Okay, ich mach’ mal, was getan werden muss. Das, was sich keiner traut, obwohl es so dringend nötig ist: öffentlich gegen Gegenwartskunst sein. Nicht hinter vorgehaltener Hand, nicht pseudonym als „arthater76“ ins Forum gehackt, nicht heimlich ins Tagebuch geschrieben.
Ich stand also vor einer nachgebauten Theke eines Asia-Imbisses, installiert in der Sektion „Unlimited“ der Art Basel. Eine Winkekatze aus Reis auf dem Tresen, der Geruch von Räucherstäbchen in der Luft. Nachdem ich durch ein Loch in eine Art Kaninchenbau hineingeklettert war, schleuste mich die Ausstellungsarchitektur durch ein halbes Dutzend niedriger Nachbauten von Zimmern irgendwelcher Drogendealer, Psychopathen oder Killer. Alles war so authentisch, wie man es eben aus dem Kino kennt: verkleckerte Fußböden und Pin-ups an der Wand.
In der überzeugenden Simulation eines indischen Imbisses hörte ich plötzlich einen Besucher hinter mir „Amazing!“ sagen. Da legte sich bei mir der Schalter um. Ich dachte wie aus der Pistole geschossen: „Wieso? Sieht doch aus wie in jedem Bahnhofsviertel weltweit.“ Und: „Um das zu erleben, müssen Trottel wie der mit First-Choice-Karte in eine schlechte Installation reinkriechen.“ Und: „Wahrscheinlich 400 000 Dollar, mindestens, dann echt lieber Palak Pameer für 3,90.“ Und: „Das kann doch jeder nachbauen. Außerdem hat Christoph Büchel das schon viel früher viel besser getan, was macht eigentlich Büchel, warum ist der nicht hier?“
Das habe ich jetzt also alles geschrieben, damit es mal gesagt wurde. So etwas werde nämlich zu selten getan, heißt es. Alle fänden Kunst immer demonstrativ gut. Und zwar deshalb, weil jeder, der zum Beispiel zugibt, ein Werk nicht zu verstehen oder nicht zu mögen, Angst haben muss, dass man ihn für dumm hält. So steht es unter anderem auch in einem Buch, das am 23. August im Tropen-Verlag erscheint und „Kunst hassen“ heißt. Es wurde von einer klugen Frau verfasst, Nicole Zepter. Die Chefredakteurin des Magazins „The Germans“ hat dafür viele Museen besucht und Kuratoren interviewt. Ihre Beweisführung ist systematisch und stringent. Das Buch ist, wie auch der Untertitel verrät, Resultat einer „enttäuschten Liebe“: Hass, der versucht, mithilfe von Argumenten recht zu behalten.
Eine andere Methode, mit dem Unbehagen an diesem komplexen, komplizierten und codierten Betrieb umzugehen, wäre: gute Laune behalten und die Sache nicht persönlich nehmen, sondern einfach schön ignorant verallgemeinern. So wie es Wäis Kiani vor ein paar Jahren sehr lustig für die „Süddeutsche Zeitung“ formulierte: „Bekam ich früher eine Einladung, auf der ‚Vernissage‘ stand, habe ich gekreischt wie beim Anblick eines Skorpions und sie weggeworfen. Heute muss ich alles genau durchlesen. Es könnte sich um die Geburtstagsparty eines Freundes handeln, der Urlaubsbilder zeigt.“
Ist es also ein Zeichen von Mut und von Schläue, wenn man auf Gegenwartskunst schimpft? Ich habe es ausprobiert, und ich muss sagen, es fühlt sich überaus unangenehm an. Es hat nichts von einem Befreiungsschlag, es liegt kein Funken Triumph oder auch nur Erleichterung darin. Das Unangenehme ist nämlich: Es hört sich in etwa so an, wie reaktionäre Zeitungen von pseudodemokratischen Staaten klingen, wenn sie Artikel über Kunst in Auftrag geben. Zum Verwechseln jenen Museumsbesuchern ähnlich, die angesichts eines Feuerlöschers ihrer Begleitung in die Seite knuffen und fragen, von wem das Werk wohl sei. Es klingt im Grunde grauenhaft, borniert, böse. Und zwar umso mehr, je weniger „dumm“ es sich anhört.
Die Wut auf Kunst aus Liebe zur Kunst scheint wohl eher ein Affekt zu sein, der sich auf die Kunstwelt bezieht, deren Mythen dabei voll Abscheu und Faszination zugleich am Leben gehalten werden. Etwa von Nachrichtenmagazinen, die sie immer noch als eine amoralische Gesellschaftsnische schildern, gesteuert von bösen reichen Männern mit hässlichen Gesichtern und operierten Frauen.
Vielleicht gibt es die sogar, aber diese Kunstwelt ist immerhin der Schutzraum, in dem es – im Gegensatz zur restlichen Welt – sich nicht gehört, auf Kunst draufzuhauen. Es von innen heraus aus Verzweiflung tun? Klingt nicht gut. Vergessen wir nicht, dass wir in einer Gegenwart leben, in der ein honoriger Künstler und Professor wie Hermann Nitsch angefeindet wird, weil er das Schlachten eines Tieres veranlasst.
Die Arbeit von Jonah Freeman und Justin Lowe auf der Art Basel war übrigens tatsächlich nicht besonders gut und ein ziemlicher Erfolg, das müsste man mal aufschreiben. Aber das hieße dann Kunstkritik.
Lesen Sie zum Thema auch die Besprechung von Erwin Wurms "Wortskulptur", eine Abrechnung mit dem Kunstbetrieb