Schauspieler Lars Eidinger ist unter die Designer gegangen. In Zusammenarbeit mit Lederwaren-Erbe Philipp Bree hat er für dessen Label PB 0110 die gestreifte Kulttüte des Lebensmitteldiscounters Aldi neu interpretiert. Zwar gleichen sich die beiden Beutel in Größe und Form, doch besteht Eidingers LE 1 aus in Deutschland gegerbtem Rindsleder, ist auf 250 Exemplare limitiert und kostet 550 Euro. Der Onlineshop, in dem die Tasche für Juni 2020 vorbestellbar ist, zitiert Eidinger folgendermaßen: "Oftmals messen wir Luxusartikeln, die wir vielleicht ein bis zwei Mal im Jahr benutzen, einen höheren Wert bei, als Dingen des täglichen Gebrauchs. Die Tasche ist eine Verneigung und eine Wertschätzung des Alltäglichen. Natürlich spielt sie auch damit, ein Einwegprodukt nachhaltig zu machen."
Dem "Tagesspiegel" erzählte Eidinger im Interview, dass er selbst öfter zur Tüte als zur Tasche greift – aufgrund der Ästhetik und des Understatements. Die Kooperation sei entstanden, nachdem Philipp Bree einen Traum hatte, in dem der Schauspieler-Künstler-DJ ihm eine Ledertasche zeigte, die allerdings noch ganz anders aussah als das nun entstandene Produkt.
"Blick auf die Schönheit des Alltags lenken"
Den Schriftzug "Mehrzwecktasche zum mehrmaligen Gebrauch" übernahmen die beiden vom Original, der Print stammt ebenfalls von dem abstrakten Münchener Maler und Grafiker Günter Fruhtrunk, der in den 1970er Jahren die Aldi-Tüte entwarf. Das spezifische Gemälde, das als Vorbild diente, heißt "Progression Etude 1" und ist von 1964. Über den hohen Preis für seinen Entwurf, der bereits für Kritik gesorgt hat, schreibt Lars Eidinger auf seinem Instagram-Account: "Früher konnte man Wertigkeit unabhängig vom Preis bewerten. Anhand von Qualität, Stofflichkeit, Materialität und Verarbeitung. Heute bestimmt der Preis den Wert. Es geht nicht um Luxus. Wir versuchen nicht, die Herstellungskosten zu drücken, um die Gewinnspanne zu maximieren, sondern der Preis steht in einem realen Verhältnis zum Herstellungsaufwand. Wir wollen uns an dem Verkauf der Tasche nicht bereichern. Vielmehr versucht die Tasche den Blick auf die Schönheit des Alltags zu lenken.“
Der Alltag – und zuweilen eher seine Abgründe als seine Schönheit – ist es auch, den man auf Eidingers Instagram-Fotos und in seinen Stories entdeckt. So kürte Monopol-Kolumnistin Anika Meier ihn zum "König von Ugly Instagram", der sich selbst bei seinen "Autistic Disco"-DJ Gigs zeigt, sein Gesicht über und über mit bunten Stickern beklebt, der in der Reihe "Hotel Rooms" unprätentiöse Hotelbetten den sonst so geschönten Interieurbildern gegenüberstellt, Mülltonnen auf Friedhöfen festhält oder sich spärlich bekleidet in der Maske sitzend filmt. Das Unperfekte und Bizarre, zuweilen gar Hässliche, scheint nicht nur den Schauspieler, sondern auch seine mehr als 100.000 Follower zu faszinieren.
Auf den Fotos der Kampagne zur Luxustasche, die von Fotograf Benjakon gemacht wurden, sieht man nun den auf dem Boden im U-Bahnhof sitzenden Lars Eidinger, den im Einkaufswagen herumfahrenden Lars Eidinger, den auf einem Kaugummi-Automaten stehenden Lars Eidinger. Kritik gibt es dabei weniger wegen der Selbstinszenierung, die man von dem Schauspieler durchaus gewohnt ist, sondern viel mehr wegen der Obdachlosen-Anmutung, die er für die Vermarktung eines so kostspieligen Accessoires nutzt.
Werbung mit der Ästhetik des Prekären
Bereits in der Vergangenheit beanstandeten Medien, so auch Monopol, dass Eidinger in den sozialen Medien immer wieder Fotos von Wohnungslosen, Betrunkenen und Schlafenden zeigt, ohne an die Persönlichkeitsrechte der Dargestellten zu denken. "Wenn ich ein Bild von einem Menschen poste, der schläft oder in einem Einkaufswagen sitzt, dann identifiziere ich mich mit diesem Menschen. Ich führe sie nicht vor. Ich sehe mich in diesen Bildern selbst", war seine Rechtfertigung, die in Anbetracht der nun entstandenen Kampagne für ein 550 Euro teures Produkt umso fragwürdiger erscheint.
Die Kommentare zu Eidingers Auftritt als Designer sind gespalten: Einige können es kaum abwarten, die Tasche endlich zu besitzen, andere loben ihn für die gelungene Kapitalismuskritik à la Bertolt Brechts maßgeschneiderten Arbeiterjacken, wiederum andere hielten die Ankündigung zunächst für einen Scherz. Ein Vorwurf findet sich jedoch vermehrt: dass Eidinger die Ästhetik des Prekären zu nutzt, um ein Luxusprodukt zu bewerben. Der Beutel ist am Ende dann doch vor allem eines: eine sehr, sehr teure Mehrzwecktasche zum mehrmaligen Gebrauch.