Diese Oscars bieten gleich mehrere Sensationen: Die südkoreanische Satire "Parasite" gewinnt die höchste Auszeichnung als bester Film - und schreibt damit Geschichte. Denn nie zuvor ging Hollywoods begehrtester Preis an einen Film, der nicht auf Englisch gedreht wurde. Darüber hinaus katapultiert sich Regisseur Bong Joon Ho mit einem Schlag in die Kino-Elite, nimmt er an diesem Abend doch gleich vier Oscars mit nach Hause. Das gelang in der über 90-jährigen Geschichte bisher nur Walt Disney im Jahr 1954. Und noch ein Superlativ: "Parasite" wurde in der Nacht zu Montag auch mit dem Auslands-Oscar geehrt. Nie zuvor bekam ein Werk die Trophäen für den besten Film und den besten nicht-englischsprachigen Beitrag.
Mit einem Schlag verstummten so auch viele der Kritiker, die zuvor bemängelt hatten, dass bei den Oscars vor allem weiße, ältere Männer nominiert waren. Stattdessen triumphierte nun ein Film mit hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern aus Asien. Zugleich erzählt "Parasite" eine universell gültige Geschichte über Klassenunterschiede: Im Zentrum steht eine Familie aus ärmlichen Verhältnissen, die sich geschickt in das Leben einer reichen Familie einnistet. Auf sehr unterhaltsame Weise und mit viel schwarzem Humor prangert Bong Joon Ho, der auch für das beste Original-Drehbuch ausgezeichnet wurde, so soziale Ungerechtigkeiten an und legt einen elegant inszenierten Alptraum vor.
Der Regisseur hielt sich im Hintergrund
"Ich wünsche mir eine Kettensäge, um den Oscar zu zerschneiden und mit euch zu teilen", rief der 50-jährige Bong Joon Ho nach seinem Gewinn des Regie-Oscars seinen Mitnominierten wie Martin Scorsese und Quentin Tarantino zu. Er werde bis zum nächsten Morgen trinken, versicherte der Regisseur von Werken wie dem Fantasy-Drama "Snowpiercer" und der Netflix-Produktion "Okja" in Feierlaune - war im Moment seines größten Triumphes dann aber sprachlos. Denn als er nach Verkündung des Haupt-Oscars auf der Bühne stand, überließ er das Mikrofon anderen Mitgliedern seines Teams und hielt sich still im Hintergrund.
In Südkorea löste der Triumph Begeisterung aus. Staatspräsident Moon Jae In erklärte, er sei stolz auf Bong, die Schauspieler und das Team: "Ich bin ihnen besonders dankbar, weil sie unseren Landsleuten Stolz und Mut eingeflößt haben, während wir zusammenstehen, um Probleme zu überwinden."
Nach den drei Oscars für das mexikanische Drama "Roma" im vergangenen Jahr könnte der Gewinn von "Parasite" eine zaghafte Kehrtwende in Hollywood bedeuten, bei dem der Fokus nicht mehr ausschließlich auf dem US-Kino liegt. In diesem Jahr aber ließ der Erfolg von "Parasite" erst einmal die Niederlage anderer Favoriten fast vergessen: Das Kriegsdrama "1917" des Briten Sam Mendes ging mit zehn Nominierungen ins Rennen, konnte dann lediglich drei Nebenkategorien für sich entscheiden. Der große Verlierer dieser Verleihung aber war Martin Scorsese mit seinem Mafia-Epos "The Irishman". Zehn Mal war die Netflix-Produktion nominiert - und ging am Ende völlig leer aus.
Oscar für die Kinder
Für andere Hollywood-Stars dagegen ging an diesem Abend ein Traum in Erfüllung. Brad Pitt nahm seinen ersten Schauspiel-Oscar entgegen: für seine Nebenrolle in Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood". Unter Tränen erinnerte sich der 56-Jährige an seine Anfänge in Hollywood und widmete den Preis seinen Kindern. Renée Zellweger gewann für ihre Rolle der Judy Garland in "Judy" wie erwartet die Auszeichnung als beste Schauspielerin, und Laura Dern wurde für ihre Darstellung einer knallharten Scheidungsanwältin in "Marriage Story" als beste Nebendarstellerin geehrt - am Abend vor ihrem 53. Geburtstag. "Das ist das beste Geburtstagsgeschenk aller Zeiten", jubelte sie.
Auch Joaquin Phoenix durfte endlich auf die Oscar-Bühne. Nach "Gladiator", "Walk The Line" und "The Master" klappte es nun im vierten Anlauf und der 45-Jährige holte sich seinen ersten Oscar. Den hatte er sich mit seinem intensiven Spiel als späterer Batman-Gegenspieler im düsteren Thriller "Joker" auch völlig verdient. Seine Dankesrede nutzte Phoenix für einen flammenden Appell für Naturschutz und gegen Ungerechtigkeiten. "Ich glaube, wir sind dann am besten, wenn wir uns gegenseitig unterstützen."
Was fehlt? Vaginas
Auch andere Stars wählten das Rampenlicht für ihre Botschaften. In einer Eröffnungssequenz teilten vor allem Steve Martin und Chris Rock gegen die Oscar-Akademie aus. Die habe sich in über 90 Jahren enorm gewandelt, stichelten sie. 1929 habe es keinen einzigen Schwarzen unter den nominierten Schauspielern gegeben. Heute immerhin eine. Es gäbe auch so viele tolle nominierte Regisseure, sinnierte Rock. "Ich weiß nicht, Chris, ich fand, dass da etwas auf der Liste fehlte", sagte Martin in Anspielung darauf, dass nicht eine einzige Regisseurin nominiert war - worauf Rock frech entgegnete: "Vaginas?".
Musik gab es bei der Verleihung natürlich auch. Rockstar Elton John und sein Liedtexter Bernie Taupin wurden für den besten Filmsong ausgezeichnet: "(I'm Gonna) Love Me Again" aus dem Biopic "Rocketman". Die beste Filmmusik lieferte nach Meinung der US-Filmakademie die Isländerin Hildur Gudnadóttir für "Joker" ab. Für einen bewegenden Moment während der Gala sorgte die 18-jährige US-Sängerin Billie Eilish, die den Beatles-Klassiker "Yesterday" für die seit der letzten Gala gestorbenen Größen der Filmbranche wie Kirk Douglas und Doris Day sang. Auch des tödlich verunglückten Basketball-Superstars und Oscar-Gewinners Kobe Bryant wurde gedacht.
Oscar für Projekt der Obamas
Die Trophäe für den besten Animationsfilm ging an den vierten "Toy Story"-Film "Alles hört auf kein Kommando" von Josh Cooley. Für das beste adaptierte Drehbuch wurde der Neuseeländer Taika Waititi mit seiner Nazi-Satire "Jojo Rabbit" geehrt. Den Oscar für das beste Kostümdesign erhielt Greta Gerwigs Romanverfilmung "Little Women". In der Sparte Make-up/Frisur wurde das Drama "Bombshell - Das Ende des Schweigens" ausgezeichnet.
In der Kategorie Dokumentation gewann der Film "American Factory". Die Doku erzählt von den Menschen in einer Fabrik im US-Bundesstaat Ohio. Es ist das erste Werk, das von der Produktionsfirma von Barack und Michelle Obama unterstützt wurde. Beide gratulierten den Filmemachern für ihre "bewegende Geschichte" per Twitter. Die einzige deutsche Oscar-Hoffnung - die vom SWR koproduzierte Dokumentation "The Cave" über ein unterirdisches Krankenhaus in Syrien - ging damit leer aus.