In den vergangenen Wochen drehte sich die öffentliche Skulpturen-Debatte vor dem Hintergrund der weltweiten Anti-Rassismus-Proteste vor allem um das Abbauen von Denkmälern. Auch der britische Admiral Horatio Nelson (1758–1805), der für sein Land wichtige Siege auf See errang, geriet in den Fokus der "Black Lives Matter"-Bewegung. Nelson war ein ausdrücklicher Befürworter der Sklaverei und der britischen Beteiligung am Sklavenhandel. So gehört auch die 46 Meter hohe Nelson-Säule auf dem Londoner Trafalgar Square zu den Denkmälern, die manche Aktivistinnen und Aktivisten gern fallen sehen würden.
Nun bekommt der Platz vor der britischen National Gallery jedoch zuerst einmal zeitgenössischen Zuwachs, der das Narrativ des Trafalgar Square diversifizieren könnte. Auf der sogenannten "Fourth Plinth", einem leeren Sockel vor dem Eingang des Museums wird seit 1998 Gegenwartskunst gezeigt. Unter anderem haben bereits Elmgreen & Dragset, Yinka Shonibare, David Shrighley, Hans Haacke, Antony Gormley, Marc Quinn, Katharina Fritsch und zuletzt Michael Rakowitz den prominenten Steinquader für jeweils zwei Jahre bespielt. Die 13. Ausgabe der Freiluft-Ausstellung bestreitet nun die Künstlerin Heather Phillipson mit ihrem Werk "The End". Sie setzt dem "Fourth Plinth" ein neun Meter hohes und neun Tonnen schweres Sahnehäubchen auf. Auf dem kolossalen Creme-Wirbel thronen eine Kirsche, eine Fliege und .... noch eine Fliege? Nein, eine Drohne, die Filmmaterial ihrer Umgebung live ins Netz überträgt. Die Kunst schaut in diesem Fall zurück. Für Phillipson, die sich mit der Koexistenz verschiedener Spezies beschäftigt, ist die Skulptur eine Hommage an öffentliche Plätze als Orte des Genusses und des Zusammenseins. Gleichzeitig erinnert die Künstlerin jedoch an die Überwachung des öffentlichen Raums und den Kampf um Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger.
"Als ich 'The End' entworfen habe, wollte ich sowohl die politischen als auch die physischen Aspekte des Trafalgar Square und des Sockels berücksichtigen", sagt Heather Phillipson selbst. "Ich fühle mich geehrt, eine Arbeit für einen so zentralen öffentlichen Ort zu schaffen, und das Werk nun in seiner vollen Größe und im finalen Kontext zu sehen - eine Umgebung, in der die Architektur und ihre Bevölkerung an einer unproportionierten Landschaft teilhaben, in der das Banale und unsere Koexistenz mit anderen Lebensformen zu apokalyptischer Größe aufgeblasen wird."
Zum Werk, das wegen der Corona-Pandemie mit vier Monaten Verspätung enthüllt wurde, gehört auch die Audio-Arbeit "Volta", die online nachzuhören ist. In der Sound-Collage geht es um kosmische Störungen und die Verbindung zwischen den Lebewesen und Phänomenen dieses Universums. Der monströse Sahneklecks mit dystopischem Nachgeschmack wird bis zum Frühjahr 2022 zu sehen sein. Etwas Flüchtiges, das normalerweise schnell weggeleckt oder geschmolzen ist, verfestigt sich. Und wenn man im richtigen Winkel steht, sieht es aus, als könnte der Stiel der Kirsche Admiral Nelson von seiner Säule schubsen.