Thomas J. Price (geb. 1981 in London) fertigt seit 2005 figurative Skulpturen an, in denen er sich häufig mit Darstellungen Schwarzer Menschen befasst. Um die Erwartungen und Annahmen der Betrachter herauszufordern, spielt er mit Material, Maßstab und Details. Für den Londoner Outdoor-Skulpturenweg "The Line" wurde am gestrigen Mittwoch eine neue überlebensgroße Skulptur des Künstlers enthüllt: "Reaching Out". Die Figur zeigt eine junge Schwarze Frau, die auf ein Handy in ihren Händen schaut.
Das Mobiltelefon, das die Aufmerksamkeit der Frau einnimmt, ist ein zentraler Aspekt des Werkes. Es sei ein Symbol für die komplizierte Beziehung, die wir mit der Technologie haben, erklärt Price auf Instagram: "Diese neue Arbeit … setzt ein Thema fort, bei dem es darum geht, Erfahrungen von Isolation und Verbundenheit auszubalancieren und gleichzeitig die verschiedenen Arten anzuerkennen, in denen Technologie unser Leben bestimmt."
Auf den ersten Blick besticht die anonyme Statue durch ihre Gewöhnlichkeit. Doch sie regt zum Nachdenken darüber an, was öffentliche Skulpturen darstellen sollten, und wieso und für wen wir Denkmäler errichten. Denn eigentlich ist die Figur gar nicht so gewöhnlich, sondern als öffentliches Monument erstaunlich selten.
Wie durch die Rassissmus-Debatten rund um "Black Lives Matter" in den Vordergrund gerückt wurde, gibt es in der öffentlichen Kunst einen bemerkenswerten Mangel an Repräsentation für POC (people of color). In ganz Großbritannien stehen neben "Reaching Out" öffentlich nur zwei andere Statuen, die Schwarze Frauen darstellen.
Gegenentwurf zur Norm
Monumentale 2,70 Meter ragt "Reaching Out" in die Höhe, und trotzdem wirkt sie Statue weder sonderlich triumphal noch ehrfurchtgebietend. Stattdessen ist sie ein ruhiger, selbstbewusster Gegenentwurf zu der klassisch-historischen Darstellung weißer Männer, die den öffentlichen Raum sonst dominiert. Soziale und ästhetische Hierarchien werden infrage gestellt, sowohl durch die Größe der Statue, als auch durch die Werte, die von ihr ins Zentrum gerückt werden: Alltägliches anstelle von Heroischem, Schwarze Weiblichkeit anstatt weißer Männlichkeit.
Londons stellvertretende Bürgermeisterin für Kultur und Kreativwirtschaft Justine Simons ist glücklich über den Neuzuwachs des öffentlichen Kunstspaziergangs: "Londons Stärke ist die Vielfalt, doch viele unserer Geschichten und Gemeinschaften spiegeln sich nicht im öffentlichen Raum wider. Thomas J. Price ist ein inspirierender Künstler, der sich regelmäßig mit diesen Themen der Repräsentation und Wahrnehmung in seinen Werken auseinandersetzt. Ich freue mich daher sehr, dass seine neue Skulptur in die Sammlung von 'The Line' aufgenommen wird." Um die Themen und Fragen in Prices Werk zu behandeln, sollen außerdem interaktive Schulworkshops auf der öffentlichen Spazierroute stattfinden, ergänzt durch digitale Lernressourcen.
"Reaching Out" wurde anlässlich des fünften Jubiläums von "The Line" in Auftrag gegeben und befindet sich in Three Mills Green, einem Teil des Lee Valley Regionalparks in der Nähe von Stratford. Die knapp 5 Kilometer lange, kostenlose Freiluft-Kunstgalerie wurde 2015 gegründet und folgt der Linie des Null-Meridians von Greenwich entlang einer Route durch die drei Londoner Berzirke Newham, Tower Hamlets und Greenwich. Derzeit sind Skulpturen von zehn Künstlern zu sehen, darunter Antony Gormley, Anish Kapoor, Joanna Rajkowska und Abigail Fallis.