Koki Tanaka, Sie wurden einem größeren Publikum auf der Biennale von Venedig 2013 bekannt, als sie ihre Werke im Japanischen Pavillon zeigten: Für mehrere Videoarbeiten beauftragten Sie zum Beispiel neun Friseure, einer Person gemeinsam die Haare zu schneiden, oder trugen mehreren Pianisten auf, zusammen ein Stück zu komponieren. Waren Sie schon immer an Kollaborationen interessiert?
Nein, ich habe erst vor einer Weile damit angefangen, bis 2010 habe ich ganz andere Sachen gemacht.
Welche denn?
Ich konzentrierte mich damals immer auf Alltagsdinge, zum Beispiel eine Tasse oder andere Objekte des täglichen Gebrauchs. Ich überlegte mir alternative Anwendungsmöglichkeiten, auch, um eine andere Perspektive auf den Alltag zu entwickeln.
Was also kann man mit einer Tasse alles machen?
Wir benutzen sie ja, ohne zu zögern. Wir wissen seit der Kindheit, wie man sie verwendet. Aber wie können wir wissen, dass Tasse A und Tasse B gleich sind? Wenn man einmal anfängt, darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass man das nicht jedes Mal von vorne lernen muss, fangen die Fragen an, zu zirkulieren. Meine Idee war, den Umgang mit Objekten komplett neu zu überdenken.
Wie kamen Sie dann dazu, ihre Pratiken zu ändern?
Man könnte sagen, das hatte mit dem großen Erdbeben in Japan im Jahr 2011 zu tun. Ich hatte zwar schon zuvor partizipative Projekte gemacht, aber die Situation nach der Katastrophe in Japan erschien es noch dringender werden zu lassen, über Kollektivität und Kollaboration nachzudenken. Ich wurde neugierig darauf, wie Menschen mit einer solchen Situation umgehen.
Wie hat die Katastrophe Ihr Land gesellschaftlich verändert?
Unser Land war völlig zerstört, und die Menschen begannen, sich gegenseitig zu helfen. Dieser utopische Moment blieb aber nur für sehr kurze Zeit, danach fiel die Gemeinschaft schnell wieder auseinander. Währenddessen politisierten sich viele Japaner allerdings: Durch die Nuklearkatastrophe wurde offenbar, dass die Konzerne und die Regierung uns belogen und manipulierten. Das war wie ein Weckruf, und führte zu großen Demonstrationen wie der von 2012 in Tokio. Japaner waren vorher nie so politisch, aber es gab eine neue Entschlossenheit, etwas zu tun.
Das Schlagwort "Partizipation" wurde im echten Leben umgesetzt. In der Kunst kursiert diese Idee ja schon eine ganze Weile.
Stimmt, in der Kunst ist Partizipation schon lange eine gängige Methode. Wie Nicolas Bouriauds die "Relational Aesthetics" schon vor mehr als 15 Jahren manifestierte. Inzwischen ist ja auch schon die kritische Rezeption dessen historisch, wie Claire Bishops Entgegnung, dass dabei die offene Plattform nur simuliert wird, in Wirklichkeit aber alles nur in der hermetischen Kunstwelt stattfindet. Partizipation sollte ein offenes, soziales Experiment sein, auch wenn es zu Streit führt.
Nicolas Bourriaud hatte Sie ausgesucht für das Künstlerprogramm des Palais de Tokyo, wo Sie "artist in residence" waren. Haben Sie sich mit ihm darüber ausgetauscht?
Er kam leider nie vorbei, obwohl er im selben Gebäude war. Ich hatte aber sein Buch damals auch noch nicht gelesen.
Ich würde gerne zu der Frage zurückkehren, wie die Kunst in die Gesellschaft eingreifen will, wenn sie nur im White Cube stattfindet. Wie treten Sie aus der Kunstwelt aus, hinein in die Welt?
Ich lebe in Los Angeles, und dort versuche ich ständig neue Wege, meine Gemälde zu verbreiten. Ich befestige sie an meinem Fahrrad und stelle das Rad dann auf den Fahrradträger des öffentlichen Busses. Oder ich montiere es an die Rückseite meines eigenen Autos, so dass die Fahrer hinter mir auf dem Freeway es betrachten können. Das sind alles auch Vorschläge für junge Künstler, die ich unterrichte und die sich über mangelnde Ausstellungsmöglichkeiten beklagen.
Denken Sie auch über alternative Verkaufsmöglichkeiten von Kunst nach?
Einmal habe ich ein Projekt gemacht, für das ich ein Gemälde an einen Gebrauchtwarenladen verschenkt habe. Viele Menschen mögen Gemälde, und dieser Laden hatte eine eigene Abteilung dafür. Ich wolle sehen, wie das läuft. Es wurde sehr schnell verkauft, aber der Preis war auch nur acht Dollar.
Das führt uns zum Begriff der Großzügigkeit, der meiner Ansicht nach in Ihren kollaborativen Projekten eine große Rolle spielt: Die Fähigkeit, vom eigenen Ego abzusehen.
Ich glaube, in der Kunst geht es längst nicht mehr darum, sich selbst auszudrücken. Diese romantische Idee aus dem 19. Jahrhundert hat wirklich ausgedient. Ich denke viel eher, Künstler sind Organisatoren oder Koordinatoren, die bestimmte Situationen herstellen, an denen sie teilhaben.
Spielt das Ergebnis für Sie eine Rolle?
In meinen eigenen Projekten dieser Art ist mir das Ergebnis nicht besonders wichtig. Für die Zusammenarbeit der Pianisten hatte ich nicht mal ein Script. Es war eine Dokumentation mit absolut offenem Ende. Das Wichtigste ist der Prozess. Wie die Teilnehmer sich untereinander verhalten, wie sie verhandeln, wie sie auch scheitern und dann wieder zusammenkommen.
Greifen Sie in irgendeiner Form auch ein?
Kaum, ich stelle die Situation her und besorge das Equipment, die Aufzeichnung mag einen gewissen Einfluss auf das Verhalten der Teilnehmer haben. Aber ich weiß zum Beispiel absolut nichts über Komposition oder irgendwelche musikalischen Fähigkeiten. Es gab nur eine Regel, gemeinsam auf dem Klavier zu spielen. Und ich hatte den Titel des Stückes vorgegeben, "Soundtrack for a collective engagement", was aber so selbstreferenziell ist, dass es fast nichts sagt.
Wurde die Zusammenarbeit dann so, wie Sie es erwartet hatten?
Ja und nein. Diese Projekte sind en Experiment, in dem die Reaktionen der Teilnehmer aufgezeichnet werden. Ich will dokumentieren, wie dieser Prozess abläuft, und das ist es, worauf sich meine Erwartungen richten. Dieser Prozess zeigt uns die Schönheit von gemeinschaftlichem Handeln, aber zugleih auch die hässliche Seite des Menschseins.