Penible Miniaturmalerei in alter Tradition, ornamentale Pflanzendarstellungen, Action Painting, Farbfeldmalerei und Terror im 21. Jahrhundert. Wie geht das zusammen? In einer ehemaligen Fabrik in der Pariser Vorstadt Pantin zeigt der Pakistani Imran Qureshi eine gewaltige Spannbreite an Malerei. Und schärft unsere Sensibilität dafür, dass die Realität mehrdimensional ist.
Das betrifft insbesondere das Zeichenrepertoire, mit dem der Maler arbeitet. Auf großen Hochformaten im Eingangsbereich der Dépendance der Galerie Thaddaeus Ropac – die Serie trägt den Titel "Love Me, Love Me Not" – sind rote Blüten an langen Stielen zu sehen. Oder nicht? Es könnten auch Blutwolken sein, aus denen heraus ein Streifen Blut bis zum unteren Bildrand geronnen ist.
Pakistan, wo Qureshi 1972 geboren wurde, ist zerrissen von politischen und religiösen Konflikten, von alltäglicher Gewalt. Zugleich ist es ein Land im Aufbruch, das aus einer großen kulturellen Tradition schöpft. Der Künstler ist gelernter Miniaturmaler. In Lahore, wo er bis in die frühen 90er in der uralten indischen Moghul-Bildtradition ausgebildet wurde, lehrt er noch heute die Kunst der Miniatur. In seinem eigenen Schaffen koexistieren das Kleinformatige und das Experimentelle, das sich vom Papier und dem klassisch-überschaubaren Raster gelöst hat.
Janusköpfigkeit der Bilder
Die unmittelbare Situation in Pakistan, aber auch globale Themen wie wie das Verhältnis zwischen westlicher und muslimischer Welt, Religion, Geschlechterrollen, Terrorismus und Krieg verhandelt Qureshi in seinen Werken. 2013 war ein wichtiges Jahr in seiner Karriere. Bilder seiner ortsspezifischen Arbeit auf der Dachterrasse des New Yorker Metropolitan Museum gingen um die Welt: Qureshi spritzte blutrote Farbe auf die Bodenfliesen und nahm die Splatter-Anmutung mit floralen Mustern doch wieder zurück. Diese Janusköpfigkeit der Bilder fällt jetzt auch bei Ropac auf.
Eine Reihe von Diptychen in Paris entstand im Frühjahr 2019 unter dem Eindruck des Attentats in Christchurch, bei dem 51 Menschen in und um zwei Moscheen starben. Die Werke orientieren sich an einem Foto, das über soziale Medien verbreitet wurde: Ein geöffneter Koran, dessen Seiten blutverschmiert sind. Auf Qureshis spiegelsymmetrisch angelegten Diptychen mit dem Reihentitel "Do You Remember Still, How It Was Once" fügen sich dunkelrote Flecken dank Abklatschtechnik zu Zufallsornamenten, wie man sie aus Rorschachtests kennt. Das Rot kombiniert der Maler mit Blattgold und tiefen Blautönen. Es sind spirituelle Bilder, die mit verstörender Gleichzeitigkeit von brutaler Gewalt erzählen.
Qureshi ist nicht der einzige Künstler aus dem islamischen Raum, der seine Zeit kritisch reflektiert (und zugleich in der reichen kulturellen Tradition verwurzelt bleibt). Der pakistanische Künstler zeigt neben Kunstschaffenden wie Adel Abidin, Zarah Hussain oder Anahita Razmi Werke in der Gruppenschau "Vergessene Aufklärungen" in der Halle 14, Zentrum für zeitgenössische Kunst in Leipzig (bis 4. August). Die Ausstellung hinterfragt Vorstellungen vom angeblich unaufgeklärten Islam. Gerade Imran Qureshi weckt erhebliche Zweifel an diesem Pauschalurteil. Die Soloschau bei Ropac – Paris Pantin liefert starke Argumente dafür, sich eingehender mit islamischer Kultur zu beschäftigen.