Wenn ein Künstler sich mit 29 Jahren das Leben nimmt, dann kann man sein Werk nicht einfach ohne dieses Wissen anschauen. Man sucht in Reng Hangs Fotografien, die gerade im Fotozentrum C/O Berlin zu sehen sind, Andeutungen einer Melancholie oder Ausweglosigkeit - aber so funktioniert so etwas natürlich nicht. Die poppigen Bilder von nackten jungen Menschen sind nicht ohne Spaß entstanden. Sie zeugen von einer großen Freude an Körpern, und weil Nacktheit in China verboten ist, zeugen sie auch von einem ziemlich großen Widerstandsgeist und dem Glauben daran, dass man solche Kunst machen dürfen sollte, auch wenn die Gesetze es nicht gestatten.
Ren Hangs Oeuvre entstand in wenigen Jahren, und er geriet immer wieder mit den Obrigkeiten in Konflikt. Viele seiner Ausstellungen in China wurden kurz vor der Eröffnung wieder abgesagt. In einem bei C/O Berlin erstmals gezeigten Dokumentarfilm über ihn ist zu sehen, wie er deswegen bei einem Juristen Rat sucht. Aber er findet keinen Verteidiger, sondern nur jemanden, der ihn sehr scharf an die staatlichen Reglements erinnert. "Ich möchte mich mit niemandem anlegen", sagt Hang, "ich möchte nur mein Leben führen."
Körper werden verknotet, sie werden mehrköpfig oder vielarmig
Hang hat viele Fotografen der letzten Jahrzehnte studiert, das sieht man seinen Bildern an. Teilweise zitiert er Araki sehr konkret, manche Motive erinnern stark an Juergen Teller, und auch Guy Bourdin oder Ryan McGinley haben ihn gewiss beeinflusst. Wie Letzterer, machte Hang seine Bilder mit Freunden, platzierte sie auf Bäumen, im Laub, im Wasser. Doch wo McGinley unbändige textilfreie Partylaune, Spontaneität und Zärtlichkeit zelebriert, kam bei Hang ein starker Gestaltungswille durch: Körper werden symmetrisch verknotet, Mehrköpfigkeit oder Vielarmigkeit werden simuliert, teilweise die hauptsächlich weiblichen Torsi auch aufgeschichtet wie bildhauerisches Material oder surrealistische Landschaften. Gerade die Gleichschaltung, die Ornamentwerdung der Körper wirkt dann wieder ziemlich chinesisch. Ästhetisch scheitert der Künstler dabei überhaupt nicht, und doch gibt es etwas Unaufgelöstes, Bedrückendes in diesen Bildern, das man womöglich auch verspürt, wenn man nichts über seinen Freitod weiß.
Das unchinesisch Explizite, Sexuelle ist in der großen Ausstellung in Berlin ein bisschen ermüdend, und diese Erschöpfung ist aussagekräftig. Man kann sie sehen als das Resultat eines immer wieder vergeblichen Versuchs: Ren Hang wollte die Ansicht des menschlichen Körpers so extrem kondensieren, dass etwas Essenzielles, Existezielles dabei herauskommt. Etwas, dass so wahr ist, dass es nicht verboten sein darf. Doch selbst wenn diese Körper so derart nackt sind, dass man in sie fast hineinschauen kann, muss der Versuch scheitern.