Zwei selbstbewusste Schaffnerinnen warten auf das Startsignal. Eine Arbeiterin schultert freudig ihre Last. Man könnte hier noch eine Fensterputzerin, eine Postbotin und eine Kutscherin zeigen, alle von Käthe Buchler um 1917 fotografiert. Nun gilt Buchlers Braunschweiger Heimat keineswegs als frühes Epizentrum der Frauenbewegung. Ihre Serie "Frauen in Männerberufen" zeigte vielmehr die pflichtbewusste Ersatzdienstleisterin an der Heimatfront des Ersten Weltkriegs, die Frau, die nach der Rückkehr des Kriegers wieder an den Herd gehörte.
Trotzdem fesseln diese historischen Bilder. In mancher Hinsicht nehmen sie sogar einen berühmteren Zyklus vorweg: Seine Serie von "Menschen des 20. Jahrhunderts" plante August Sander erst ab 1925. Die Aufnahmen Buchlers sind nur eine von vielen Entdeckungen, die man in dem 1984 gegründeten Museum für Photographie Braunschweig machen kann. Das von dem gleichnamigen Verein betriebene Museum zeigt in zwei Torhäusern an der Helmstedter Straße regelmäßig Sonderausstellungen mit zeitgenössischen Fotografinnen und Fotografen internationaler Provenienz und immer wieder auch die Schätze der herausragenden Sammlung. Gehütet werden etwa Fotografien aus der Frühzeit des Mediums, darunter einige Daguerreotypien. Legenden der Lichtbildnerei wie Hill & Adamson, Felix Nadar oder Julia Margaret Cameron sind in der Kollektion vertreten.
Den Sammlungsschwerpunkt bilden drei Nachlässe: der des Braunschweiger Fotoreporters Hans Steffens (1915–1994), der die Stadt fast durch das gesamte 20. Jahrhundert begleitete, sowie der des 2005 früh verstorbenen "Geo"- und "Zeit"-Fotografen Nikolaus Geyer. Und eben der Nachlass von Käthe Buchler (1876–1930): Nicht zuletzt dank familiärer Verbindungen zur Braunschweiger Fotoindustrie – ihr Schwager leitete in zweiter Generation die Optischen Werke Voigtländer – fing Buchler ab 1901 mit dem Fotografieren an und perfektionierte ihr Handwerk später am Berliner Lette-Verein. Schon ab etwa 1910 fotografierte sie in Farbe – im komplizierten und teuren Autochromverfahren, bei dem drei separate Glasplatten belichtet wurden. Bis heute sind beispielsweise ihre Farbaufnahmen von Sintikindern im nahe gelegenen Steterburg oder die Bilder der im "Braunschweiger Rettungshaus" untergebrachten Mädchen und Jungen als ästhetisch gelungene Vorläufer einer sozial engagierten Reportagefotografie lesbar. Im Herbst zeigt das Photomuseum mit dem Kölner Fotografen Albrecht Fuchs einen aktuellen Meister des Porträts – der auch einige Braunschweiger Künstlerinnen und Künstler fotografiert hat.