Schlanke Models in schicken Klamotten stolzieren über einen Laufsteg in New York. Eine junge Frau umhüllt von Tierfellen räkelt sich bei einem Fotoshooting vor der Kamera – die glamouröse Welt der Mode. Dem gegenüber die Schattenseiten: Arbeiterinnen in Textilfabriken liegen völlig erschöpft auf einem Bett aus Billigkleidung, einem lebendigen Schaf wird brutal das Fell abgezogen, chemische Substanzen färben Flüsse giftgrün. Schon der Einstieg der Ausstellung "Fast Fashion" im Museum Europäischer Kulturen in Berlin ist absolut gnadenlos: Mit diesen krassen Eindrücken aus einem Video wird der Besucher gleich zu Beginn konfrontiert.
Die Botschaft ist klar: Die Modewelt trägt eine hübsche Maske, hinter der sich eine furchtbare Realität verbirgt. Mithilfe von Fotografien, Videos und Installationen will die Ausstellung den schnelllebigen Modekonsum visualisieren und dabei vor allem die negativen Folgen ins Visier nehmen. Denn "Fast Fashion" steht für Beschleunigung und wirtschaftlichen Profit. Aber auch für modischen Mainstream, schlechte Umweltbilanzen und katastrophale Arbeitsbedingungen.
Die Modeindustrie: Blutsaugerin und Umweltsünderin
Für die Arbeitskräfte bedeutet der Hunger der Modeindustrie Löhne unter dem Existenzminimum, Arbeitstage von 15 Stunden und gesundheitliche Risiken durch den ungeschützten Umgang mit Chemikalien. Dass es nicht nur bei schlimmen Arbeitsbedingungen bleibt, zeigt der verheerende Unfall in Bangladesch vor einigen Jahren. Mehrere Fotografien von Taslina Akhter und einige bedruckte Pullover von Manu Washaus zeigen das Fabrikgebäude Rana Plaza, das 2013 in Sabhar einstürzte. Eine tragische Katastrophe, die mehr als 1100 Leben forderte. Sobald man die Fotos der eingestürzten Fabrikhallen sieht, erinnert man sich: Stimmt, das war in den Nachrichten! Ja, der Unfall war medial breit aufgestellt, was geändert hat sich trotzdem nicht.
Die Ausstellung zeigt sowieso nicht viel, was man nicht schon weiß, wenn man sich nur ein klein wenig für das Thema interessiert. Dass die Modeindustrie zu den größten Umweltsünderinnen gehört, ist auch allgemein bekannt. Die Fotografien mit grell leuchtenden, pinken Flüssen erinnern uns noch einmal daran. Denn die Produktion von Baumwolle beispielsweise verbraucht nicht nur Unmengen an Wasser. Nicht selten landet die mit Farbe und Giften verseuchte Brühe auch wieder in den Gewässern. Und die Menschen vor Ort müssen mit diesen dauerhaften Umweltverschmutzungen irgendwie leben.
Die Folgen des eigenen Konsumverhaltens
Zusammengepresste Kleidungsstücke dienen in der Ausstellung als Sitzgelegenheit für den Besucher. Man will sich gar nicht dorthin setzten – die Kleider haben sicherlich mal jemand anderem gehört und könnten doch schmutzig sein. Sie sprechen ein Problem an, das tatsächlich weniger bekannt ist: die gigantischen Massen an Altkleidern, die von Europa nach Asien verfrachtet werden.
Die Stadt Panipat in Nordindien wird jeden Tag von den Unmengen an gebrauchten Klamotten buchstäblich begraben. Dort werden sie dann von ausgebeuteten Arbeiterinnen sortiert, auseinander genommen und billig weiterverarbeitet. Die Arbeiterinnen in Panipat fragen sich in einem Video, wo die ganze Kleidung herkommt. Warum ist es so viel?
Man geht längst nicht mehr nur Klamotten einkaufen, wenn man wirklich etwas zum Anziehen braucht. Die Mode - egal ob Haute Couture oder von der Stange - lebt davon, sich selbst wieder "out" zu machen, damit das Begehren auf Neues entsteht. Große Ketten, und auch die Designer, die ihre Kleidung in Billiglohnländern produzieren, werfen ständig eine neue Kollektion auf den Markt und der Konsument fragt sich, wo er möglichst günstig die angesagtesten Klamotten herbekommt. Zwei, drei Mal getragen und das Teil ist auch schon wieder überholt, zu klein, gefällt nicht und landet in der Altkleider-Sammlung. Ist immerhin für einen guten Zweck, oder? Die Altkleider-Berge mit den winzigen Arbeiterinnen dazwischen beweisen das Gegenteil.
Slow Fashion: die Retterin in der Not?
Nach dem vorangegangenen Realitätscheck betritt man schließlich ein wenig deprimiert den letzten Raum der Schau. Dieser ist der "Slow Fashion", der nachhaltigen Mode, gewidmet, die im anhaltenden Kampf für Menschenrechte und Klimaschutz immer mehr an Bedeutung gewinnt. Umweltschonende und regionale Produktion, fairer Handel, Verzicht auf Chemie und eingeschränkter Konsum sollen die Modeindustrie der Zukunft prägen - ein Lichtstrahl am Ende des langen, düsteren Tunnels des Fashion-Horrors?
Akteure der Slow-Fashion-Bewegung stellen hier ihre Ideen und Konzepte vor und sie zeigen, dass es anders geht. Beeindruckend, was diese Menschen geleistet haben, aber das reicht noch lange nicht aus, weil "Slow Fashion" noch die Ausnahme und nicht für jeden erschwinglich ist.
Die Ausstellung scheint vor allem den Konsumenten ins Visier zu nehmen. Zuerst wird ihm mit grausamen Videos und bedrückenden Fotos ein schlechtes Gewissen gemacht und anschließend sind die Lösungsansätze vor allem auf ihn zugeschnitten: Wir sollen anders kaufen, uns informieren. Was ja richtig ist. Aber gar nicht so einfach, weil die Produktionsbedingungen oft intransparent sind. Die Profiteure der unmenschlichen Textilindustrie, die sich das schmutzige Geld in die Tasche stopfen, werden dabei ein wenig vernachlässigt. Dabei können nur sie dafür sorgen, dass sich grundlegend und flächendeckend etwas ändert. Aber die Videos und Fotografien schreien dem Besucher entgegen: Alles ist deine Schuld! Kein Wunder also, wenn man sich nach der Ausstellung etwas geschunden fühlt.