Die amerikanische Streetwear-Marke Supreme hat einen Kultstatus erreicht, von dem heute alle Modelabels träumen. In einem Modezeitalter, in dem der Wert von Produkten mehr denn je durch Aura, Konnotation und sozialen Zugehörigkeitscodes erzeugt wird, ruft Supreme Begehrlichkeiten hervor, die ein beeindruckendes Ausmaß annehmen. Supreme könnte sein Logo auf Backsteine klatschen und Menschen würden Schlange stehen, um sie zu kaufen. Und um das unter Beweis zu stellen, klatschte Supreme sein Logo 2016 auf Backsteine, für die hunderte Menschen Schlange standen und die online aktuell für das Sechsfache ihres Ursprungspreises von 30 Euro gehandelt werden.
James Jebbia, der Supreme 1994 gründete, ist ein Meister der künstlichen Verknappung. Supreme veröffentlicht seine Kollektionen häppchenweise. Jeden Donnerstag gibt es in den wenigen, auf die Streetwear-Metropolen der Welt verteilten Stores ein kleines Kontingent an neuen Teilen zu kaufen. Die Fans und Reseller, die sich anlässlich der Supreme-"Drops" geduldig anstellen, liefern mit ihrer körperlichen Präsenz Woche um Woche den Beweis für die Attraktivität des Labels. Auch im kürzlich bei Phaidon erschienenen Supreme-Bildband werden die Hypes, die das Label auszulösen vermag, zur Schau gestellt. So informiert beispielsweise ein abfotografiertes Schild darüber, dass die New Yorker Polizei den Drop des Nike x Supreme Foamposite-Sneakers zum Schutz der öffentlichen Sicherheit absagen musste. Die aufdringlich ornamentalen Sneaker werden heute online für rund 2.000 Euro weiterverkauft.
Vom Urheberrechtsstreit zur Kollaboration
Nicht nur aufgrund ihrer Vermarktungsstrategien, sondern auch aufgrund ihrer Kollaborationen mit anderen Labels und Künstlern war Supreme wegweisend für die Mode der 2010er-Jahre. Jebbia schmückte seine Produkte mit den großen Provokateuren der Kunstgeschichte, bedruckte Hoodies mit Andres Serranos‘ "Piss Christ" und T-Shirts mit Motiven des Hentai-Pioniers Toshio Maeda und verkaufte Skateboard-Decks von Mike Kelley, George Condo und Nan Goldin. Dazu tat sich Supreme mit unzähligen Labels wie Comme des Garcons, The North Face, Everlast und Playboy zusammen. 2000 verklagte Louis Vuitton Supreme, weil das Label auf einem seiner Skateboard-Decks das LV-Monogramm-Muster appropriiert hatte, 17 Jahre später veröffentlichten die beiden Marken ihre erste gemeinsame Kollektion.
Am Anfang war Supreme ein Skateshop, der einzige New Yorks, der für die lokale Szene schnell zum Hotspot wurde. Um sich über Wasser zu halten, begann Jebbia irgendwann, Shirts mit dem ikonischen Box-Logo zu bedrucken, für das er sich ironischerweise von den konsumkritischen Plakaten der Künstlerin Barbara Kruger inspirieren ließ. Als nach und nach Kunden in teurer Markenkleidung den Laden betraten, begann Jebbia, qualitativ hochwertigere Hoodies zu höheren Preisen zu verkaufen.
Auf jene Ursprungsgeschichte konzentrierte sich bereits ein 2010 bei Rizzoli erschienene Supreme-Monografie, für die unter anderem der Street Art-Künstler KAWS einen Beitrag verfasste. "Supreme Vol. 2" macht da weiter, wo der vorherige Band aufhörte. Ersichtlich wird das erst beim Blick auf die Bildlegenden: Die analogen Street-Fotografien voller Skateboards, Tattoos und emporgestreckte Mittelfinger mit abgesplittertem schwarzen Nagellack könnten allesamt aus den späten 90ern stammen, wurden aber tatsächlich zwischen 2010 und 2018 aufgenommen.
Protzige Scherzartikel
Unter die körnigen Fotografien und schnappschussartigen Kampagnenfotos mischen sich verführerische, ultrahochaufgelöste Produkt-Shots von Shirts, Sneakern und kunstvollen Skateboard-Decks, die man besitzen will, selbst wenn man noch nie auf einem Brett stand. Dazu gesellen sich ein als Ausgabe des Alten Testaments getarntes Versteck für Geldbündel, ein Plexiglas-Briefbeschwerer mit eingelassenen 100 Dollar-Scheinen sowie Money Guns, mit denen sich Geldscheine in die Luft schießen lassen.
"Supreme Vol. 2" veranschaulicht auch die Paradoxien in der Selbstvermarktung des Labels. Supreme lebt von seinem subversiven Image, doch je größer das Label wird, desto fragwürdiger wirken seine Transgressionen. Das protzige Spiel mit der eigenen Warenästhetik lässt Slogans wie "Anarchy is the key" und "Fuck You Gentrification" zynisch wirken; das Bild der Crew, unter deren 21 Mitgliedern nur eine einzige Frau ist, und die zahlreichen Fotografien von Terry Richardson, dem bereits seit 2010 wiederholt sexueller Mißbrauch von weiblichen Models vorgeworfen wird, drohen die perfekt inszenierte Retro-Coolness zu überschatten.
Schlecht gealterte Transgression
In einem Gedicht zu Beginn des ansonsten eher wortkargen Buchs preist der Regisseur Harmony Korine die Anfangsjahre des Labels. New York war ein Spielplatz, die verschwendete Jugend bestand aus glorreichen Tagen voller taggen, kiffen und Ärger anzetteln, keiner hatte Geld und doch gehörte einem die ganze Stadt. Korine beschreibt, wie er und seine Freunde sich mit Security-Personal anlegten und Ketchupflaschen in Fast Food-Restaurants klauten. Würde man heute einen Typen in Supreme-Hoodie sehen, der heimlich Ketchup mitgehen lässt, würde man ihn vermutlich für einen privilegierten Idioten halten, der sich vor seinen Freunden beweisen will.
Wie viele weitere Streetwear-Labels, die in ihrer Selbstvermarktung auf ihre aufrührerischen Anfangsjahre pochen, ist Supreme heute weniger stark mit den Skatern New Yorks verbandelt als mit einer Subkultur an Jugendlichen und jungen Erwachsenen, deren Selbstverständnis auf einer Leidenschaft für teure Markenkleidung fußt. Angesichts jenes Bedeutungswandels erhält der Satz, mit dem der Kulturkritiker Carlo McCormick seine Einleitung beendet, einen beinahe trotzigen Unterton: "Ihr Kids könnt darüber, was ihr repräsentiert, so viel nachdenken wie ihr wollt, aber ihr tragt Kunst."