Raffaello Sanzio da Urbino liegt seit Tagen mit Fieber zu Hause. Es ist kurz vor Ostern, doch der 37-jährige päpstliche Hofmaler wird die Festtage nicht mehr erleben. In der Nacht des 6. April 1520, dem Karfreitag, geschieht, was kaum jemand in Rom für vorstellbar hielt: Raffael, einer der größten Künstler seiner Zeit, stirbt. Der gut aussehende Mann habe sich die tödliche Infektionskrankheit durch seinen Hang zu Vergnügungen zugezogen - so wird es der Kunsthistoriker Giorgio Vasari wenige Jahrzehnte später in einer Biografie schreiben.
Heute wird dieser Zusammenhang zwischen einem ausschweifenden Sexleben und dem Tod Raffaels von Experten ins Reich der Legende verwiesen. Dafür betonen manche zum 500. Todestag die Aktualität des Genies der Hochrenaissance: Er war ein Jungstar, der schon als Teenager Fans und Förderer hatte. Ein Unternehmertyp, der seine Werkstatt fast wie ein Start-up führte. Ein kluger Kopf, der Bankiers, Geistliche und Frauen für sich einnahm. Und ein Denkmalschützer, der die antiken Schätze Roms vor dem Verfall bewahren wollte.
Dreigestirn der Wiedergeburt
Mit Leonardo da Vinci (1452-1519) und Michelangelo (1475-1564) bildete Raffael eine Art Dreigestirn der Renaissance. In dieser Epoche der "Wiedergeburt" entdeckten die Menschen Werke und Wissen der Antike neu. Von Italien aus eroberte dieses Denken andere Regionen Europas.
Besonders bekannt ist Raffael für seine Madonnen-Bilder. 1483 in Urbino in den Marken als Künstlersohn geboren, entdeckt er früh den Reiz von Marien-Darstellungen. Außer seinem Vater, der stirbt, als Raffael noch ein Junge ist, gilt auch Pietro Perugino als Vorbild. Perugino führt Werkstätten in Perugia und in Florenz. Das junge Talent geht bei dem Meister in die Lehre und wächst über ihn hinaus.
Eine Frau hält ihr Baby mit sanften Händen an Po und Rücken fest. Der Kopf der Mutter, das blonde Haar von blauem Tuch bedeckt, legt sich lächelnd an die Wange des Kindes. Die "Madonna mit Kind/Madonna Tempi" von 1507/08 (Alte Pinakothek/München) ist ein Beispiel, wie der Maler Natürlichkeit mit idealisiertem Gefühl und überhöhter Schönheit verbindet.
Natürlichkeit und Idealisierung
Anfangs orientiert er sich etwas steif an seinen Lehrern, an bewährten Gesichtstypen und Posen. Später sucht Raffael lustbetonter und mutiger seinen eigenen Weg. Er malt eine mutmaßliche Geliebte als Bäckerstochter ("La Fornarina") und die Heldenfiguren antiker Mythen. Doch am Idealbild der Schönheit hält der Mann aus den Marken fest. "Er gilt als Höhepunkt der Hochrenaissance für die Harmonie und Schönheit, die er in seinen Kompositionen erreicht", erläutert der Kunsthistoriker Professor Michael Rohlmann, der an der Bergischen Universität Wuppertal und in Köln tätig ist. Oder, wie es oft heißt, als Maler der Seelenstimmungen.
"Es gibt eine enorme Entwicklung in seinem Werk von den Anfängen in Umbrien, die anmutig, zart und höfisch kultiviert waren, bis zu seiner römischen Zeit. Da war seine Kunst viel bewegter, dramatischer, rhetorischer, erzählender", beschreibt Rohlmann.
Baumeister für den Petersdom
Nach seiner Lehrphase in Florenz ruft ihn Papst Julius II. 1508/09 nach Rom. Der Pontifex beauftragt Raffael mit der Gestaltung der päpstlichen Privaträume, der "Stanzen". Auch als Architekt ist Raffael gefragt. Ab 1514 leitet er als Baumeister die Arbeiten am Petersdom. Raffael übernimmt zudem Großaufträge von anderen finanzstarken Persönlichkeiten. So ist er an der Gestaltung der Villa Farnesina am Tiber-Ufer für einen toskanischen Bankier beteiligt.
Er entwirft Motive für Wandteppiche des Vatikans. Überliefert ist sein Einsatz für den Erhalt antiker Stätten in Rom. Er ist archäologisch unterwegs, zeichnet Gebäude und Stadtpläne. Um dafür noch mehr zu Rückhalt zu bekommen, schreibt er kurz vor seinem Tod an Papst Leo X. einen Brief.
Letzte Ruhe im Pantheon
Uffizien-Direktor Eike Schmidt entdeckt nicht nur in Raffaels Kunst, sondern auch in seinem Geschäftssinn Bezüge zum Heute. Er habe den Kreativen in seiner Werkstatt viel Freiheit gelassen - fast wie bei "Start-up-Unternehmen", sagt er. Der Jungstar nutzt das Team, um sein Werk zu popularisieren. Dazu dient ihm die Druckgrafik. Er lässt, wie Historiker berichten, Gemälde und Fresken von einem befreundeten Kupferstecher reproduzieren. So kann, was sonst an Wand oder Decke nur für wenige zu genießen ist, breiter verkauft werden.
Nach seinem überraschenden Tod wird der Ausnahmekünstler in einem ehemaligen Tempel aus der Antike, die er so liebte, im Pantheon, beigesetzt. Italien wollte Raffael eigentlich das ganze Jahr mit mehreren Schauen ehren. Die Mega-Ausstellung im Museum Scuderie del Quirinale musste wegen der Corona-Welle jedoch kurz nach der Eröffnung im März wieder schließen.