Ihr hellsichtiges und illusionsloses Œuvre entstand in nur zwei entscheidenden Jahren. 1968 beendete sie es mit diesem Satz: „Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann.“ Und schwieg darüber bis zum Tod 1985. Eine spröde Frau mit kurzen Haaren, nie Everybody’s Darling – weniger Diva geht kaum, und trotzdem ist Charlotte Posenenske ein Star geworden.
Wolfgang Tillmans hatte Posenenskes Arbeiten in seiner Londoner Galerie Between Bridges einem internationalen Publikum bekannt gemacht, bevor im Kunstsommer 2007 immer wieder die Rede von ihr sein sollte, als ihre „Vierkantrohre Serie DW“ und „Reliefs Serie B“ bei der Documenta 12 zu den interessantesten Positionen zählten. Jetzt erscheint eine vollständige Werkübersicht, begleitet von gründlich zusammengetragenen, handbuchartig gefassten Aussagen zu Absicht und Ausführung ihrer Skulpturen und einem anekdotischen Anhang.
Aus „armen“ Materialien wie Pressspan, Zinkblech oder Wellpappe, unlimitiert reproduzierbar, in Gruppen frei im Raum zu errichten und zu benutzen, zum Selbstkostenpreis zu verkaufen – das waren die Parameter des unhierarchischen, partizipatorischen Kunstbegriffs Charlotte Posenenskes. Ihre Skulpturen, die manchmal Lüftungsschächten zum Verwechseln ähneln, machten Einfühlung und Interpretation schwer, sie waren unfunktional und unsinnlich zugleich, und sie sollten nicht einmal schockieren.
So fiel die Bewertung durch die Kunstkritik damals dürftig aus, wie die von Herausgeberin Renate Wiehager zitierten Besprechungen zeigen. Wo, fragte man hilflos, bleibt da das Schöne?
„Monotonie ist schön.“ Diese Feststellung hatte Posenenske bei einer ihrer Reisen durch die gleichförmige Landschaft Hollands in ihrem Citroën DS gemeinsam mit ihren Freunden Peter Roehr und Paul Maenz getroffen. Als Tochter eines jüdischen Apothekers in Wiesbaden war sie den Repressalien des NS-Regimes unmittelbar ausgesetzt gewesen. Das Misstrauen gegenüber jeder Emotionalisierung von Land und Natur muss fast zwangsläufig entstanden sein – genau wie der feste Glaube an Objektivität und Entzauberung, auch in der Kunst.
Ihre Arbeit sei, schrieb Ed Sommer 1968 in der New Yorker Zeitschrift „Art International“, verglichen mit Donald Judd „a good deal less art“ – ein ganzes Stück weniger Kunst. Heute scheint genau darin ihre Stärke zu liegen. Judds rigorose Exerzitien über die Absolutheit der Form zeigen immer demonstrativ auf sich selbst. Posenenskes Plastiken lassen sogar die Selbstreferenz weg, lösen sich in ihrer Umwelt auf und sind insofern noch um einiges minimaler – bis zum sagenhaften Schlusspunkt, der Niederlegung der Arbeit.
Die beiden Essays von Renate Wiehager entsprechen im Duktus dem Werk der Künstlerin. Eher erzählerisch sind die Erinnerungen des Nachlassverwalters Burkhard Brunn, der die letzten 18 Jahre mit Charlotte Posenenske zusammenlebte. Noch kurz vor ihrem Tod öffnete sie ihm ihr Archiv; seitdem bemüht er sich mit großer Ernsthaftigkeit und Ausdauer um Öffentlichkeit für das Werk.
Der Autor gewährt dezent Einblicke ins Private: wie sie sich in Frankfurter Sponti-Kreisen auf einer Party kennenlernten, weil sie als Einzige nicht mit in die Sauna gehen wollten, und beide Ehen – Charlotte war mit dem Architekten Paul Posenenske verheiratet – schlagartig zerstört waren. Wie sie auf hippiehaftes Duzen beharrlich zurücksiezte. Und wie sie einmal ein fahrerloses Taxi, das ihr den Weg versperrte, kurzerhand selbst umparkte.
Warum sie sich so plötzlich aus der Kunst zurückzog, kann Burkhard Brunn nicht erklären: Er habe sie nie danach gefragt. Zum Glück gibt dieses sorgfältig zusammengestellte Buch viele indirekte Antworten.
Renate Wiehager (Hg.): „Charlotte Posenenske, 1930–1985“.
Hatje Cantz, 240 Seiten, 58 Euro