Beerdigungs-Performance

Unter die Erde, Weißer Mann!

Der Schriftsteller Ingo Niermann und der Künstler Erik Niedling erklären die Vorherrschaft des Weißen Mannes für beendet und tragen ihn mit Kunst und Ritualen zu Grabe. Ein Gespräch über Abschied, Symbolik und Realität  


Ingo Niermann, Erik Niedling, Sie haben den Weißen Mann beerdigt. Welchen Hintergrund hatte die Aktion?  

Wir, 1969 und 1973 geboren, gehören zur letzten Generation Weißer Männer, die unter deren massiver Vorherrschaft aufgewachsen ist – Erik im sozialistischen Ost- und Ingo im kapitalistischen Westdeutschland. Beide Systeme haben sich in dieser Hinsicht wenig geschenkt. Unsere Generation hat sehr an ihrem Bedeutungsverlust – gegenüber Frauen, anderen Ethnien und dem gesamten Ökosystem – zu knapsen, und nimmt jede politische Krise zum Anlass, das Überleben des Weißen Mannes zu beschwören. Das finden wir öde, gefährlich und traurig. Stattdessen feiern wir einmal jährlich im Mai auf dem Kleinen Gleichberg in Thüringen seine Bestattung. Zunächst ist das vor allem ein symbolisches Ereignis, aber Jahr für Jahr gewinnt es an Realität. Dieses Jahr haben wir dem Künstler Jeronim Horvat vorgeschlagen, auf dem Berg eine Gruppenausstellung zu kuratieren. Jeronim hat Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Dänemark, Österreich, Frankreich, Tschechien, den USA und der Schweiz eingeladen, Rucksäcke für einen reibungslosen Übergang in eine Welt ohne Weißen Mann zu packen, was sich wiederum auf ein frühes Gedankenexperiment von uns beiden bezieht, von dem Erik in seiner Autofiktion "Burial of the White Man" berichtet.

Warum in Thüringen?

Erik ist dort geboren, das Autobahnnetz ist gut ausgebaut, die Landschaft rührt unser Herz und der Rechtsextremismus bedrückt es. Schon 2012 hat Erik den Kleinen Gleichberg ausgewählt, um dort den Pyramidenberg zu realisieren. Dabei handelt es sich um eine von Ingo während der Dreharbeiten zu unserem Film "The Future of Art" (2010) konzipierte 200 Meter hohe Grabpyramide, die aus einem existierenden Berg herausgeschlagen wird und nach ihrer Fertigstellung wieder unter dem zuvor abgetragenen Material verschwindet. Im Anschluss an die Dreharbeiten hat Ingo die Idee des Pyramidenbergs Erik übereignet, um in deren Grabkammer sich und sein künftiges Opus Magnum "The Chamber" zu verwahren. Er trägt auf die Weise sein persönliches Streben nach Unsterblichkeit zu Grabe, aber auch das des Weißen Mannes überhaupt. Ob Kriege, Raffgier oder Kunst – immer geht es darum, als Substitut für das eigene Verschwinden eine ungleich größere – anderes Leben und Tun vernichtende – Markierung zu setzen.

Ich finde Abschaffungs-Phantasien oder -Symboliken immer etwas unangenehm, verstehen Sie das?

Das können wir sehr gut verstehen, denn Weiße Männer sind die größten Abschaffer auf Erden. Keine andere Gattung, beziehungsweise menschliche Subgattung hat mehr Vernichtung auf dem Gewissen, und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Weißen Männer auch selbst abschaffen. Wahrscheinlich nicht ganz und gar. Solange es Menschen oder menschenähnliche Wesen gibt, wird es in diesen sicherlich noch genetische Spuren Weißer Männer geben – so wie es in uns heute noch Spuren der Neandertaler gibt. Das ist auch überhaupt nicht schlimm. Wir wünschen uns die Überwindung des Weißen Mannes als Typus – inklusive des farbenblinden, aber eben doch vom Typus Weißer Mann her gedachten Typus Mensch. Seine Selbstabschaffung wäre seine letzte, wahrhaft große Tat. Zu einer anderen ist er nicht mehr zu gebrauchen.

Ist jetzt, wo er zu Grabe getragen ist, alles, was von Weißen Männern kommt, per se verdächtig? 

Nicht erst jetzt! Und natürlich ist unser burial von diesem Generalverdacht nicht ausgeschlossen. Manche finden, es sei zu viel Ehr – der Weiße Mann habe das nicht verdient. Aber wir finden, dass man nur überwinden kann, was man gebührend verabschiedet. Man sollte auch nicht übersehen, dass wir den Weißen Mann in einer Pyramide (keine Erfindung des Weißen Mannes!) bestatten möchten, die gleich darauf wieder unter einer sorgfältigen Rekonstruktion des Kleinen Gleichbergs verschwindet. Der Pyramidenberg ist nicht als eine Gedenkstätte konzipiert. Es geht uns allein darum, den Übergang in die Zeit nach dem Weißen Mann rituell zu vollziehen.

Wo sehen Sie sich selbst in dieser ganzen Frage?

Zur Überwindung des Weißen Mannes so gut wir können beizutragen und diese so inklusiv wie möglich zu gestalten. Jede, jeder und jedes mag schauen, wie viel Weißer Mann in ihr oder ihm steckt. Jede, jeder und jedes mag uns beim jedem Fortschritt, den wir in unserer Selbstüberwindung als Weißer Mann zu erlangen glauben, immer wieder auf unser grundsätzliches oder ganz konkretes Scheitern hinweisen.

An der Aktion waren folgende Künstlerinnen und Künstler beteiligt: Vela Arbutina, Marie Matusz & Cassidy Toner, Maya Hottarek, Anna Walther, Paul Otis Wiesner, Johanna Blank, Bob Schatzi Hausmann, Tobi Keck, Nellie Lindquist, Anica Kehr, Julius Pristauz, Ernestyna Orlowska, KOTZ (Don Elektro, Marian Luft and Salvador Marino), Lotte Meret Effinger, Ronny Szillo, Lucie Freynhagen, Matyáš Maláč & Julius Reichel, Jiajia Zhang, Cyril Hübscher