Berlinale-Eröffnungsfilm

Der Feelgood-Start

Die Berlinale eröffnete ihre 70. Ausgabe mit "My Salinger Year", einem Film über eine junge Autorin, bei der die Post für den scheuen Schriftstellerstar J.D. Salinger aufläuft. Dieser Auftakt ist ein wenig seicht - und lässt viel Luft nach oben für den Wettbewerb 

Nur schlechte Romane sind verfilmbar, hat Hitchcock sinngemäß gesagt. Vielleicht trifft das nicht auf alle Romane zu, aber man kann sich wirklich nicht vorstellen, dass J. D. Salingers berühmter "Fänger im Roggen" einen guten Film abgäbe. Billy Wilder wollte einen machen, Jerry Lewis oder John Cusack wollten Salingers Antihelden Holden Caulfield spielen, aber es kam nie dazu.

Der 2010 verstorbene Salinger selbst stand einer Filmadaption ziemlich skeptisch gegenüber. Vor allem aber scheute der 2010 verstorbene Schriftsteller das Licht der Öffentlichkeit. Entsprechend tritt er als Titelfigur des Berlinale-Eröffnungsfilms "My Salinger Year" auch kaum in Erscheinung, sein Gesicht sieht man nie. Philippe Falardeaus Film dreht sich um Joanna Rakoff, die sich in ihrem gleichnamigen autobiografischen Roman an ihren Assistentinnen-Job in einer New Yorker Agentur erinnert, die Literatur an Verlage und Zeitschriften weitervermittelt.

Die junge Joanna (Margaret Qualley) will um 1995 Schriftstellerin werden, aber das erzählt sie ihrer kaltschnäuzigen Chefin Margaret (Sigourney Weaver) lieber nicht. Joannas Aufgabe besteht darin, Fanpost für Margarets wichtigsten Autor J. D. Salinger durchzulesen, knapp mit "Sorry, Mr Salinger möchte keine Post" zu beantworten und dann in den Schredder zu schieben. Tut sie aber nicht, sondern fängt irgendwann damit an, den teilweise anrührenden Briefschreibern mit Empathie und unter ihrem eigenen Namen zu antworten. Auch mit Salinger himself hat sie Telefonkontakt. So erfährt der berühmte Schriftsteller, was Joannas Umfeld nicht weiß: dass sie selber dichterische Ambitionen hegt, und er ermuntert sie dazu: "Schreiben Sie wenigstens 15 Minuten jeden Tag. Sie sind eine Poetin!"

Das Gefühl, diesen Film schonmal gesehen zu haben

"My Salinger Year" ist leichthändig und mit viel Gefühl fürs Zeitkolorit inszeniert. Es gibt einige witzige Verweise auf Computertechnik, mit der vor allem die altmodische Chefin fremdelt. Die Ära der Schreibmaschine ist noch nicht zuende. Über politische Hintergründe, der Film spielt während Bill Clintons erster Amtszeit, erfährt man nichts, als wäre der Literaturbetrieb eine Blase für sich. Private Probleme hat Joanna auch nicht wirklich, sie scheint blauäugig durch den Film zu tanzen, größere Hindernisse liegen nicht auf ihrem Weg zum Erfolg.

Sowas wünscht sich jeder Mensch – aber nicht im Kino. Hinzu kommt, dass man von Anfang an das Gefühl hat, diesen Film mit einer unnahbaren Besserwisser-Vorgesetzten und einer kleinen Angestellten schon einmal gesehen zu haben. Richtig: "Der Teufel trägt Prada" wies eine ähnliche Konstellation auf. Wobei Meryl Streeps Anna-Wintour-Show unterhaltsamer war als Sigourney Weavers (an sich überzeugende) Darstellung, und Margaret Qualley als Joanna vom Typ her Anne Hathaway arg ähnelt. Qualley trägt zudem meistens eine Spur zu dick auf, was den Feelgood-Quotienten des Films in die Höhe treibt.

Ein unterdurchschnittlicher Eröffnungsfilm ist "My Salinger Year" aber nun auch wieder nicht. Vielleicht tut Carlo Chatrian, der neue künstlerische Berlinale-Leiter ja gut daran, sein Pulver nicht zu schnell zu verschießen. "My Salinger Year" ist nicht Teil der Wettbewerbs-Sektion, kommt also nicht für einen der Bären in Frage. Am Freitag laufen die ersten zwei von 18 Wettbewerbsfilmen, "El Prófugo" von Natalia Meta und "Volevo Nascondermi" von Giorgio Diritti. Das Bärenrennen ist eröffnet.