Neue Denkmäler

Raus aus dem Museum!

Kara Walkers großartiger Brunnen in der Tate Modern in London steht leider am falschen Ort. Wenn wir über Erinnerungskultur im öffentlichen Raum sprechen wollen, muss das außerhalb der Kunstblase passieren

Der Wasserstrahl kommt aus dem Hals. Eine perfekt gebogene filigrane Fontäne, die 13 Meter tief in ein flaches, blitzsauberes Becken stürzt. Man ist es gewohnt, dass bei Stadtspaziergängen den Brunnenfiguren das Wasser aus allen erdenklichen Körperöffnungen spritzt. Aber nicht aus der durchgeschnittenen Kehle (und dann noch aus den Brüsten) einer halbnackten, halbtoten, aber trotzdem triumphierenden Frau. Das Wasser, das eigentlich Blut sein müsste, wird im Bassin von mehreren Hai-Skulpturen erwartet. Es liegt ein Massaker in der Luft, aber gleichzeitig umweht die Betrachter ein entspannendes Plätschern und der frische Hauch der Fontänenspritzer.

Kara Walkers Brunnenskulptur "Fons Americanus" in der Tate Modern ist der Herbstblockbuster der Londoner Museen und ein außergewöhnliches Kunstereignis. Es ist nicht nur die Größe, die in der Industriekulisse der Turbine Hall überwältigt. Es ist auch das Gewicht der historischen Verweise, das einen umhauen kann. "Fons Americanus" ist sozusagen die postkoloniale Version eines Heldendenkmals. Ihr Vorbild - das Victoria-Denkmal vor dem Buckingham Palace von 1911 - feiert das British Empire und zeigt eine thronende Königin Victoria unter einem goldenen Engel, die stolz über ihre Untertanen auf fünf Kontinenten wacht. Auf dem Höhepunkt des Kolonialreichs 1913 regierte die Monarchin über ein Viertel der Weltbevölkerung.  

Diesem Szenario von Glanz und Herrschaft, an das sich auch heutige Brexit-Befürworter gern erinnern, setzt Kara Walker die Perspektive der Beherrschten und die Verknüpfung des Empires mit Sklaverei und Unterdrückung entgegen. Im klaren Brunnenwasser schwimmt das Konzept des "Black Atlantic" mit, das die Kontinente Europa, Afrika und Amerika verbindet und vom Verkauf und der Verschiffung von Menschen übers Meer erzählt. Walkers Version des goldenen Empire-Engel zeigt die besagte Sklavin mit dem aufgeschnittenen Hals, aus der das Wasser strömt. Ihre "Queen Vicky" am Brunnensockel ist eine lachende schwarze Frau mit Turban und Kokosnuss. Und neben einem Unabhängigkeitskämpfer in Uniform steht ein Baumstumpf mit Schlinge, an dem man sich gelynchte schwarze Körper vorstellen muss.   

Ikone der Gegenwart - leider in musealer Käfighaltung  

Kara Walkers Auftragswerk für die Tate Modern hat alles, was eine ikonische Skulptur der Gegenwart braucht. Eine imposante Form, politische awareness und einen prüfenden Blick auf Erinnerungskultur. Die Monumente, die schon so lange in den europäischen Städten herumstehen, dass sie leergestarrt sind und wir sie nur noch auf Touristen-Selfies wahrnehmen, werden aufgeweckt und scharfgestellt. Es macht einen Unterschied, wen wir auf Sockel heben und wen nicht. Es geht darum, woran wir uns erinnern - und woran eben nicht so gern. 

Nur leider steht Kara Walkers Werk am falschen Platz. Denn obwohl die Turbine Hall gut besucht und kostenlos zugänglich ist, ist das Kunstmuseum ein geschlossener Raum, wo eben vor allem Kunst gezeigt wird. Und die darf ja anders sein, provokant, postkolonial - ohne, dass sie unbedingt auf die Welt außerhalb des Kunstraums wirken muss. Ein Monument in Käfighaltung sozusagen.

Kara Walker benennt den Widerspruch selbst

Da ist man in der Ausstellung ergriffen und geläutert, und auf dem Heimweg steht da wieder ungerührt das Victoria-Denkmal vor dem Buckingham Palast oder irgend ein anderer Kriegstreiber auf einem Bronzepferd. Kara Walker greift diese Problematik selbst auf. Auf einem gemalten Schild an der Wand (das man vor lauter Brunnen-Staunen leicht übersehen kann) steht der vollständige Bandwurm-Titel des Werkes: 

"Mit überschäumendem Jubel und großem Enthusiasmus präsentieren wir den Einwohnern der alten Welt (unseren Geiselnehmern, Rettern und der nahen Familie) ein Geschenk und einen Talisman zur Versöhnung unserer jeweiligen Mutterländer 'Afrique' und 'Albion'. Wohnen Sie der 'Fons Americanus' bei, der Tochter der Gewässer, ein allegorisches Wunder! Seht das wirbelnde Drama der gnadenlosen See, Routen und Flüsse, auf denen unsere dunklen Schicksale gehandelt wurden und an deren schaumigen Ufern gleichsam niedergestreckte Kapitäne, Sklaven und Seesterne lagen. Kommt, alle miteinander, zum Staunen und Gedenken an die monumentalen Misserinnerungen der kolonialen Heldentaten hier und dort. Ringt klagend nach Luft, seufzt traurig, schaut wissend und beachtet die immaterielle Leere des Abgrunds etc. etc. in einem entzückenden, familienfreundlichen Ambiente."

Als Signatur fügt die Künstlerin noch hinzu: "Geschaffen von dieser gefeierten Negress aus der neuen Welt, Madame Kara E. Walker, NTY (Not Titled Yet)." Kara Walker denkt die Fallen der Tate-Ausstellung also gleich mit. Im schlimmsten Fall führt der postkoloniale Fokus der institutionellen Kunstwelt dazu, dass sich in der Blase alle einig, sensibilisiert und politisch korrekt um den Hals fallen, während die alten Helden in den Städten unwidersprochen weiter existieren. Die Kunst kann und soll natürlich Debatten anstoßen, aber gerade, wenn es um den öffentlichen Raum geht, darf die Diskussion nicht in den familienfreundlichen Mauern des Museums stecken bleiben. Kunst übernimmt sonst eine Aufgabe, die eigentlich eine klassisch politische ist. Museen dürfen nicht Ersatzorte für Veränderungen werden, die draußen stattfinden muss.

Kolumbus muss weg

Wie es anders geht, zeigt unter anderem gerade die Stadt New York. Auf dem Times Square hat der Künstler Kehinde Wiley einen Gegenentwurf zum klassischen Reiterstandbild mit weißem Mann aufgestellt. Auf seinem Pferd mitten im glitzernden Metropolen-Trubel sitzt ein schwarzer junger Typ mit Zöpfen und Hoodie. Im Dezember wird die Statue vor das Virginia Museum of Fine Arts in Richmond ziehen, dahin, wo es wirklich weh tut, denn dort wird es in Gesellschaft von etlichen Monumenten für Konföderierten-Generäle aus dem Bürgerkrieg stehen.

New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio hat außerdem eine "Task Force" einberufen, die alle Denkmäler kontroverser Figuren untersuchen und gegebenenfalls Alternativen erarbeiten soll. So sollen zum Beispiel die Ehrenmäler des Eroberers Kolumbus überdacht und der Fokus auf die Opfer der Kolonialisierung verschoben werden. Gerade läuft außerdem das Auswahlverfahren, um die Statue des umstrittenen Gynäkologen J. Marion Sims im Central Park durch ein zeitgenössisches künstlerisches Werk zu ersetzen. Sims hatte im 19. Jahrhundert brutale Experimente an schwarzen Frauen vorgenommen.  

Wenn der bildnerische Wandel wirklich im Bewusstsein ankommen soll, muss er genauso präsent werden, wie die alte imperiale Monumenten-Ordnung. Und am besten genauso groß und unübersehbar. Also wäre es dringend notwendig, dass Kara Walkers Brunnen nach der Tate-Ausstellung den geschützten Museumsraum verlässt und nicht nur totgeliebt in den Kunstkanon eingeht.

So könnten die schlafenden Geister in den Städten geweckt werden. Und dann könnte man endlich auch in Deutschland mal ernsthaft nachsehen, wer im öffentlichen Raum noch so herumsteht.