Oslos Museum für zeitgenössische Kunst ist ein Geisterhaus. Die Kunstwerke, die hier bis vor wenigen Jahren hingen, haben ihre Spuren in Form von Kerben und Bohrlöchern in den Wänden hinterlassen, massive Tresortüren zeugen davon, dass das mittlerweile leerstehende Gebäude zu Beginn des 20. Jahrhunderts die norwegische Zentralbank beherbergte, bevor es zum Ausstellungsort wurde. Bauplanen bedecken die Fenster in der von Marmorsäulen getragenen Haupthalle, an deren lädierte Wände Marianne Heier Fotografien von Gipsabgüssen bedeutender Marmorskulpturen projiziert hat. Die Künstlerin gibt hier performative Führungen durch ihre sphärische Sammlung, zieht präzise Verbindungslinien zwischen zeitgenössischer Kultur und antiker Mythologie und macht dabei den herrschaftlichen Bau aus dunkelgrauem Syenit erstmals seit 2016 wieder der Öffentlichkeit zugänglich.
Damals verlagerten neben dem Museum dreizehn weitere Osloer Kulturinstitutionen ihren Standort und hinterließen eine Menge historischen Leerstand. Die Einrichtungen sollen in ultramoderne Neubauten in der "Fjord City" umziehen, die sich entlang der Meeresfront erstreckt, eingerahmt vom stromlinienförmigen privaten Astrup Fearnley Museum und dem Opernhaus, dieser gigantischen Eisscholle aus Glas und Stein, die aus dem Hafenbecken hervorragt.
In schwindelerregendem Tempo wird hier ein kulturelles Epizentrum fabriziert, gespickt mit sündhaft teuren Apartments und Annehmlichkeiten für kauffreudige Touristen. Das Schema scheint bekannt: Umwandlung von kulturellem Kapital in finanzielles, Turbo-Gentrifizierung. Aber vielleicht ist das zu vereinfacht gedacht. Denn mitten in diesen rasanten Wandel hinein setzt die Stadt nun eine Biennale, die so gar nicht zu diesem Narrativ passen will. Die erstmalig stattfindende Oslo Biennale, in deren Rahmen auch Marianne Heier ihre Performance zeigt, ist das polare Gegenteil jener Blockbuster-Shows, die man normalerweise mit dem Ausstellungsformat assoziiert. Sie legt sich wie ein feiner Nebel über die Stadt und versickert stellenweise gänzlich in ihr, sie nimmt sich demonstrativ Zeit und lehnt es kategorisch ab, sich festzulegen.
Klassisches Biennalen-Modell wirkt überholt
Wie wunderbar es funktionieren kann, wenn sich eine Großausstellung voll und ganz auf eine Stadt einlässt, zeigte im vergangenen Jahr die Manifesta in Palermo, bei der die größtenteils dokumentarischen Werke nicht recht mit der mannigfaltigen Schönheit der Kirchen und verlassenen Palazzi mithalten konnten, in denen sie gezeigt wurden, was aber angesichts des zauberhaften Gesamterlebnisses niemanden wirklich störte. Und spätestens seit jener Manifesta wirkt es endgültig nicht mehr zeitgemäß, die gleiche universelle Ausstellungs-Ästhetik an verschiedenen Orten der Welt zu reproduzieren, zwischen denen der "Kunst-Jetset" schwarmförmig fluktuiert.
Dass das klassische Biennalen-Modell heute überholt und altbacken neoliberal wirkt, findet auch Kuratorin Eva Gonzáles-Sancho Bodero. "Wir wollen nicht, dass die Biennale hier wie ein Ufo landet und sich der Stadt aufdrängt", erklärt sie. Das primäre Publikum sind deshalb auch die Bürger Oslos. Ihnen sollen auf der morgendlichen Rad- oder U-Bahn-Fahrt zur Arbeit die Graffitis von Hlynur Hallsson auffallen, die in verschiedenen Sprachen Google-Autocomplete-Vorschläge für Suchanfragen wie “Immigrants In Oslo” und “This Is Oslo” wiedergeben, sie sollen bei ihrem Spaziergang entlang des Ufers der Akerselva aus dem Konzept gebracht werden von den Texten Julien Bismuths, die Performer versteckt als Unterhaltungen vortragen.
Gegenpol zum hippen Design
Als nur kurz verweilender Besucher der Stadt bekommt man von diesen subtilen Irritationen mit etwas Pech nicht viel mit. Problemlos erleben lassen sich dann aber beispielsweise immer noch die dezenten Plastiken von Michael Ross, der seine Werke in zwei altehrwürdigen Geschäften ausstellt, die inmitten einer Einkaufslandschaft mit hippen Design-Stores und Bekleidungsketten wie aus der Zeit gefallen wirken. In einem Antiquariat lässt er einen verbogenen goldenen Löffel zwischen Landkarten und mit Ledereinbänden befüllten Regalen von der Decke baumeln, beim Uhrmacher ein paar Straßen weiter hat er ein hellblaues und ein schwarzes Ei mit den Titeln “The Longest Day” und “The Longest Night” in den Regalen versteckt.
Mit Sichtbarkeit spielt auch Gaylen Gerbers “Support”, das monumentalste Werk der Biennale, für das der Künstler ein ganzes Gebäude in einem Grauton angemalt hat, der, wie der Künstler erzählt, aufgrund seiner Unscheinbarkeit häufig in Museen zum Einsatz kommt, wenn Wände in einer möglichst neutralen Farbe gestrichen werden sollen. Die graue Baracke wurde von den Nazis während der deutschen Okkupation Norwegens als Hauptquartier genutzt, später zog hier der norwegische Geheimdienst ein. Durch seine malerische Geste hebt Gerber die Geschichte jenes unscheinbaren Hauses hervor, die über Jahrzehnte unerforscht blieb.
Kunst muss in die Öffentlichkeit
Fünf Jahre soll die Oslo-Biennale dauern. Ein Motto hat sie nicht, dafür aber das erklärte Ziel, neue Ausstellungsformate für Kunst im öffentlichen Raum zu erschließen. “Sammlungen öffentlicher Kunstwerke bestehen fast ausschließlich aus Skulpturen”, erklärt Eva Gonzáles-Sancho Bodero, “zeitbasierte oder gar poetische Werke sind kaum vertreten”. Gemeinsam mit ihrem Co-Kurator Per Gunnar Eeg-Tverbakk will sie das ändern. Die öffentliche Sphäre bot immer schon fruchtbaren Boden für performative oder konzeptuelle Werke wie die Dérives der Dadisten, die an den Konventionen des öffentlichen Raums rüttelten.
Gerade derartige öffentliche Werke bergen für Institutionen jedoch besondere Herausforderungen hinsichtlich Produktion, Vermittlungsarbeit, Sammlung und Erhaltung. In Oslo sollen in den kommenden Jahren Wege gefunden werden, mit diesen Herausforderungen umzugehen – durch Symposien und akademische Arbeit, vor allem aber auch durch learning by doing. Und so steht dieser Tage beispielsweise unter Anleitung von Carole Douillard eine Gruppe von zwanzig Personen zwei Stunden lang regungslos auf dem Vorplatz des Bahnhofes und missachtet die ungeschriebenen Regeln des sozialen Raums indem sie unentwegt starrt, auf die vorbeilaufenden Passanten und auf den Punkt, an dem man – bevor die Neubauten vor kaum vier Jahren kamen – bis zum Meer sehen konnte.
Dabei sein ist alles
Unter den Performern ist auch Michaelangelo Miccolis, der im Beiheft der Biennale als einer der sechzehn Künstler vermerkt ist. Miccolis nimmt neben seiner eigenen künstlerischen Praxis seit Jahrezehnten mit großer Leidenschaft als Performer an den Werken anderer Teil, er lächelt begeistert, wenn er davon erzählt. Bei der Oslo-Biennale nimmt er aktuell die Rolle eines teilnehmenden Beobachters ein, der in verschiedensten Formen Teil der Biennale-Werke wird und als Mediator zwischen dem kuratorischen Team und den Künstlern Besonderheiten und Herausforderungen zur Sprache bringt.
Die Oslo-Biennale hat keinen Fünfjahresplan. Im Oktober sollen zehn weitere Arbeiten ihren Weg in den Stadtraum finden, so viel ist sicher. Auf die Frage, was danach passieren soll, gibt es hingegen nur vage Antworten. Der weitere Verlauf der Biennale soll aus den Situationen schöpfen, die sich während der Ausstellung ergeben, soll in ihrem Werdens-Prozess von sich selbst lernen. Das Format müsse sich organisch entwickeln, erklärt Per Gunnar Eeg-Tverbakk. Deshalb sind Mitwirkende wie Miccolis so essentiell für das Format, und deshalb ist das Biennalen-Team mit seinem Hauptbüro eingezogen in ein Gebäude, das in vom Staat bereitgestellten Ateliers über 60 KünstlerInnen beherbergt, unter ihnen viele aktuelle oder zukünftige TeilnehmerInnen der Ausstellung.
Es sind vor allem derartige Strukturen, die diese Biennale so spannend machen. Es geht darum, Künstlern neue öffentliche Räume zu erschließen, ihnen Zeit und Unterstützung zu bieten, um ihre Projekte zu realisieren. Das Projekt Oslo-Biennale ist radikal überambitioniert und noch zu sehr im Werden, um es bereits wenige Tage nach der Eröffnung abschließend beurteilen zu können. Wenn jedoch alles nach Plan läuft, entsteht in Oslo gerade die erste wirklich nachhaltige Biennale, deren Geheimnis darin begründet liegt, dass sie eigentlich gar keine echte Biennale ist.