Der Akt hat einen schweren Stand. Nie wurde mehr über den nackten weiblichen Körper in der Kunst und seine Bedeutungen nachgedacht und gestritten. Gemälde werden probehalber abgehängt oder sind Gegenstand von Petitionen, weil sie Frauen sexualisieren. Zugleich arbeiten sich Instagram-Künstlerinnen am Nacktheitsverbot ab und nennen es Selbstbestimmung. Gegenwärtig wird neu verhandelt, wer wen abbilden, sammeln, ausstellen oder das verhindern kann.
Die Gruppenausstellung "Nude" in der Villa Schöningen in Potsdam wirkt zunächst wie eine trotzige, schlaue Erwiderung. Mit einer beeindruckenden Künstlerliste zeigt der Eigentümer des Hauses, Springer-CEO Mathias Döpfner, erstmals nur Werke aus seiner privaten Sammlung mit dem Schwerpunkt Akt. Er hat für "Nude" ausschließlich Werke von Künstlerinnen ausgewählt, was das heikle Genre auf die Höhe der aktuellen Diskussion bringt: "Female Bodies by Female Artists".
Aber was heißt das? Ist eine Ausstellung über den Blick von Frauen auf nackte Frauen automatisch unsexistisch? Kann unter dieser Prämisse, mit Namen wie Rosemarie Trockel, Cindy Sherman, Elaine Sturtevant, Marina Abramovic oder Ana Mendieta nichts mehr falsch sein? Interessanterweise doch.
Wie eine Google-Bildrecherche, Suchbegriff "Vulva"
Die Ausstellung wirkt in Teilen wie eine Google-Bildrecherche, Suchbegriff "Vulva". Die Monothematik ist ermüdend und unangenehm, denn Künstlerinnen entscheiden sich aus sehr verschiedenen Gründen für die Darstellung von Nacktheit: Selbstbespiegelung bei Juno Calypso, Kontrolle bei Vanessa Beecroft, Rollenspiel bei Cindy Sherman, Abschied vom Leben bei Paula Modersohn Becker. Bei Elisabetta Siranis beeindruckendem Selbstporträt aus dem 17. Jahrhundert spielt der nackte Körper nicht mal eine besonders große Rolle – die junge Frau wehrt den Tod ab, Chronos, den alten weißen Mann. Wenn diese Werke zusammenhanglos nebeneinander gezeigt werden, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner "nackt" gebracht, verflacht das eigentlich gute Thema. Was bei der Drastik mancher Darstellungen eine wirklich seltsame, verwirrende Kunsterfahrung ist.
Rosemarie Trockels "Replace Me" von 2009 zeigt den Unterleib einer Frau, zwischen deren Beinen eine große schwarze Vogelspinne sitzt wie eine zum Töten bereite Wächterin, oder wie ein Ursurpator, das ist nicht ganz klar. Neben dieser tollen, anspielungsreichen Arbeit hängt eine Fotografie auf Kniehöhe, sie zeigt denselben Körperausschnitt, nur wird dieser Körper gerade gefistet. Nichts gibt darüber Aufschluss, dass es sich nicht einfach um Gewaltpornografie handelt, außer der vorausgesetzten Übereinkunft, dass das als Kunst hier hängt und darum nicht Porno sein könne. Das Werk von Anna Stina Treumund, der ersten offen lesbischen Künstlerin aus Estland, die auch Pornoproduzentin war und vorletztes Jahr mit 34 Jahren starb, bringt, so präsentiert, den Diskurs in keine Richtung weiter.
Courbets "Ursprung der Welt", das Skandalbild schlechthin, beherrscht in Abwesenheit diesen Raum: Angefeindet für seine Frontalansicht einer Vulva von 1866, verteidigte der Maler damals sein Bild, er wolle zeigen, was sei. Aber der aufklärerische, antizensorische Impetus, den diese ganze Ausstellung haben mag, greift nicht. Die Frage der Stunde ist ja nicht mehr: Darf man das zeigen? Sondern: Wer zeigt, mit welchem Ziel? Es geht nicht um das Überwinden der Prüderie, sondern um Deutungshoheit, also Macht.
Starke Werke neben bestürzend schlechten Arbeiten
Wenn an der Wand gegenüber die Afroamerikanerin Mickalene Thomas Courbets Gemälde zitiert, die Abbildung ihrer eigenen Vulva mit Strass-Steinen verziert und das Werk "The Origin of the Universe" nennt, thematisiert sie nicht Schamlippen, sondern Hautfarbe, Künstlersein, Frausein, im Echoraum der Kunstgeschichte. Doch das geht zwischen all den Körperöffnungen irgendwie verloren.
Die starken Werke, von denen es hier einige gibt, behaupten sich trotzdem. Ana Mendietas widerständiger Existenzialismus in ihrem Film "Creek"“, in dem sie bäuchlings in einem Bach liegt und unter Anstrengung versucht, den Kopf über Wasser zu halten, schnürt einem hier in diesem Kontext selbst fast die Luft ab.
Aber es gibt auch bestürzend schlechte Arbeiten, daran ändert auch nichts, dass sie von Künstlerinnen sind. Deborah Sengl bastelt eine spreizbeinige Pornoblondine in Bügelperlen nach. Suzanna Scotts einziger Hit sind aufgeklappte Geldbörsen, deren Innenfutter sie vulvaförmig zurechtnäht. Auf den ersten Blick vielleicht noch ein verblüffender derber Witz, der Titel "Coin Cunts" macht die Serie widerwärtig und peinsam. Es gäbe gerade in dieser Ausstellung viel zu sagen über das Verhältnis von Geld, Macht, Freiheit und Geschlecht. Hier wird es abgehakt mit einem verächtlichen Gag, einer vulgären Alliteration.
Überall reinzuschauen heißt nicht, alles zu begreifen
Das nackte Grauen bricht aus an der Augmented-Reality-Station der Malerin Marion Fink, die eigentlich Selbstbespiegelung in Selfie-Posts malerisch umsetzt. Jemand muss ihr gesagt haben, es sei eine gute Idee, ihre figurativen Darstellungen in den virtuellen Raum zu verlegen. Dazu bestellte sie online eine "body texture map". Die vorfabrizierte Hülle einer nackten weißen Ideal-Frau hängt jetzt wie abgezogene Haut in Lebensgröße an der Wand. Die minutiös ausgearbeitete Scheide prangt ausgestanzt in der Mitte. Es ist ein monströses Bild, man wird es eine Weile nicht loswerden. Zu erzählen hat die junge vielversprechende Malerin damit aber nichts, auch nicht mit dem animierten Film auf dem Tabletcomputer. Alles was hier zum Denken anregen könnte, wird von der Technik, digital eingeölten Brüsten und stumpfem Staunen platt gemacht.
Dabei hätte der nicht ganz zeitgemäße Sammlungsschwerpunkt "Weiblicher Akt" die Kunstgeschichte eigentlich auf seiner Seite, sind nackte Körper doch die ältesten Darstellungen überhaupt. Eine sorgfältig kuratierte Schau hätte auch ein paar Künstler oder männliche Akte verkraftet. Doch dazu müsste man den Werken ihren Kontext lassen. Stattdessen wurden sie unter Geschlechtsmerkmalen verschlagwortet. Aber überall reinzuschauen heißt nicht, alles zu begreifen.
Pornografie kennzeichnet, dass sie bei sexuellen Darstellungen alles menschlich Individuelle ausblendet, dass sie außerhalb des Sexuellen liegende Gedankenwelten abschneidet und auf Sinnzusammenhänge verzichtet. Die Ausstellung "Nude" macht genau das.