Zum Tod von Eberhard Havekost

Maler und Denker

Von einem Moment auf den anderen, vollkommen unerwartet, ist Eberhard Havekost am vergangenen Freitag gestorben. Der Kunsthistoriker Ulrich Loock über einen Künstler, der mit seinem Werk eine schlüssige Antwort auf die ewige Frage "Warum malen?" gegeben hat

Mit der besonderen Konstellation seiner Ausstellungen machte Eberhard Havekost deutlich, was er mit jedem einzelnen Bild verfolgte, nämlich die Unabhängigkeit von einer grundlegenden Idee, einem vorausgehenden, die einzelnen Bilder übergreifenden Wissen. In diesem Sinn hat er gesagt, die Bilder zu malen beanspruche ihn nicht so sehr, doch er schaue sie lange an.

"U Say Love" ist der Titel der letzten Ausstellung, die er selbst geplant und eingerichtet hat. Sie fand im April/Mai diesen Jahres in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts statt. In Havekosts Terminologie waren die Arbeiten "realistisch" im Unterschied zu "reproduktiven" Bildern. Um 2010 hatte er begonnen, direkt, ohne fotografische Vermittlung zu malen. Zunächst waren es vielleicht wirklich Farbreste, die er nicht auswusch, sondern vom Pinsel abstreifte und aufbewahrte.

Er ging dann immer weiter dabei, Farbmassen auf die eher kleinen Leinwandformate aufzutragen, mit dem Pinsel oder auch dem Spachtel, und disparate Farbspuren in Richtung einer bildlichen Organisation zu treiben. Doch trotz der steigenden Bedeutung, die diese Arbeiten in dem Werk beanspruchten, trotz der offensichtlich wachsenden malerischen Erfahrung, behielten sie etwas Vorläufiges. Sie scheinen sich momentanen Impulsen zu verdanken, einem punktuellen Begehren, das in keiner Strategie aufgeht.

Ein anderer Typ "realistischer" Bilder sieht aus, als sei die Farbe abgerieben oder abgekratzt worden, als habe man die Rückseite einer Leinwand nach vorn gekehrt oder eine frühere Malerei sei mit der Zeit verblichen. Zu viel Farbe, zu wenig Farbe – ein Bild vor dem Bild und ein Bild nach dem Bild. Arbeiten wie jene in der Ausstellung "U Say Love" geben etwas in den Randbereichen des Bildes zu sehen, sie veranlassen einen Blickwechsel und weiten den Bereich des Sichtbaren aus, ohne die Malerei aufzugeben. Havekost setzte die Malerei ein, um das Sichtbare als unkartiertes Feld von sinnlichen Möglichkeiten zu rekonstruieren.

Lange bestimmten verschiedene Varianten "reproduktiver" Malerei Havekosts Werk. Als Student hatte er Gesichter in illustrierten Zeitschriften übermalt, da er dem Kompositionszwang zu entkommen suchte, und später hatte er seiner Malerei eigene Fotos oder medial vermittelte Bilder zugrunde gelegt. Vorlagen wurden am Computer bearbeitet, ausgedruckt, mit der präzisen Angabe des vorgesehenen Bildformats versehen und anschließend glatt und wie mechanisch gemalt, als sei es ein Scanner. 2006 sagte Havekost in einem Gespräch, "Ich habe ein paar Vorlieben entwickelt, lasse mich aber treiben und versuche, immer wieder etwas Neues zu sehen." Ihn interessierten  "undurchsichtige Situationen".

Doch Havekost malte nicht nur "Sujets", sondern auch die Apparate, mit denen Bilder erzeugt und übertragen werden, einschließlich dem Gemälde selbst. Bilder von Personen, die mit einem Gewehr visieren – Beleg für die zielgerichtete Aggressivität des Blicks – sind von farbigen Einsprengseln durchzogen, die von Störungen eines Fernsehbildes herrühren. Bilder von Wohnwagen, Sportflugzeugen und perspektivisch verzogenen Balkonfassaden sind nicht nur Indizien für erdrückenden gesellschaftlichen Konsens, der in Schrottautos und Sperrmüll seine ultimative Erfüllung findet, sondern sie bilden auch das Fenster ab, als welches das Bild selber funktioniert.

Auf Leinwand malte Havekost die auseinandergefaltete Leinwand, in vielfachen Varianten malte er einen Flachbildschirm, er malte formatfüllend ein Smartphone. Dieses Gerät zu übernehmen, wurde allerdings interessant, da sein Display gesprungen war, und in verschiedenen Bildern überblendet der Kamerablitz auf eine spiegelnde Fläche die bildliche Wiedergabe. Wenn Havekost auf der Grundlage von fotografischer Wiedergabe die Apparate der Wiedergabe malte, malte er zugleich gegen die Wiedergabe an. Einen solchen Zusammenhang nannte er "selbstreferenzielle Skepsis".

Die Apparate ins Bild gerückt

Indem er die Apparate, die gewöhnlich im Hinblick auf übertragene Bilder unsichtbar bleiben, ins Bild und in den Blick rückte, machte er Screens und Displays zu undurchdringlichen Oberflächen. In den vergangenen zehn Jahren hat er vermehrt gekräuselte und gefaltete, raue und gescheckte Materialien gemalt und unterschiedliche Optionen des Farbauftrags getestet, bis er sich auch auf die Option eingelassen hat, Farbmasse ohne Wiedergabe roh aufzutragen oder bis zum Verschwinden zu reduzieren, ohne auf der anderen Seite davon abzulassen, disparat sich aufdrängende Bilder zu reproduzieren.

Bei Havekost ist die Malerei eine unsystematisch verlaufende Praxis, die in gleitenden Übergängen eine Sphäre der Bilder und eine Sphäre körperlicher Begegnung miteinander in Verbindung bringt und voneinander trennt. Mit dem Begriff der "Benutzeroberfläche" hat er die Malerei als einen Zwischenbereich, eine "Kontaktzone" (Mary Louise Pratt) bestimmt und damit auch eine Antwort auf die Frage "Warum malen?" gegeben: Weil die Malerei sowohl zur Sphäre der Körperlichkeit als auch zur Sphäre der Bildlichkeit Zugang hat und damit in unvergleichlicher Weise zur Auseinandersetzung in beide Richtungen geeignet ist. Wer sonst diese Auseinandersetzung wie Havekost führen könnte, ist nicht abzusehen.

Eberhard Havekost wurde 1967 in Dresden geboren. Mit seiner Erfahrung als Sänger im Dresdner Kreuzchor begründete er später seine Weigerung, öffentlich zu sprechen (obwohl er es sehr gut konnte, wenn er sich doch einmal überreden ließ). Nach der Schulzeit absolvierte er eine Steinmetzlehre, die für ihn zum Inbegriff traumatischer Fremdbestimmung wurde. 1989 floh er über Budapest in den Westen und bemerkte eine unkontrollierbare Überreizung der Sinne. Nach der Wende ging er zurück nach Dresden und studierte von 1991 bis 1996 an der Hochschule der Bildenden Künste Malerei bei Ralf Kerbach.

"Dresdner Pop"

An der Kunstakademie traft er unter anderem Frank Nitsche und Thomas Scheibitz, und schon 1995 stellte er zusammen mit Letzterem bei Gebr. Lehmann in Dresden aus. Als er 1996/97 in Frankfurt lebte, hat Havekost sich stark in der Musikszene engagiert, später hat er kontinuierlich neue Veröffentlichungen verfolgt und gern bei Ausstellungseröffnungen und in seiner Stammbar aufgelegt. Von Frankfurt ging er wieder nach Dresden und anschließend nach Berlin.

Von der Jahrtausendwende an wurde seine Malerei international erfolgreich, er stellte in Institutionen und kommerziellen Galerien aus, seine Arbeiten wurden in renommierte Sammlungen aufgenommen. Von der Zeitschrift "Art" wurden Havekost, Nitsche und Scheibitz zu Vertretern eines "Dresdner Pop" erklärt, doch schon bald ging die Gemeinschaft mit Scheibitz auseinander. Im Jahr 2010 wurde Havekost zum Professor für Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er seinen Studenten und Studentinnen empfahl, sich für ein "autonomes Belohnungssystem" zu entscheiden.

Die Malerin Tatjana Doll hat Havekost zu Recht als Maler und Denker bezeichnet. Möglicherweise war es eine Auswirkung der Restriktionen in der DDR, dass Havekost eine eigene Art des Sprechens und eine eigene Begrifflichkeit entwickelt hat. Ein schönes Beispiel dafür ist sein Kommentar zum Rauchen: "Durch den Qualm visualisiert man seinen Außenkontakt. Das ist eine der wenigen interessanten sichtbaren Essenzen, die von innen kommen."