Der Blick aus dem Fenster kann potentiell tricky sein. Von der Fondazione Prada zum Beispiel berichten Besucher, die – kurzes Versichern: wirklich hochkarätige! – Kunst falle gegenüber der gigantischen Panoramasicht in einigen Räumen einfach komplett ab. Nun ist Hamburg nicht Mailand, aber ein paar hübsche Ausblicke bieten Binnenalster und Museumsvorplatz ja doch. Den Konkurrenzkampf mit der Außenwelt nimmt man hier jetzt wieder bewusst in Kauf: Seit Direktor Alexander Klar 2019 an die Hamburger Kunsthalle wechselte, wollte er die einzigartige Architektur der 1996 eröffneten Galerie der Gegenwart wieder so nutzen, wie sie Oswald Mathias Ungers ursprünglich konzipiert hatte.
Inzwischen wurden die auch aus konservatorischen Gründen abgehängten Fenster freigelegt und die eingezogenen Zwischenwände entfernt. Mit "Die absurde Schönheit des Raumes: 7 Künstler*innen vs. Ungers" bespielen nun fünf Künstlerinnen und zwei Künstler die erste Etage des Ungers-Baus, einmal den gesamten Kubus entlang. Die Rahmenbedingungen von Klar und Co-Kurator Jan Steinke erinnern an paradiesische Zustände: Vorgaben gab es für die installativ arbeitenden Malerinnen und Maler angeblich keine, weder formal noch inhaltlich. Nur der Raum sollte eine Rolle spielen.
Eine moderne Arche, die nur bedingt Rettung verspricht
Den Anfang macht Helga Schmidhuber mit ihrer "ARCHE endemisch", und endemisch ist die unangefochtene Protagonistin ihrer Installation leibhaftig: Inmitten bemalter Stellwände thront Walross Antje, bis heute legendäres und beliebtes Maskottchen des Norddeutschen Rundfunks, das bis zu seinem Tod in Hagenbecks Tierpark residierte. Nun ist das präparierte Tier im Zoologischen Museum der Uni Hamburg untergekommen, von wo aus es Schmidhuber für die Ausstellung in die Galerie der Gegenwart bringen ließ und im Gegenzug ein künstlerisches Werk an Stelle des Exponats aufbaute. Zusammen mit den Malereien von Grille, Motte oder Feldhamster in Schwarz-Lila-Smaragd, reichlich geschmückten Tierschädeln und Zauberkästchen sowie einer collagierten Kreuzfahrt-/Frachtschiff-/Holzboot-Arche auf dem Boden ergibt das eine Neo-Fantasievoodoo-Wunderkammer, in der stets die Apokalypse mitschwingt.
Einige Schritte weiter versperrt Claudia Wieser ihren Ausstellungsbesuchern dann doch noch die Sicht nach draußen, mit einem schwarzen, mehrfach gebrochen spiegelnden Quader, hinter dem sich eine Wand bemalter Kacheln wie aus einer imaginären Schwimmhalle der 1910er-Jahre auftut. Es ist dies – zusammen mit der nachfolgenden Malerei von Dominik Halmer, der seine Kollegin für die Ausstellung empfohlen hatte – die vielleicht rätselhafteste, sperrigste Arbeit dieser Ausstellung, obwohl oder gerade weil sie auf den ersten Blick so perfekt dekorativ daherkommt.
Mit langen Wandtexten hält sich "Die absurde Schönheit des Raumes" nicht auf, umso willkommener, dass in Dominik Halmers Installation gleich eine Monografie seiner eigenen Arbeit ausliegt. Hier kann man einige Lektionen in malerischer Konzeption nachlesen, die Halmer als Gegenmittel zum reinen Ausdruck setzt und die für ihn erst die Freiheit der Malerei jenseits tradierter Geschmacksgrenzen eröffnet. Umso genauer schaut man hin, wie und wo genau der Künstler ausgeschnittene Sperrholzwände und illusionistische Malfiguren, in denen selbst die Klebebänder nur aufgepinselt sind, an der Wand und in den Raum hineinragend platziert.
In den Ausstellungsraum "gebaute Bilder"
Wieder ganz und gar affirmativ-zugänglich wird es bei Dana Greiner, die wie alle hier ausstellenden Künstler nicht nur malt, sondern die ihre Malerei auch als Raumkunst inszeniert. Ihre Installation erinnert an kunterbunten Kink: Neon knallen die Farben ins Schummrige, manchmal scheinen die geometrischen Formen ihrer assemblagehaften Malereien eine Vagina oder eine S/M-Peitsche freizulegen, dazu läuft eine Sound- und Wortarbeit in sieben Akten.
Nur die harten Übergänge erinnern zwischendurch, dass man es hier vielleicht weniger mit einer Gruppenausstellung im klassischen Sinne denn mit einer gemeinsamen Präsentation sieben recht eigenwilliger Positionen zu tun hat. Von Greiners Schwarzlicht-Disko mit vielleicht auch nur einem kleinen Faible für Fetisch heraus katapultiert Jan Albers sein Publikum punktgenau in eine weitere Wunderkammer, die sich irgendwo in einem archäologischen Museum verorten ließe. Wie kostbare Ausgrabungen schimmern seine Kubenreihungen zwischen grau gestrichenen Wänden, dabei handelt es sich doch eigentlich bloß um Polystyrol, das sein magisches Leuchten einem Anstrich mit Neonorange verdankt. Andere der "gebauten Bilder", wie Albers seine Arbeiten nennt, sind aus angemaltem Beton gefertigt, aus Kunstharz gegossen oder aus Aluminium, mit seinem schön kaputten Silberglanz.
Franziska Reinbothe schließlich öffnet den Raum wörtlich. Ihre Acrylarbeiten auf Leinwand hängen nicht nur wie die Sportmatten überm Treppengeländer, das zum Innen-Lichthof zeigt, und rutschen scheinbar in andauerndem Schwebezustand gerade eben von der Ausstellungswand. Einige davon hat die Malerin außerdem zwischen den aufgeschlagenen Fenstern mit Blick in Richtung Binnenalster platziert, was man gleichwohl erst auf den zweiten Blick entdecken könnte. Der Trick funktioniert, auch dank der doppelten Fensterreihung, hervorragend. Und wer gerade den Ausblick der Kunst vorgezogen haben sollte, der wird von Reinbothe mit schelmischer Sicherheit wieder nach drinnen manövriert.
Kampf der Künstler gegen den (Ausstellungs-)Raum?
Fast schon zu gut behaupten sich schließlich Sol Caleros Environments: Ihre subtropischen Sehnsuchtsorte könnten überall aufgebaut sein, dominieren sie doch zuverlässig nahezu jede Ausstellungsfläche. Aber das macht die Filmset-artigen Installationen natürlich nicht weniger anziehend oder mit zunehmendem Aufenthalt auch dramatisch. Hier präsentiert die venezolanische Künstlerin unter anderem eine begehbare Wechselstube, in der die Hyperinflation schon lange Einzug gehalten hat. Alles ist billig und farben- und lebensfroh, das Dekor oft nur aufgemalt, selbst Vegas müsste im Vergleich wie eine Ausgeburt des Authentischen erscheinen.
Von hier aus könnte man noch eine zweite oder dritte Quadratsrunde durch die gar nicht so absurde Schönheit des Ausstellungsraumes drehen, der ja streng genommen tatsächlich nur ein einziger ist. Ob das nun wirklich der im Titel angekündigte Battle gegen die Architektur war oder eher freundliche Kollaboration, sei dahingestellt. Was sich kuratorisch fast schon ein bisschen "l’art-pour-l’art"-mäßig dünn las, das hat sich nicht zuletzt dank der ausgewählten Künstlerinnen und Künstler als ziemlich gelungene Angelegenheit herausgestellt: Was eine Freude, einmal wieder so eine rundum entkernte, großzügige Ausstellung anzuschauen! Und was ein Glück, dazu einen so kunst-generösen Raum wie diesen von Oswald Mathias Ungers auch künftig zur Verfügung zu wissen.