"Der Künstler Erwin Wurm würde dem russischen Milliardär Roman Abramowitsch gern ins Gesicht treten." Mit dieser waghalsigen Behauptung beginnt in der "Spiegel"-Ausgabe der vergangenen Woche ein dreiseitiger Vorbericht zu der Aufführung eines Wurm-Stücks in Salzburg. Offenbar fällt es vielen Menschen immer schwerer, zwischen Rolle, Autor und Performer zu unterscheiden. Das kann man zurzeit auch am Gerichtsverfahren gegen Jonathan Meese beobachten, dem die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen wird: In dem Prozess wird darüber verhandelt, ob er den strittigen Auftritt als manischer Künstler, als manischer Darsteller eines Künstlers oder doch nur als ein Darsteller eines manischen Künstlers absolvierte. Und das alles, ohne kunsttheoretische Argumente zuzulassen.
Durch Manie ist der Österreicher Erwin Wurm, der mit der "Wortskulptur" seinen ersten dramatischen Text veröffentlicht, bislang nicht aufgefallen, eher durch zwar manchmal derbe, meist aber feinsinnige Kunst, die augenzwinkernd mit dem Publikum flirtet: Er animierte Museumsbesucher sich Döschen und Dosen, Stifte und Stöcke in Nase, Ohren und Augenhöhlen zu stecken, sich auf Apfelsinen zu legen, Eimer über den Kopf zu stülpen und irgendetwas zwischen sich und der Wand oder den Körper eines Freundes zu klemmen. Dann Luft anhalten, erstarren, eins, zwei, drei – fertig ist die Minutenskulptur. Der 1954 Geborene jonglierte schon Anfang der 90er-Jahre mit dem Skulpturenbegriff, stellte Sockel aus, auf denen nur eine dicke Staubschicht lag, und zwängte seine Modelle verrenkt in Kleider. Mit seinen "One Minute-", "Outdoor-" und "Indoor-Sculptures" wurde Wurm dann ein Volkskünstler, und das im besten Sinne. Man findet seine fettsüchtgen Autos und Häuser und seine slapstickartig umfunktionierten Möbelstücke lustig. Und dieser Mann will Roman Abramowitsch ins Gesicht schlagen?
Abramowitsch, "dieser Oligarch – der reichste, die reichsten, die geschmacklosesten, die peinlichsten, die mit den schlechtesten Manieren", schreibt Wurm in seiner Textvorlage für die "Wortskulptur", "die mit dem Nur-Geld-Macht-Die-Welt-Blödgesicht. Die mit dem Ich-Kauf-Mir-Alles-Auch-Dich-Gesicht – in diese Gesichter, diese Arschgesichter würde ich gerne treten, so richtig. So richtig, dass ihnen das Arschgesicht adäquat zu seinem Blödmannschädel passend gemacht scheint."
In Salzburg, bei der Aufführung der "Wortskulptur" vergangenen Donnerstag in der Halle der Galerie Ropac, die ihren dreißigsten Geburtstag feiert, sagt Wurm das nicht selbst: Der Text wird von den Schauspielern Anna Hofmann, Nicholas Ofczarek und Oliver Masucci gesprochen, inszeniert hat das Ganze der Intendant des Burgtheaters, Matthias Hartmann. Da wirken diese Sätze natürlich nicht mehr wie eine persönliche Drohung. Und doch sind sie eine Zuspitzung, auf die diese Suada, die Wurm auf Flugzeugreisen geschrieben haben will, hinausläuft: Die „Wortskulptur“ ist mit viel Hass geknetet, Hass auf den Markt, die Sammler, die Rankings, auf Österreich, aber auch Selbst- und Kollegenhass.
Diese tiradenförmige Weltwut erinnert natürlich sofort an Thomas Bernhard – schließlich sind wir in Österreich. Und sie tut dem Wurm-Werk gut, lässt es klarer erscheinen. Seine "One Minute Sculptures" sind, ja, humorvoll. Ihnen Dornen zu verleihen, ist eine gute Idee. Alle kriegen etwas ab, besonders die Kollegen aus der Heimat: "Hermann Nitsch als einer der wesentlichen Verdauungskünstler der 2. Republik, als sprechende Skulptur. Als gehende, als verdauende, als furzende Skulptur." Herbert Brandl: ein lebensfeindlicher Virtuose. Der vergangenes Jahr gestorbene Franz West, bekanntlich Wurm-Freund: "Schwarzgeldmillionär, ein unguter Zustand – daher sein Wille zur Vernichtung seines Schwarzgeldberges" - durch Weintrinken.
Jeder kriegt etwas ab, und so wirkt der Wortschwall, der noch zweimal am Wochenende aufgeführt wurde, im Ganzen auch ganz harmonisch: Alles ist eben scheiße und deshalb in Balance. Allerdings hätte Wurm das Stück etwas kürzer machen können: Auf anderthalb Stunden schleifen sich die Spitzen ab. Und dann verliert der Künstler immer wieder gänzlich den ohnehin losen Faden, lässt etwa minutenlang ein zugegebenermaßen sofort einleuchtendes Loblied auf die Mode erklingen. Dadurch erhält das Stück eine geschwätzige Note.
Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um Inhalte, sondern eher um die Behauptung, dass hier eine Skulptur gezeigt wird und nicht etwas ein Theaterstück. Einmal verharren die Schauspieler mitten im Satz, wie um zu zeigen: Eine Skulptur ist doch etwas Unbewegliches. Die Akteure spielen auf einer Bühne, aber es könnte eben auch ein ziemlich breiter Sockel sein. Allein über solche Fragen lässt sich gut nachdenken. Dann bekommen einige Zuschauer - Sammler, Kuratoren, Künstler, Kritiker - eine Gurke in die Hand und müssen als Minutenskulptur in erhabener Skurrilität erstarren. Eine Kunstwelt, die so etwas zulässt, kann nicht so verdorben sein.