt sich neuer Fenster von Gerhard Richter. Doch ist das bloßes Namedropping oder fügt sich sein Werk in den Kirchenraum ein?
Es ist ein Projekt, das gleich mehrere Superlative auf sich vereinen will: Die Erneuerung der kompletten Fensterfläche der Abteikirche St. Mauritius im saarländischen Tholey, einer der ältesten, frühgotischen Kirchen Deutschlands und Teil des wohl ältesten Klosters in Deutschland, ist das größte Vorhaben seiner Art in Europa, seit langem. Doch überregionale Beachtung fand es erst, als ein Name fiel: Richter. Der als "teuerster lebender Künstler" geltende Gerhard Richter versprach der Abteikirche drei abstrakte Fenster.
Abstrakte Kunst im Kirchenraum – zumal Glaskunst – ist nichts Neues. Insbesondere in der Nachkriegszeit sind herausragende Werke entstanden. Doch auch die aktuellen Strukturreformen der Kirchen haben zu Umgestaltungen mit zum Teil hohem künstlerischen Wert geführt. Vielerorts gehen Alt und Neu nun eine Symbiose ein, entwickeln sich inspirierende Dialoge aus abstrakten Formen und figürlichen Darstellungen. Sollte das in Tholey geschehen, ist das aber purer Zufall – oder Fügung.
Zarte Federführung mit deutlicher Botschaft
Während Richter direkt für die drei Chorfenster angefragt wurde, setzte sich die in München lebende Afghanin Mahbuba Maqsoodi mit ihren Entwürfen in der Ausschreibung um die restlichen 31 Fenster durch. Dafür befasste sie sich intensiv mit Szenen aus dem Alten Testament – die ihr als Muslimin natürlich geläufig sind – wie auch mit denen des Neuen Testaments. Ihre Fenster werden von unzähligen Personen bevölkert, manchmal nur schemenhaft angedeutet. Aber wenn es darauf ankommt, meint man beim heiligen Theobert oder bei Abraham jede Locke zählen zu können. Die Darstellungen erinnern in ihrer Detailliertheit und fast zarten Federführung an Kupferstiche – die Farben, in die sie ihre Szenen taucht, sind ungleich kräftiger.
Richters drei Chorfenstern direkt gegenüber, auf dem großen Fenster über der Orgelempore, findet sich Maqsoodis "Sturz des Satans". In geradezu barocker Bildsprache und -gewaltigkeit inszeniert sie hier den von Rot nach Dunkelblau fallenden Engel. Ihm zur Seite gestellt, eine drohende Lichtgestalt in antikisierender Rüstung. Deren nach unten weisender Finger schließt jede Rehabilitierung Luzifers zurück in himmlische Höhen kategorisch aus. Maqsoodis narrative Bilder sind von Unmissverständlichkeit geprägt, da muss auch mal ein Galgenstrick als Symbol für Tod und Ende herhalten. Das ist deutlich. Vielleicht sogar ein bisschen zu deutlich. Oder gerade deutlich genug.
Den Mönchen geht es um klare Bildsprache. Die bisherigen Fenster der Kirche hatte ihr Mitbruder Bonifatius Köck geschaffen und dafür – wie es in der Nachkriegszeit üblich war – ausschließlich abstrakte Formen gewählt. Zwei Generationen später wussten nicht einmal mehr die Mönche selbst, was die blutroten Tränen der alten Chorfenster bedeuten sollten. Maqsoodis Werk ist eine gläserne biblia pauperum, was in einer immer säkulareren Gegenwart durchaus Potenzial hat. Ihr gelingt es, die biblischen Geschichten, die vielen zu weit weg oder durch theologische Diskurse unverständlich erscheinen mögen, mit dem Heute zu verbinden: Die Gesichter und Haltungen ihrer Figuren drücken Liebe und Freude, Verzweiflung und Angst aus. Auch wenn die Betrachter noch nie von Abraham und Theobert gehört haben, die dargestellten Emotionen schlagen Brücken über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg.
Gläserne Kulisse des Geheimnisses
Weshalb dann trotzdem abstrakte Bilder im Chor? Hier hätte man Gefahr laufen können, Gottvater darzustellen, und zwar als alten Mann mit langem Bart, sagt Bruder Wendelinus. Das wollten die Mönche vermeiden. Bei der Darstellung des Göttlichen sei die Abstraktion besser. Und es sind in der Tat faszinierende Fenster. In Rot-Blau und Gelb ziehen sich die wieder und wieder gespiegelten Ausschnitte aus Richters Werk 724-4 über die volle Länge der über neun Meter hohen Glasflächen. In den strikten Symmetrien wiederholen sich Formen, scheinen figürlich, sind es aber nicht. Wie Bruder Wendelinus Naumann es ausdrückt: "Wenn man länger darauf schaut, versucht der Kopf, diesen Symmetrien immer wieder Näherungen zu geben. Und dann entdeckt man Gesichter. Sie gibt es gar nicht, aber es gibt sie doch." Richters Fenster waren eigentlich für eine kleine Seitenkapelle gedacht. Was für ein Glück, dass sie es in den Chor geschafft haben. Schließlich sind sie gewissermaßen das Bühnenbild vor dem die Eucharistie stattfindet. Und ganz ähnlich wie die Fenster, erschließt sich auch diese nicht durch das reine Schauen.
Das Transzendente vor dem Abstrakten, generell keine schlechte Idee. Aber ein Konzept für den Gesamtraum ergibt sich daraus nicht. Das wäre jedoch wichtig. Denn eine Kirche ist keine Galerie. Hier werden verschiedene Künstlerinnen und Künstler nicht um ihretwillen nebeneinander gezeigt. Vielmehr ist ein Gotteshaus ein Gesamtkunstwerk. Jedes einzelne Werk soll im Zusammenspiel mit den anderen zum Lob Gottes beitragen. Dies zu ermöglichen, zu kuratieren, ist Aufgabe der Kirchenleitung. Gleichzeitig hat Kunst im Kirchenraum – und das betrifft insbesondere die zeitgenössische – das Potenzial Gläubige wie Besucher zum Nachdenken anzuregen, zu inspirieren. Ein künstlerischer Dialog zwischen der Muslimin Maqsoodi und dem "Suchenden" Richter über christliche Themen wäre doch spannend gewesen. Satanssturz und Richter-Fenster sich einfach gegenüberstehen zu lassen, ist schade.
Dass es für den Betrachter wenn überhaupt zufällig zu Zusammenspiel und Kontrast kommt, liegt an zwei Gründen: Zum einen war Gerhard Richter nie in Tholey. Er hat sich nie näher mit dem Kirchenraum beschäftigt. Als die Bitte der Mönche ihn über Saarbrücker Kirchenmusiker Bernhard Leonardy erreichte, wählte er aus Vorhandenem aus und überließ alles Weitere der Glaswerkstatt. Die Fenster kommen also quasi aus der Schreibtischschublade. Das lief auch mal anders: Beim Südquerhausfenster des Kölner Domes hatte er sich noch so sehr mit seiner Aufgabe auseinandergesetzt, dass ihn starke Selbstzweifel plagten.
Fromme Wünsche und neue Parkplätze
Zum anderen hat die Abtei mit Richters Zusage einen medialen Coup gelandet. Plötzlich bekommt das einzige Benediktinerkloster im Saarland viel Aufmerksamkeit. Hat man sich deshalb weniger Gedanken um ein Gesamtkonzept für den Kirchenraum gemacht, in das sich sowohl Richters abstrakte Symmetrien wie auch Maqsoodis Figuren einfügen? Hat man Zeit und Energie lieber in andere Überlegungen investiert? Am Mittwoch überschlugen sich die Medien förmlich, als Richter die Fenster zu seiner "letzten Werknummer" erklärte. Am Donnerstagmorgen sind sie fertig eingesetzt präsentiert worden und können ab dem Wochenende besichtigt werden. Und auf diese Besichtigenden scheint man in der Abtei zu hoffen.
Vor Corona rechneten die Mönche mit 100.000 Besuchern pro Jahr. Die Gemeinde hatte extra den Bau von 242 neuen Parkplätzen beschlossen. Die werden auch jetzt nicht leer bleiben. Der Name Richter zieht. Doch die Besucher kommen eben nicht zur Frühmesse, wenn das erste Licht des Tages durch das bunte Glas auf den Altar fällt. Sie werden zu gesonderten Besuchszeiten kommen, mit Hygienekonzept und in Grüppchen. Das Ansinnen der Mönche, mit den Kunstpilgern ins Gespräch zu kommen, dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Denn wer für Richter kommt, bleibt nicht unbedingt für den heiligen Theobert.