Im vergangenen Herbst startete der umtriebige Kunstsammler Tyrown Vincent das Kunstwochenende Frankfurt Art Experience – und zog auf Anhieb so viel Publikum an, dass es in diesem Jahr nahtlos weitergeht: Vom 3. bis 6. September steht Frankfurt am Main im Zeichen der Kunst.
Eine Messe wird dieses Jahr nicht stattfinden, dafür aber geben die Frankfurter Galerien zum Saisonstart ihr Bestes, und drum herum verspricht ein hochkarätiges Programm aus Talks und Führungen eine echte Kunsterfahrung – natürlich unter Beachtung der üblichen Hygieneregeln. Wir unternehmen vorab einen Rundgang durch die spannendsten Galerieausstellungen und geben die wichtigsten Infos für ein Kunstwochenende am Main.
Viel Kunst auf kurzer Strecke
Frankfurt lässt sich gut anhand von Kontrasten charakterisieren (Wolkenkratzer – sehr viel Grün, Banken und Börse – Apfelweingemütlichkeit). Aber wenn man sich auf eine Eigenschaft festlegen müsste, dann vielleicht auf diese: Frankfurt ist kompakt. Was dann natürlich alle erdenklichen Kontrastpaare gleich mit einschließt. So kann man zum großen Kunstwochenende Frankfurt Art Experience auch den Rundgang zum inzwischen 26. Saisonstart der Galerien in dieser kleinen Großstadt komplett zu Fuß oder mit dem Rad erledigen. Das sollten Sie nutzen – und diesmal vielleicht im Bahnhofsviertel starten, das nur einen Katzensprung vom Bermudadreieck Fahrgasse-Brauchbachstraße-Berliner Straße, Frankfurts Gegend mit der höchsten Galeriendichte, entfernt liegt.
Nebenbei unterhalten hier etliche Künstlerinnen und Künstler ihre Ateliers. Und was in der Ateliergemeinschaft Basis an verschiedenen Standorten entsteht, das findet nicht nur Einzug in die Galerien in und außerhalb von Frankfurt, sondern wird zusätzlich in einem eigenen Projektraum in der Elbestraße präsentiert.
Wenige Straßen weiter, in der Niddastraße 63, findet man mit Rundgænger sowie Schierke Seinecke gleich zwei Galerien unter einer Anschrift: Erstere zeigt zum Saisonstart Teil eins der Gruppenausstellung "Piece of Pen I", die im November fortgeführt wird. Sophia Domagala, Fabian Knöbl und Anna Gille wollen hier die Möglichkeiten zeichnerischer Ausdrucksweisen erproben und für die Vielseitigkeit von Papier als Bildträger sensibilisieren. Schierke Seinecke zeigt die energiegeladenen Gemälde der russischen Malerin Anna Nero, die ebenso poppig-bunt wie clever konstruiert daherkommen. "Etwas ist hier unter Strom geraten", beschreiben es die Galeristen treffend.
Einige Häuser weiter kann man in der Kai Middendorff Galerie neue Arbeiten des südafrikanischen Filmkünstlers Teboho Edkins anschauen, darunter einen Langfilm über Chinesen in Lesotho, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere gefeiert hat.
Auf dem Weg in Richtung Fahrgasse flaniert man nun an der derzeit einzigen ernst zu nehmenden Skyline Deutschlands vorbei und kann dabei auch noch einen Blick auf die von Otto Apel errichteten Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz werfen, deren architektonische Zukunft mehr als ungewiss ist. In der Berliner Straße zeigt PPC Philipp Pflug Contemporary eine neue Ausstellung mit Arbeiten von Stephen Suckale, der einst wie auch andere Künstler der Galerie an der nahe gelegenen Städelschule studiert hat.
Von hier aus geht es nun in die Fahrgasse, wo die Galerien dicht an dicht liegen wie nirgendwo sonst in der Stadt. Lohnenswert: ein Besuch in der Galerie Greulich, die den Saisonstart mit Philipp Kummers surrealistisch-popkulturell inspirierten, vielschichtig agierenden Malereien einläutet. Tropische Landschaften in Einmachgläsern, amorphe Blumensträuße und Fabelwesen zwischen Mensch und (Comic-)Tier gehörten bisher zum Repertoire des jungen Malers, von dem hier außerdem fantastische Skulpturen gezeigt werden. In die surreal anmutenden Raumwelten von Christian Hellmich, der seine Arbeit als modulare Malerei charakterisiert, kann man in der Galerie Leuenroth eintauchen. In der Galerie Rothamel warten die episch anmutenden Gemälde von Nguyen Xuan Huy darauf, Europa den Spiegel vorzuhalten, wie es hier heißt.
Wem jetzt zur Abwechslung der Sinn nach Fotografie steht, der sollte den Main überqueren und in der Galerie Peter Sillem vorbeischauen, wo Frank Mädler unter dem Motto "Lob und Landschaft" neue, großformatige Fotoarbeiten und keramische Skulpturen gemeinsam inszeniert. Fotografisches steht auch bei Jacky Strenz, wieder stadteinwärts in der Kurt-Schumacher-Straße, im Fokus: Die Galerie präsentiert die menschenleeren Raumfotografien von Lynne Cohen, einer der wichtigsten Vertreterinnen der konzeptuellen Dokumentarfotografie. Multimedial geht es bei Anita Beckers zu, die zum Saisonstart in einer Gruppenschau Dominika Bednarsky, Christopher Lehmpfuhl, Martin Spengler, Federico Solmi und Liat Yossifor eine Geschichte der Zivilisation erzählen lässt. Wenn Sie jetzt noch einen Abstecher in die Galerie von Heike Strelow einplanen, können Sie mit Ulf Puder einen der Pioniere der sogenannten Leipziger Schule (wieder-)entdecken.
Zurück in Richtung Innenstadt, zeigt die Filiale, Bärbel Grässlins Galerie für junge Positionen, eine Ausstellung rund um Robin Stretz’ Künstlerfilm "In Anticipation of a Night", in dem ein Voiceover zu aussortierten Google-Street-View-Ansichten über das Verschwinden von Stars sinniert. Von hier aus ist es dann auch nicht weit zu den Ausstellungsräumen der Galerie Bärbel Grässlin, die immer wieder früh das hatte, was später alle sehen wollten. Zum Saisonstart 2020 werden es neue, farben- und formenreiche Arbeiten von Imi Knoebel sein, die seine ultraminimalistischen Werke der Anfangsjahre beinahe vergessen lassen.
An dieser Stelle muss der Galerienrundgang noch lange nicht zu Ende sein: Einige Minuten Fußweg weiter in Richtung Innenstadt kann man in der Galerie Parisa Kind vorbeischauen, die in der Kaiserstraße Arbeiten von Hannes Michanek präsentieren wird. Im Mittelpunkt der dritten Einzelausstellung des in Frankfurt lebenden Künstlers steht ein monumentales Diptychon, in dessen figürlichen Darstellungen Sie umso mehr erkennen und entdecken werden, je gründlicher Sie hinschauen. Nach vielen Fotografien und Gemälden lohnt dann noch ein Besuch im Westend. Dort ist zum Beispiel die Galerie Hübner + Hübner zu Hause, die Arbeiten auf und mit Papier von Künstlern wie Xue Liu, Dieter Krieg oder Friederike Jokisch und vielen anderen zeigt. Und wer sich später oder zwischendurch noch auf die Suche nach etwas Essbarem macht, profitiert abermals von der vielleicht besten Eigenschaft der Stadt: Auch die Küchen der Welt sind hier ausgesprochen kompakt vertreten – von Äthiopisch oder Koreanisch über die berühmte "Frankfurter Grüne Soße" bis zur japanischen Kaiseki-Tradition ist alles zu finden.
Während der Frankfurt Art Experience (FAE) lässt sich noch eine andere fast vergessene Tatsache wiederentdecken: Frankfurt ist Fotostadt. Denn die Börse sowie die Banken sammelten im großen Stil Fotokunst. So zählt die Sammlung der DZ Bank zu einer der größten ihrer Art. Der Gedanke bei der Gründung in den 1990er-Jahren war, Kunst als internes Kommunikationsinstrument aufzugreifen und die Kunst in die Arbeitsumgebung zu integrieren.
Die Mitarbeiter entscheiden, welche Kunstwerke auf ihren Fluren gezeigt werden sollen. Inspiration sein, Dialog fördern: Das soll auch während der Frankfurt Art Experience geschehen. Die ehemalige Leiterin der Sammlung, Luminita Sabau, ist nun Teil des Kuratoriums für die Ausstellung "Time in Transition" zur FAE. Viele teilnehmende Galerien wie Peter Sillem oder Anita Beckers zeigen auch zum Galerienwochenende Fotokunst. Die Ausstellungen in den Galerien werden bleiben, doch in konzentrierter Form wird die Foto-Kompetenz von Frankfurt nur für drei Tage im Showroom LSTNRSpace zu sehen sein. Gekauft werden darf natürlich auch, um die große Sammeltradition von Fotokunst vielleicht im Kleinen fortzusetzen.
Das Kunstwochenende hat sich zudem die Aufgabe gestellt, ein jährliches Schlaglicht auf die Szene zu werfen. Und dazu zählt, Experten zu befragen. Das kommende Talkprogramm (Anmeldung erforderlich) ist dicht am Zeitgeschehen, wenn es sich über den Strukturwandel und den Umgang mit Krisen im Kunstmarkt austauscht. Und schreibt Geschichte, wenn eine Größe wie die Fotografin Barbara Klemm hier tatsächlich auf dem Podium sitzt. Ist die Grande Dame der Schwarz-Weiß-Fotografie – legendär sind ihre Aufnahmen für die "FAZ" – doch eigentlich sehr zurückhaltend. Außerdem gibt es leidenschaftliche Gespräche über das Sammeln, unter anderem moderiert von Monopol-Redakteurin Silke Hohmann. Doch der Kunstort Frankfurt wäre selbst mit seinen Persönlichkeiten nicht ausreichend repräsentiert, die Stadt selbst will erfahren werden. Dafür gibt es die Art Walks, die letztes Jahr schon als Führungen und Rundgänge durch die Galerien neue Perspektiven und Blicke hinter die Kulissen eröffnet haben.